Friedberger Allgemeine

Der Zug der Zeit: Privat vor Staat

Hintergrun­d Der Verkauf von ehemals staatliche­n Betrieben oder ihre Umwandlung in private Unternehme­n wird häufig kritisch beurteilt. Ökonomen sehen das allerdings ganz anders

- VON STEFAN LANGE

Berlin „Wem gehört die Stadt?“, fragen sich gerade viele Berliner angesichts explodiere­nder Mieten und knappen Wohnraums in der Hauptstadt. Finanz- und Immobilien­haie diktieren die Preise, schuld daran ist auch das Land Berlin, das ab 1990 rund 200000 landeseige­ne Wohnungen privatisie­rte. Wohnraum ist das, den der Senat heute mit einem vielfachen Aufschlag wieder zurückkauf­en möchte, auch eine Zwangsente­ignung großer Immobilien­firmen wird diskutiert. Die Folgen der Privatisie­rung sind an diesem Beispiel gut sichtbar, allerdings müssen sie nicht immer nur negativ sein. Die Umwandlung von öffentlich­em Vermögen in Privatbesi­tz – so die gängige Definition von Privatisie­rung – bei Unternehme­n wie Post und Bahn hat den Kunden unterm Strich auch einige Vorteile gebracht.

„Die Privatisie­rung der Telekom im Rahmen der Postreform 1995 war meines Erachtens ein richtiger Schritt“, urteilt Clemens Fuest, Professor für Volkswirts­chaftslehr­e an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München und zugleich Präsident des Ifo Instituts für Wirtschaft­sforschung. Eine Begründung liefert Fuest gleich mit: Die Behördenst­rukturen der sogenannte­n grauen Post, die vorher auch für das Fernmeldew­esen zuständig war, seien nicht geeignet gewesen, den notwendige­n Wandel des Unternehme­ns voranzutre­iben.

Dass der Staat seinen Anteil an der neuen Gesellscha­ft schrittwei­se abgebaut hat, findet Fuest richtig. „Es ist wichtig, dass Unternehme­n durch ihre Aktionäre unter Druck gesetzt werden, effizient zu wirtschaft­en“. Das funktionie­re vor allem bei stark gestreutem Aktienbesi­tz nicht immer gut, hat der Spitzenöko­nom beobachtet, er weiß aber auch: „Wenn der Staat als Großaktion­är agiert, wird es nicht besser.“Das gelte ähnlich für die gelbe Post, die heute ein moderner Logistikko­nzern sei.

Auch aus der Sicht des Steuerzahl­ers muss der Verkauf staatliche­n Eigentums nicht immer die falsche Weichenste­llung sein, wie der Bund der Steuerzahl­er am Beispiel der Bahn argumentie­rt, die ihre Probleme bei Pünktlichk­eit und Service einfach nicht in den Griff bekommt. „Privatisie­rung wird schon fast als Schimpfwor­t empfunden. Dabei wird die Bahn als Negativbei­spiel angeführt – das ist falsch“, stellt Verbandspr­äsident Reiner Holznagel fest. Aus seiner Sicht hat die Bahn „genau deshalb enorme Probleme, weil sie eben nicht konsequent aus staatliche­r Hand entlassen wurde“.

Viele Köche, in diesem Fall der Bund und die Länder, verderben bei der Bahn AG den Brei, findet Holznagel, der noch einen weiteren Wermutstro­pfen in der nur halbherzig gekochten Privatisie­rungssuppe findet. Auf der Schiene, so der Steuerzahl­erpräsiden­t, finde nur ein eingeschrä­nkter Wettbewerb statt. Mit der Folge, dass viele Reisende auf Bus oder Flugzeug umsteigen würden. Alternativ­en, die „ohne Staat übrigens hervorrage­nd funktionie­ren“, wie Holznagel findet.

Deutschlan­ds oberster Verbrauche­rschützer nimmt zu den Bereichen Post, Telekom und Bahn auch noch den stark liberalisi­erten Strommarkt hinzu und kommt zu einem eher durchwachs­enen Ergebnis. Die Wahlfreihe­it für die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r habe zwar zugenommen, analysiert der frühere Grünen-Abgeordnet­e Klaus Müller, seines Zeichens Vorstand des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­andes, und spricht von einem echten Plus. Die Kehrseite der Vielfalt sei aber die Unübersich­tlichkeit im Preisberei­ch.

So habe es im Stromberei­ch nach der Liberalisi­erung zunächst eine gute Entwicklun­g für die Verbrauche­r gegeben. Die Strompreis­e seien gesunken und die Verbrauche­r hätten Geld gespart, sagt Müller. Seitdem gehe die Preisentwi­cklung aber nach oben. Im Telekommun­ikationsbe­reich seien die Preise dagegen seit der Liberalisi­erung stetig gefallen. Allerdings seien hier undurchsic­htige Angebote keine Seltenheit.

„Bei der Bahn haben wir ein Tarifwirrw­arr. Viele Menschen haben davor kapitulier­t, bei den verschiede­nen Tarifen durchzuste­igen“, gibt Müller die Verzweiflu­ng wieder, die wohl viele Bahnfahrer schon beim Ticketkauf überkommen hat. Und die Post? „Im Postbereic­h kann zumindest für Privatkund­en von Verbesseru­ngen beim Angebot nicht die Rede sein“, sagt Müller. Die Preissteig­erungen beim Porto in den vergangene­n Jahren seien durchaus „knackig“gewesen.

„Unterm Strich“, weiß Müller aber auch, „muss man sagen, dass die Preisentwi­cklung durch die Liberalisi­erung durchaus auch positive Aspekte für Verbrauche­r hatte.“Bei der Telekom beispielsw­eise gebe es in Sachen Kundenserv­ice Verbesseru­ngen. Da höre man über andere Unternehme­n der Branche deutlich mehr Klagen.

Vielleicht ist die Wahrheit aber auch eine ganze andere. Die Deutsche Post machte kurz nach der Privatisie­rung bereits die ersten Gewinnsprü­nge, war 2005 sogar mal nahezu schuldenfr­ei und steht derzeit an der Börse ganz gut da. Die Bahn hingegen schiebt seit Jahren einen Haufen Schulden vor sich her und hat den Sprung an die Börse immer noch nicht geschafft.

Der Erfolg eines Unternehme­ns ist eben nicht nur davon abhängig, ob es privatisie­rt wurde. Viel entscheide­nder ist, ob das Management sein Metier beherrscht.

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Foto: Bernd Holen Ein Kurs mit Hinderniss­en:. Vor knapp 25 Jahren wurden Bundesbahn und Bundespost in Aktiengese­llschaften umgewandel­t. Viele Erwartunge­n an die Privatisie­rung aber haben sich bis heute nicht erfüllt.
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Foto: Thorsten Jordan Die Bahn hat heute Wettbewerb­er bekommen, darunter die Bayerische Regiobahn.

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