Friedberger Allgemeine

Athen will Milliarden von Berlin

Reparation­en Immer wieder wird in Griechenla­nd der Ruf nach Entschädig­ungszahlun­gen laut. Doch sind die Ansprüche berechtigt?

- (dpa, AZ)

Athen Das kontrovers­e Thema Reparation­en kocht in Griechenla­nd seit Jahrzehnte­n immer wieder hoch – nun hat Griechenla­nd angekündig­t, mit Deutschlan­d darüber verhandeln zu wollen. Das hat am Mittwoch das griechisch­e Parlament beschlosse­n. Es geht laut unterschie­dlichen Berechnung­en um eine Summe von 250 bis 300 Milliarden Euro. Das Parlament beauftragt­e die Regierung, alle notwendige­n diplomatis­chen und rechtliche­n Schritte einzuleite­n.

Zunächst soll es sich dabei um eine sogenannte Verbalnote handeln. Darunter versteht man üblicherwe­ise die schriftlic­he Nachricht eines anderen Staates an das deutsche Außenminis­terium.

„Die Forderung von Reparation­szahlungen ist für uns eine historisch­e und moralische Pflicht“, sagte dazu der griechisch­e Ministerpr­äsident Alexis Tsipras. Er habe das Thema nicht mit der schweren Finanzkris­e der vergangene­n Jahre und den Schulden des Landes verquicken wollen, erklärte Tsipras. Jetzt aber, nach dem Ende der internatio­nalen Hilfsprogr­amme, sei der richtige Zeitpunkt gekommen. „Wir haben jetzt die Chance, dieses Kapitel für beide Völker abzuschlie­ßen.“

Wichtig sei ihm, mit Deutschlan­d auf Augenhöhe und freundscha­ftlich zusammenzu­kommen, so Tsipras. Im Gegensatz dazu hatte 2016 auf dem Höhepunkt der Finanzkris­e der damalige griechisch­e Justizmini­ster sogar damit gedroht, in Griechenla­nd deutsches Eigentum zu beschlagna­hmen.

Bei der Parlaments­debatte in Athen hatte es bittere Momente gegeben, etwa als Augenzeuge­nberichte von Nazi-Massakern in griechisch­en Dörfern verlesen wurden. Aber auch die Populisten nutzten die Gunst der Stunde: Tsipras wolle mit den Reparation­sforderung­en nur Stimmen für die im Oktober anstehende Parlaments­wahl gewinnen, hieß es. Die rechtsextr­eme Partei „Goldene Morgenröte“machte gar eine ganz eigene Rechnung auf, Höhe: 400 Milliarden Euro.

Von Deutschlan­d sei ohnehin nichts zu erwarten, warnten hingegen andere Parlamenta­rier: „Die deutsche Seite ist der Meinung, dass sie das Thema mit der Zahlung von 160 Millionen Mark an die Opfer und der Aufnahme von rund 420 000 Gastarbeit­ern abgegolten hat“, sagte Opposition­spolitiker Vasilis Leventis.

Tatsächlic­h sieht Deutschlan­d das Thema als erledigt an; Berlin stützt sich dabei auf den 1990 zur Wiedervere­inigung unterzeich­neten Zweiplus-Vier-Vertrag. Der erwähnt zwar mögliche Reparation­en nicht explizit, aber in einem Papier der Wissenscha­ftlichen Dienste des Bundestags aus dem Jahr 2017 heißt es dazu: „Nach Ansicht der Bundesregi­erung (...) regelt der Vertrag

Endet der Streit vor dem Haager Gerichtsho­f?

gleichwohl auch Reparation­sansprüche.“

Etwaige Reparation­sansprüche seien „ausgelaufe­n, als der Zweiplus-Vier-Vertrag in Kraft trat“, heißt es in dem Dokument. Die Frage nach Reparation­en sei juristisch wie politisch abschließe­nd geregelt, sagte am Mittwoch auch Regierungs­sprecher Steffen Seibert.

Juristen und Historiker beider Länder sind sich jedoch uneins über das Anrecht der Griechen auf Reparation­en. Der Konflikt könnte schließlic­h vor dem Internatio­nalen Gerichtsho­f in Den Haag landen.

Kritiker der Reparation­sforderung­en spotten, dass sich das mit rund 350 Milliarden Euro verschulde­te Griechenla­nd mit seinen Forderunge­n der eigenen Schuldenla­st entledigen will.

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Archivfoto: dpa Belastete Geschichte: 2014 erinnerte der damalige Bundespräs­ident Gauck an ein Wehrmachts-Massaker im griechisch­en Dorf Lingiades.

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