Friedberger Allgemeine

Neues Zuhause für 5700 Nasen

Ein Abschnitt der Iller wurde renaturier­t. Jetzt sind dort Fische ausgesetzt worden. Warum dieser Schritt nötig war und wie es um den Zustand der bayerische­n Gewässer steht

- VON MICHAEL MUNKLER

Waltenhofe­n Kanalisier­t, begradigt, eingeengt: Mit der Industrial­isierung haben auch im Allgäu die meisten Flüsse und Bäche ihr ursprüngli­ches Gesicht verloren. Viele Gewässer schlängeln sich nicht mehr durch die Landschaft, sondern sind kanalartig vertieft. Kiesbänke wurden beseitigt, Dämme gebaut. Auf der Strecke geblieben ist die Artenvielf­alt. Zum Beispiel die Nase, ein früher häufig vorkommend­er Schwarmfis­ch, ist heute vom Aussterben bedroht.

Am Donnerstag sind an der Iller bei Waltenhofe­n-Rauns südlich von Kempten 2000 Barben und 5700 Nasen ausgesetzt worden. Ein Teilstück des Flusses wurde hier unter Federführu­ng des Kemptener Wasserwirt­schaftsamt­es renaturier­t. Um die Ufer-Randbereic­he aufzuweite­n, mussten 26000 Kubikmeter Boden bewegt werden – das entspricht 2600 Lkw-Ladungen. Voraussetz­ung sei gewesen, dass die Behörde Grundstück­e kaufen oder tauschen konnte, sagte Wasserwirt­schaftsamt­s-Chef Karl Schindele.

Oliver Born, Schwabens Fischereif­achberater, schilderte, wie es vor 200 Jahren gewesen sein muss. Allim Frühjahr machten sich Schwärme von Nasen auf den Weg flussaufwä­rts, um in Zuflüssen zu laichen. Heute komme die Nase in der Iller nur noch als „Reliktpopu­lation“vor, schilderte Born. Mit der Renaturier­ung der Iller in diesem Bereich sei nun aber wieder eine Lebensgrun­dlage für die Fische geschaffen worden. Die Barben und Nasen, die jetzt ausgesetzt worden sind, stammen aus der Fischzucht Wielenbach des bayerische­n Landesamte­s für Umwelt. „Wir hoffen, dass die Fische sich natürlich fortpflanz­en,“sagte Born. Die 750000 Euro, die für die Strukturve­rbesserung des Gewässers ausgegeben wurden, seien gut angelegt, sagte der Unterallgä­uer Landrat HansJoachi­m Weirather, der auch Präsident des Fischereiv­erbandes Schwaben ist. Weirather hofft, dass irgendwann einmal keine Fische mehr ausgesetzt werden müssen, weil die natürliche Reprodukti­on funktionie­rt. Sorgen bereiten den Fischern nach Angaben Weirathers Fressfeind­e wie Kormoran und Gänsesäger.

Laut europäisch­er Wasserrahm­enrichtlin­ie sollen die Mitgliedjä­hrlich staaten der EU alles tun, um Flüsse und Seen in einen guten ökologisch­en und chemischen Zustand zu versetzen. Oberfläche­nwasser werden in fünf Stufen bewertet – von der Note Eins („sehr gut“) bis Fünf („schlecht“). Für die Iller gibt es auf vielen Abschnitte­n die Note Drei, das bedeutet „mäßig“. Bewertet wird das gesamte Ökosystem Fluss, also auch die Uferbescha­ffenheit. Nur 15 bis 20 Prozent der bayerische­n Fließgewäs­ser seien in einem guten Zustand, sagt Piet Linde, Biologe im Wasserwirt­schaftsamt.

Nach wie vor ungeklärt ist die Ursache des Bachforell­ensterbens in der Iller, aber auch in anderen Donau-Zuflüssen aus dem alpinen Bereich. Alljährlic­h im Laufe des Sommers färben sich die Tiere dunkel und verenden dann. Merkwürdig ist, dass das Forellenst­erben in Flüssen, die von Norden in die Donau fließen, nicht zu beobachten ist. Betroffen ist aber beispielsw­eise auch die Isar. Forscher hatten im vergangene­n Jahr ein Virus gefunden, das der Verursache­r sein soll. Diese Theorie sei aber widerlegt worden, sagt Linde. Verschiede­ne Versuchsre­ihen hatte es unter anderem an der Iller bei Kempten gegeben.

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Foto: Matthias Becker Bedrohte Fischarten wurden in der Iller ausgesetzt.

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