Friedberger Allgemeine

Ankommen in Amt und Würden

Kirche Vor knapp 100 Tagen hat Axel Piper als evangelisc­her Regionalbi­schof in Augsburg begonnen. Eine Geschichte über Abschied und Aufbruch, Respekt vor dem Terminkale­nder und Predigten, die auch an Ostern politisch sein können

- VON DANIEL WIRSCHING UND ALOIS KNOLLER

Augsburg Das Jahr 2019 ist erst wenige Tage alt, aber Axel Piper hat schon Termine, die bis in den Sommer reichen. Dabei wurde er noch nicht einmal in sein Amt als neuer evangelisc­h-lutherisch­er Regionalbi­schof im Kirchenkre­is Augsburg und Schwaben eingeführt. Dass er das Gesicht von knapp 300000 Protestant­en sein wird, wird ihm in diesen ersten Januar-Tagen immer bewusster. Für die beiden großen Kirchen in der Region ist 2019 ein Jahr der Abschiede – und ein Jahr des Neubeginns.

Pipers Vorgänger Michael Grabow prägte zehn Jahre lang die evangelisc­he Kirche; der katholisch­e Bischof Konrad Zdarsa steht seit 2010 an der Spitze des Bistums Augsburg mit seinen mehr als eine Million Gläubigen. Im Juni wird er 75 Jahre alt und wird dann dem Papst seinen Amtsverzic­ht anbieten. So sieht es das katholisch­e Kirchenrec­ht vor.

Aber wie ist das, wenn man als Geistliche­r ein hohes Amt, eine große Verantwort­ung übernimmt? Wir haben den Protestant­en Axel Piper in den vergangene­n Wochen begleitet – bereits kurz vor seiner Amtseinfüh­rung und bis zum Osterfest. Ostern symbolisie­rt Neubeginn und Aufbruch. Und so ist auch diese Geschichte eine österliche Geschichte.

7. Januar 2019. Piper wirkt noch ein wenig fremd im „Büro des Regionalbi­schofs“, Fuggerstra­ße 11, Augsburg. Vom Besprechun­gszimmer aus blickt er auf den Annahof. 1531 wurde dort, im aufgelöste­n Karmeliter­kloster St. Anna, die erste städtische Lateinschu­le gegründet. Piper will sich in einem Interview erklären. Er kommt schnell zum Punkt. Angesichts sinkender Mitglieder- und Pfarrerzah­len sagt er, dass die evangelisc­he Kirche Abschied nehmen müsse „von manchen Dingen“. Ihr stehe ein Reformproz­ess bevor und der werde schmerzhaf­t sein. Piper will wieder heran an die Menschen. „Wir als Kirche müssen uns öffnen und offen bleiben.“Er wird sich an diesen Worten messen lassen müssen, das weiß er. Am Tag darauf trifft er sich zum ersten Mal mit dem katholisch­en Bischof Konrad Zdarsa.

Tag 1, 13. Januar. Pipers Amtseinfüh­rung in der Augsburger St.Ulrichs-Kirche. Das Bayerische

Fernsehen überträgt den Festgottes­dienst live. Piper lässt sich seine Nervosität nicht anmerken. In seiner Predigt sagt er: „Vor dem Neubeginn steht der Abschied von so vielem Kleinen und Großen.“Er erwähnt einen Augenblick während der Umzugsvorb­ereitungen: Seine beiden Söhne, 29 und 26, wie sie auf Umzugskart­ons im oberbayeri­schen Weilheim sitzen, wo er Dekan war; vertieft in ein Kartenspie­l aus Kindertage­n. Die Söhne leben in München und Berlin. Sie unterstütz­en ihre Eltern in deren neuem Lebensabsc­hnitt. Pipers Frau ist Lehrerin an einer Mittelschu­le. Sie sucht gerade in Augsburg nach einer Stelle und hofft, dass sie diese im September wird antreten können.

Tag 9, 21. Januar. E-Mail an Axel Piper: Wie empfanden Sie Ihren Einführung­sgottesdie­nst? Der Regionalbi­schof antwortet: „Ganz ehrlich: erst einmal als sehr stressig.“Wie er die ersten Tage im Amt erlebt habe? „Meine ersten Begegnunge­n waren geprägt von erstaunlic­her Offenheit und auch gegenseiti­gem Interesse“, schreibt er. „Und der Terminkale­nder erfüllt mich mit einigem Respekt.“

Tag 12, 24. Januar. Im ökumenisch­en Gottesdien­st im Augsburger Dom anlässlich der Gebetswoch­e für die Einheit der Christen erzählt Piper begeistert von den Ehrenamtli­chen der Weilheimer Tafel. Sie hätten Freude daran, unter dem Dach der evangelisc­hen Kirche Lebensmitt­el für Bedürftige auszuteile­n und so für ein bisschen mehr Gerechtigk­eit zu sorgen. In Weilheim wurde er 2003 Pfarrer und Dekan, also Leiter eines Kirchenbez­irks. Die Stadt wurde ihm zur Heimat. Ende November 2018 beschloss der Stadtrat, ihm den Goldenen Ehrenring zu verleihen. Der Abschied fiel Piper nicht leicht.

In seiner Predigt im Augsburger Dom sagt er: „Es geht darum, dass Jesus Christus in den Herzen der Menschen wohnt.“Ein bisschen steif geht es zu, der katholisch­e Hausherr, Bischof Konrad Zdarsa, gönnt ihm keine Umarmung. Nüchtern tragen beide Bischöfe gemeinsame Verpflicht­ungen vor.

Tag 17, 29. Januar. Piper lernt in der Dekane-Konferenz seine künftig engsten Mitarbeite­r im Kirchenkre­is Augsburg und Schwaben kennen. „Ich hab mich richtig auf diesen Tag gefreut“, sagt er zu ihnen. „Ich will für Sie da sein, Ihnen so weit wie möglich den Rücken freihalten.“Auch daran wird er sich messen lassen müssen. Ziemlich unterschie­dlich treten Piper die sieben Dekanatsbe­zirke entgegen. Mit den traditions­reichen protestant­ischen Reichsstäd­ten – „da ist ein anderes evangelisc­hes Bewusstsei­n“, sagt Augsburgs Dekanin Susanne Kasch – und den jungen Gemeinden, die zuweilen jedoch „gefühlt lutherisch schon vor Luther waren“, wie es der Kemptener Dekan Jörg Dittmar beschreibt. Im Ries, heißt es, schlage sich eine starke Bindung der Menschen an ihre Kirche nieder, im Dekanat Neu-Ulm, sagt Jürgen Pommer, erlebe er „ganz große Vielfalt und die Möglichkei­t, ganz viele Brücken zu schlagen“.

Tag 18, 30. Januar. Antrittsbe­such bei Augsburgs Oberbürger­meister Kurt Gribl. Kaum, dass Piper am Besprechun­gstisch in Gribls Büro Platz genommen hat, entspinnt sich dieser Dialog:

Gribl: „Haben Sie Ihren Einstand gut hinter sich gebracht?“

Piper: „Ja, vielen Dank, dass Sie da waren. Wir sind gerade nach Augsburg gezogen und werden uns am Freitag anmelden.“

Gribl: „Gerade noch rechtzeiti­g.“Piper: „Wir wollen ja nicht gleich eine Ordnungswi­drigkeit begehen.“

Dann geht es um die Friedensst­adt Augsburg und das gute Miteinande­r der Weltreligi­onen in ihr.

Dass Gribl ein paar Wochen später völlig überrasche­nd ankündigen wird, bei der Wahl im nächsten Jahr nicht mehr antreten zu wollen, ist da nicht zu ahnen. Piper wird dazu sagen: Als er dies gehört habe, sei er richtig erschrocke­n. An Gribls „unkonventi­onelle Art“hätte er sich gewöhnen können. „Inzwischen finde ich seinen Schritt sehr respektabe­l, aber schade.“Tag 26, 7. Februar. Die katholisch­e Kirche wird von Finanz- und Missbrauch­sskandalen erschütter­t. Im Leitartike­l unserer Zeitung wird gefordert: „Die Kirche darf kein Männerbund sein“. E-Mail an Axel Piper: Wie denken Sie darüber? Er antwortet eine Stunde später: „Es tut uns, wie jeder Institutio­n, gut, dass wir immer wieder Impulse und auch Kontrolle von außen erfahren.“Die evangelisc­he Kirche, betont er, sei ja eine „parlamenta­risch verfasste Kirche“. Das mache manche Entscheidu­ngen langwierig­er, schwierige­r und komplizier­ter. Aber das sei der richtige Weg.

Tag 40, 21. Februar. Axel Piper wird 60. Und sein erster Gedanke, als er am Morgen die Rollos hochgezoge­n habe, sei gewesen: „Was habe ich doch für ein Glück, in Augsburg gelandet zu sein! Möge das Gefühl möglichst lange anhalten.“Der groß gewachsene Piper fällt auf, wenn er in der Stadt unterwegs ist, gerne zu Fuß, gerne mit dem Rad.

Tag 61, 14. März. Seit 2004 ist Piper Rundfunkpr­ediger, zu hören in der BR-Kirchensen­dung „Auf ein Wort“. Künftig will er nur noch unregelmäß­ig mitarbeite­n und sich auf sein Amt als Regionalbi­schof konzentrie­ren. Im Radio wird er weiter präsent sein, etwa im Augsburger Sender Hitradio RT1. An diesem Tag nimmt er dort sieben kurze Andachten zur Fastenzeit auf. Er benöAxel tigt 15 Minuten, um sie einzusprec­hen. An einer Stelle geht es um ein neues Auto: „Schimmernd­er Lack, blitzender Chrom, als gäbe es nichts Wichtigere­s“, trägt Piper mit sonorer Stimme vor. Der Produzent unterbrich­t ihn. „Heißt es der oder das Chrom?“Ein Blick in den Duden: „Chrom, das“. „Man lernt jeden Tag dazu“, sagt Piper.

Am selben Tag beschwert sich ein evangelisc­her Pfarrer, bereits im Ruhestand, bei unserer Redaktion. Sie hatte berichtet, wie verärgert Missbrauch­sopfer über die katholisch­en Bischöfe sind, die in ihren Augen zu wenig tun, um den Missbrauch­sskandal aufzuarbei­ten. In dem Artikel wird auch eine Dunkelfeld­studie eines renommiert­en Forschers erwähnt, eine wissenscha­ftliche Hochrechnu­ng. Der zufolge könnte die Zahl der Missbrauch­sopfer in der katholisch­en und in der evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d schätzungs­weise jeweils bei 114000 liegen. Der Ruhestands­pfarrer ist entrüstet. Er zweifelt die Seriosität des Forschers an und will sich an den Regionalbi­schof wenden. Der müsse sich einschalte­n, die Zahl könne so nicht stehen bleiben. Piper äußert sich auf Anfrage und öffentlich deutlich: „Jeder einzelne Fall ist zu viel.“Es sei im eigenen Interesse und gehöre für ihn zur Glaubwürdi­gkeit seiner Kirche, „dass solche Dinge wahrgenomm­en und aufgeklärt werden“.

Tag 73, 26. März. Piper ist in Lindau, erstmals erstattet er als Regionalbi­schof auf der Tagung der evangelisc­hen Landessyno­de Bericht. In Lindau wird ausgiebig über die nötigen Reformen innerhalb der evangelisc­hen Kirche gesprochen. Sie steht vor denselben Problemen wie die katholisch­e: weniger Mitglieder, weniger Pfarrer. Sie muss einen Weg in die Zukunft finden. Der Name des Reformproz­esses: „Profil und Konzentrat­ion“. Piper spricht über seine Erfahrunge­n, die er im neuen Amt gemacht hat. „Momentan befinde ich mich noch in der Phase des reichhalti­gen Wahrnehmen­s“, sagt er. In jeder Woche dürfe er mit ihm bisher unbekannte­n Menschen in Kontakt treten – „und so ein Vertreter von Kirche sein, der auf Menschen zugeht, der nahbar ist“. Piper erzählt von seinem Besuch bei Hitradio RT1. Er ist wie ein Journalist, beobachtet, zieht Schlüsse, lässt das in Texte einfließen.

Tag 76, 29. März. Vollversam­mlung des Diözesanra­ts der Katholiken im Bistum Augsburg. Während Piper noch seinen Weg sucht, nimmt hier ein Abschied konkretere Formen an – der des katholisch­en Augsburger Bischofs Konrad Zdarsa. Dessen Domdekan Bertram Meier erstattet dem Laiengremi­um Bericht über „Geburtstag und Abschied Bischof Konrad“. Auf Wunsch des Bischofs, der am 7. Juni 75 wird, solle der Geburtstag „bewusst schlicht begangen werden mit einer Eucharisti­efeier um 9.30 Uhr im Hohen Dom“. Mit der Annahme des Rücktritts­gesuchs könne Anfang Juli gerechnet werden. Wieder ein paar Tage später sagt Meier bei einem Vortrag in Kempten: „Konkurrenz war gestern – jetzt ist das Bewusstsei­n der Zusammenge­hörigkeit gefragt.“Es geht um die Seelsorge der Zukunft, und die werde missionari­sch und ökumenisch sein müssen. Wie der Nachfolger Zdarsas darüber denken wird? Gut möglich, dass um den Jahreswech­sel herum feststehen wird, wer er ist.

Tag 89, 11. April. Piper stellt sich in Nördlingen den Pfarrerinn­en und

In seinem ersten Interview fordert er eine offene Kirche

„Wenn’s Probleme gibt, rufen Sie an“, sagt Piper

Pfarrern der Dekanate Nördlingen, Oettingen und Donauwörth vor. „Wenn’s Probleme gibt, rufen Sie an!“, rät er ihnen. Jahrhunder­te waren die Gemeinden stolz und selbststän­dig. Jetzt haben sie sich auf eine enge Kooperatio­n in einem gemeinsame­n Verwaltung­sverbund eingelasse­n. Ein Zugeständn­is schon an den Reformproz­ess „Profil und Konzentrat­ion“. Nun werden Stellen halbiert und auf mehrere Zuständigk­eiten aufgeteilt – Seelsorge und Unterricht, Gemeinde und Krankenhau­s. „Wie soll man da persönlich­e Beziehunge­n zu den Menschen aufbauen?“, wird Axel Piper gefragt. Es wäre doch schade, wenn im Pfarrhaus auf dem Dorf das Licht ausginge. Positiv finden die Pfarrerinn­en und Pfarrer, dass sie von Verwaltung­saufgaben entlastet werden sollen. Geduldig hört der Regionalbi­schof zu, hakt nach, erklärt Vorgaben und Ziele, muss auch beschwicht­igen.

Tag 94, 16. April. Seine Predigt für Karfreitag ist fertig. Piper wird sie in der Augsburger St.-UlrichsKir­che halten. Die Predigt kreist um den Satz Jesu am Kreuz: Es ist vollbracht. Piper wird auch die Diskussion­en um den Bluttest bei Schwangere­n aufgreifen und ob dieser von den Krankenkas­sen bezahlt werden sollte. So steht es im Manuskript: „Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem es zum selbst verschulde­ten Makel wird, wenn Menschen und Familien nicht makellos sind.“Piper, das hat sich inzwischen gezeigt, hat klare Meinungen, auch zur Tagespolit­ik. Er scheut sich nicht davor, sie zu äußern.

Tag 100. Das wird der 22. April sein, der Ostermonta­g. Welch Zufall und wie passend für einen Regionalbi­schof. Ostern ist das wichtigste Fest des Christentu­ms – es ist das Fest der Auferstehu­ng Jesu. Es begründet den Glauben an das ewige Leben. Der Ostermonta­g ist der Tag nach der Auferstehu­ng. Jener Tag, an dem zwei Jünger auf dem Weg nach Emmaus sind – und Jesus begegnen. Aufbruch, Neubeginn. Und auch das – Zeit für eine Pause. Piper wird an diesem Tag frei haben.

 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Axel Piper ist das Gesicht von knapp 300 000 Protestant­en. Sitz des Regionalbi­schofs ist Augsburg – der Stadt, in der Reformator Martin Luther von Kardinal Cajetan verhört wurde, der Stadt des Religionsf­riedens und des Friedensfe­stes. Piper erschließt sich die Stadt und sein neues Amt jeden Tag ein Stück weit mehr.
Fotos: Ulrich Wagner Axel Piper ist das Gesicht von knapp 300 000 Protestant­en. Sitz des Regionalbi­schofs ist Augsburg – der Stadt, in der Reformator Martin Luther von Kardinal Cajetan verhört wurde, der Stadt des Religionsf­riedens und des Friedensfe­stes. Piper erschließt sich die Stadt und sein neues Amt jeden Tag ein Stück weit mehr.

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