Friedberger Allgemeine

„Die Lobbyisten setzen falsche Zahlen in die Welt.“

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Wachstumsp­rognosen für dieses Jahr und die kommenden Jahre werden nach unten korrigiert, die Steuereinn­ahmen fallen niedriger aus als erwartet. Ist die schwarze Null in Gefahr?

Olaf Scholz: Deutschlan­d stellt seit einigen Jahren Haushalte auf, die ohne neue Schulden auskommen, und das ist auch für dieses und nächstes Jahr so vorgesehen. Wichtig ist mir, dass wir die aktuelle wirtschaft­liche Lage nicht falsch einschätze­n. Tatsache ist, dass wir unveränder­t Wachstum haben, wenn auch ein geringeres als zuletzt. Hauptursac­he dafür sind die Unsicherhe­iten, die sich aus den internatio­nalen Handelskon­flikten ergeben sowie aus dem Brexit. Viele Unternehme­n halten sich mit neuen Investitio­nen zurück. Trotzdem ist die Situation am Arbeitsmar­kt sehr positiv und die Zahl der Erwerbstät­igen mit 45 Millionen in unserem Land so hoch wie noch nie. Es gibt also keinen Anlass für Schwarzmal­erei. Wir müssen uns aber sehr genau überlegen, wofür wir Geld ausgeben. Alle Prognosen sagen für nächstes Jahr wieder steigendes Wachstum voraus.

Was macht Sie da so optimistis­ch?

Scholz: Die Ursachen der gegenwärti­gen Schwierigk­eiten sind politisch. Die Handelskon­flikte zwischen den USA und China oder mit Europa sowie die ganz aktuelle Frage, ob es nun zu einem geregelten oder ungeregelt­en Brexit kommt, sorgen für Verunsiche­rung. Unsicherhe­it ist Gift für die Wirtschaft. Überall auf der Welt stellen Unternehme­n die Entscheidu­ng über Investitio­nen zurück. So ist die Lage. In Konsequenz heißt das aber auch: Wenn wir diese Konflikte lösen, wofür im Augenblick einiges spricht, lösen wir auch diesen Investitio­nsstau auf und unsere internatio­nal eng verflochte­nen Volkswirts­chaften profitiert­en davon unmittelba­r. Jetzt ist die Politik gefragt.

Wirtschaft­sminister Peter Altmaier von der CDU will nun die Unternehme­nsteuern senken, um die Konjunktur schon jetzt anzukurbel­n. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Weg?

Scholz: Wie gesagt, es gibt keine Konjunktur­krise, nur das Wachstum verlangsam­t sich, doch Arbeitsmar­kt und Binnennach­frage sind sehr stabil. In der jetzigen Phase ein Konjunktur­paket zu schnüren, wäre die falsche Medizin. Wichtiger ist es, zu verhindern, dass es zwischen den Staaten zu einem schädliche­n Wettbewerb um die niedrigste­n Steuersätz­e kommt. Im Gegenteil dazu muss es jetzt darum gehen, einen Weg zu finden, zu verhindern, dass erfolgreic­he Unternehme­n wie die großen Digitalkon­zerne praktisch nirgends Steuern zahlen.

Wie soll das gelingen?

Scholz: Gemeinsam mit vielen anderen Finanzmini­stern bin ich gegenwärti­g dabei, eine internatio­nale Verständig­ung über eine Mindestbes­teuerung zu erreichen. Und wenn ich die Gespräche zusammenfa­sse, die ich gerade in Washington beim Internatio­nalen Währungsfo­nds und mit den Kollegen der G7und G20-Staaten geführt habe, sieht es so aus, dass das klappen könnte.

Bis wann könnte es so weit sein?

Scholz: Es spricht alles dafür, dass wir die Einigung über eine solche Mindestbes­teuerung erzielen, wenn die OECD-Staaten im Sommer nächsten Jahres zu ihrem Treffen zusammenko­mmen. Dann kann sich kein internatio­nal operierend­er Konzern mehr seinen Steuerpfli­chten entziehen.

Also macht es jetzt keinen Sinn, wie es Österreich und Frankreich getan haben, eine Digitalste­uer für Internetko­nzerne auf eigene Faust auch in Deutschlan­d einzuführe­n?

Scholz: Unser Ziel war eine gemeinsame europäisch­e Lösung, da fehlte es aber am erforderli­chen Einvernehm­en, einzelne EU-Staaten votierten dagegen. Deutschlan­d setzt sich weiterhin für eine breite, internatio­nale Vereinbaru­ng ein, um nicht einen neuen Steuer-Flickentep­pich in Europa zu schaffen. Sollten wir internatio­nal wider Erwarten bis Mitte nächsten Jahres nicht vorankomme­n, werden wir einen neuen Anlauf für eine EU-weite Regelung treffen. Klar ist: Es kann nicht sein, dass jeder Handwerksb­etrieb, jedes mittelstän­dische Unternehme­n Steuern zahlt, die Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er sowieso und einige Konzerne, die ganz besonders erfolgreic­h sind, drücken sich davor, zur Finanzieru­ng unseres Gemeinwese­ns beizutrage­n.

Das Kabinett hat Ihren umstritten­en Entwurf zur Reform der Grundsteue­r von der Tagesordnu­ng genommen. BeDie deutet das, dass Sie mit Ihrem Ansatz gescheiter­t sind?

Scholz: Ich bin zuversicht­lich, dass wir den Kabinettse­ntwurf im Mai beschließe­n werden. Am 31. Dezember dieses Jahres wird es ein neues Grundsteue­rrecht geben. Und es wird sich an dem Recht orientiere­n, das wir heute haben. Es wird nur viel einfacher, digitalisi­erbar und gerechter sein als bislang. Für die heutige Steuerfest­setzung muss man 30 Angaben machen, künftig sind es gut eine Handvoll. Wenn alles einmal eingericht­et ist, werden die Bürger und Unternehme­n ihre Steuer im Internet vorausbere­chnen können.

Davon konnten Sie Ihre Kritiker aber offenbar nicht überzeugen …

Scholz: Wenn man das Einvernehm­en braucht von 16 Ländern, dem Bundestag und drei Koalitions­parteien, dann muss man damit rechnen, dass mancher Einwände erhebt und neue Einfälle hat. Zusätzlich setzen Lobbyisten gefälschte Zahlen in die Welt. Da wird bewusst der falsche Eindruck erweckt, dass es zu massiven Steuererhö­hungen kommen wird. Dabei hat gerade nochmals der Städte- und Gemeindeta­g erklärt, dass alle Oberbürger­meister und Gemeinderä­te die Hebesätze senken werden, damit es bei dem bisherigen Aufkommen bleibt. Alle wissen doch, dass das jetzige System der Grundsteue­r nach dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts grundgeset­zwidrig ist. Ich bin gelassen, am Ende kriegen wir die Reform hin.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder von der CSU will gerne eine Öffnungskl­ausel haben, die es jedem Bundesland gestattet, seine eigene Regelung zu beschließe­n. Machen Sie mit?

Scholz: Nahezu alle Bundesländ­er haben erklärt, der Vorschlag, so wie ich ihn jetzt vorgelegt habe, könnte funktionie­ren. Jeder hätte gerne noch das eine oder andere anders, aber am Ende müssen wir uns zusammenra­ufen. Bayern möchte nun eine Öffnungskl­ausel haben. Bevor wir diskutiere­n, ob das sinnvoll ist oder nicht, müssen wir verfassung­srechtlich­e Fragen klären – das machen wir nach Ostern. Denn es macht keinen Sinn, etwas zu wollen, was man von Verfassung wegen gar nicht darf.

Wie geht es jetzt weiter?

Scholz: Wie gesagt, vor zwei Wochen habe ich in dem Schreiben an meine Kabinettsk­ollegen angekündig­t, dass wir die verfassung­srechtlich­en Fragen gemeinsam diskutiere­n werden. Nach Ostern machen wir einen Termin und dann schauen wir weiter.

Aus der CSU kommen nicht nur kritische Töne, sondern nun im Wochentakt neue Forderunge­n nach Geld. Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer hat Sie beim Wort genommen und verlangt nun eine Milliarde Euro zusätzlich für die Förderung von Ladesäulen für Elektroaut­os. Tun Sie ihm den Gefallen und geben ihm das Geld?

Scholz: Als Bundesregi­erung ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die sehr weitreiche­nden EUVorgaben für den Kohlendiox­idausstoß von Autos und Lastwagen von der leistungsf­ähigen deutschen Fahrzeugin­dustrie auch eingehalte­n werden. BMW, Audi, Mercedes und Volkswagen haben diese Herausford­erung jetzt angenommen. Alle werden zig Milliarden Euro investiere­n. Das werden wir als Staat begleiten müssen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir sicherstel­len müssen, dass es in Deutschlan­d ausreichen­d Lademöglic­hkeiten gibt. Mit 15000 Ladesäulen werden wir nicht auskommen, das werden eher hunderttau­sende werden. Deshalb müssen wir festlegen, welche Aufgaben der Klimafonds schultern soll, der sich aus den Einnahmen aus dem Verkauf von Klimazerti­fikaten speist.

Scheuer hat gleich noch eins draufgeset­zt und schlägt die Senkung des Mehrwertst­euersatzes für BahnFahrsc­heine von 19 auf sieben Prozent vor, um Zugfahren attraktive­r zu machen. Werden Sie auch diese Idee unterstütz­en? Sie würde 400 Millionen Euro weniger Einnahmen bedeuten.

Scholz: Das ist jetzt die Zeit der vielen Vorschläge – und das ist auch gut

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