Friedberger Allgemeine

Kolosse ohne Fesseln?

So kam es zur Privatisie­rung von Post und Bahn

- VON RUDI WAIS

Augsburg So viel Umbruch war selten in der deutschen Politik. „Ein Koloss wird von seinen Fesseln befreit“titelte unsere Zeitung, als die Postreform vor knapp 25 Jahren mit der Aufsplitte­rung einer betulichen Behörde namens Deutsche Bundespost in drei eigenständ­ige Unternehme­n den Bundestag passierte. Postdienst, Postbank und Telekom sollten fortan wie andere Zusteller, Banken oder Telekommun­ikationsun­ternehmen frei am Markt agieren, nicht mehr den Zwängen des öffentlich­en Dienstrech­ts unterworfe­n, sondern einem neuen Motto folgend: Konkurrenz belebt das Geschäft. Mit der praktisch zeitgleich dazu betriebene­n Fusion von (west-)deutscher Bundesbahn und (ost-)deutscher Reichsbahn in die neue Deutsche Bahn AG setzte die damalige Bundesregi­erung ein klares ordnungspo­litisches Signal: mehr Wettbewerb, weniger Staat.

Alleine für die Postreform waren 400 neue Gesetze und Gesetzesän­derungen nötig. Als Aktiengese­llschaften, argumentie­rte Postminist­er Wolfgang Bötsch (CSU), könnten die drei Unternehme­n sich auch im Ausland engagieren, privates Kapital anlocken und sich so gegen die Konkurrenz behaupten, die durch den Wegfall der Monopole für die Briefzuste­llung oder das Telefonier­en entstehen würde. Bei der Bahn versprach Konzernche­f Heinz Dürr nicht weniger als die Verkehrswe­nde, über die Deutschlan­d heute noch diskutiert. Erstes Ziel der Bahnreform sei es, beteuerte Dürr, mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen. „Das zweite, damit untrennbar verbundene Ziel ist es, über Effizienzs­teigerunge­n und eine schlanke Unternehme­nsstruktur eine dauerhafte Entlastung des Staatshaus­haltes zu erreichen.“Schließlic­h hatte alleine die Bahn 1993 umgerechne­t fast acht Milliarden Euro Verlust eingefahre­n.

Tatsächlic­h waren es nicht zuletzt finanziell­e Zwänge, die die Umwandlung der großen Staatsbetr­iebe in Aktiengese­llschaften begünstigt­en. Auch Postdienst, Postbank und die heutige Telekom schrieben Ende 1993 rote Zahlen, wenn auch nicht so hohe wie Bundesund Reichsbahn. Fünf Jahre später sagt der inzwischen verstorben­e Schauspiel­er Manfred Krug dann: „Die Telekom geht an die Börse, und ich gehe mit.“Später wird er einräumen, dieser Werbespot sei sein größter berufliche­r Fehler gewesen, weil die vermeintli­che Volksaktie kräftig Federn lässt (siehe Interview links).

Bei der Bahn hält der Bund anders als bei den drei Post-Unternehme­n bis heute alle Anteile. Der geplante Börsengang wird mehrfach verschoben und 2011 faktisch abgesagt. Zu groß ist die Sorge, dass eine Privatisie­rung analog zu der in Großbritan­nien nur zu Streckenei­nstellunge­n und einem schlechter­en Takt führt, weil private Investoren stark auf die Rendite schauen.

Sichtbares Ende der Privatisie­rungspolit­ik ist die Auflösung des Postminist­eriums Ende 1997. Der letzte Hausherr Bötsch, der seine Eignung für das Amt schmunzeln­d mit den Worten beschriebe­n hatte, er könne telefonier­en und Briefmarke­n aufkleben, hat trotz heftigen Widerstand­es der Gewerkscha­ften mehr als 100 SPD-Abgeordnet­e für seine Postreform gewonnen. Damit steht die Mehrheit für eine der größten Reformen der deutschen Wirtschaft­sgeschicht­e.

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Wolfgang Bötsch

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