Unlauter
Im Juristendeutsch gibt es ja lauter seltsame Formulierungen und sperrige Wortungetüme, so krumm wie das Paragrafenzeichen §. Aber es findet sich auch tadellose Eleganz wie beispielsweise das „Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb“. Darin steckt die Lauterkeit, althochdeutsch „lüterkeit“, die für Anständigkeit steht. Dementsprechend bedeutet unlauter so viel wie unanständig, unehrlich, betrügerisch. Neben einigen anderen Vergehen wirft die Staatsanwaltschaft Braunschweig dem Ex-VW-Chef Martin Winterkorn laut Anklageschrift im Zusammenhang mit Diesel-Betrügereien unlauteren Wettbewerb vor. Albrecht Dürer hatte zwar keinen Führerschein, aber auch der wusste bereits: „Kein Ding schwächt die Vernunft mehr als Unlauterkeit.“Siehe auch unlautere Werbung.
Die Braunschweiger Anklage führt das Wort unlauter ans Licht der Öffentlichkeit, wo es als scheues, selten auftretendes Wesen zu identifizieren ist. Jedenfalls ist öfter von „Lautern“die Rede (Dritte Liga, der 1. FC Kaiserslautern) als von Lauterkeit oder Unlauterkeit. Und wem wird heute noch lautere Absicht oder eine lautere Gesinnung unterstellt? Lauter ist durch gut ersetzt – wie auch im Fall des lauteren Charakters. Was den bußfertigen Weg von der Schändlichkeit zur Lauterkeit angeht, so steht er allen offen, die gefehlt haben. Solcherart „Geläuterte“gelten als immun gegen unlautere Absichten. Ob Martin Winterkorn geläutert ist oder nicht, spielt hier keine Rolle – die Lauterkeit seines Verhaltens an der VW-Spitze haben Gerichte zu prüfen. Wer immer leise Zweifel hegt und Laut gibt in der Causa, möge ein Urteil abwarten und bis dahin die Unschuldsvermutung gelten lassen, sich also gedulden. Nicht nur Herrn Winterkorn legen wir ans Herz, was einst der Augustinermönch und Mystiker Thomas a Kempis (er starb 1471 und gilt als unlauterer Machenschaften unverdächtig) äußerte: „Mit zwei Flügeln erhebt sich der Mensch vom Irdischen: Der Einfalt und der Lauterkeit.“Mit vier Rädern und Dieselmotor unter der Haube aber ist kein Himmelreich erreichbar.