Die Zukunft der Menschheit
Serie Unsterblich, überirdisch – würdelos? Die Frage, was der Fortschritt aus uns machen wird, hat viel mit der Osterbotschaft zu tun. Denn es geht um die Grenzen des Menschseins
Das wissenschaftliche Weltbild sagt: Der Mensch ist ein Wesen der Erde, sterblich und durch Selbstreflexion zu Vernunft und Moral befähigt – Subjekt der Freiheit. Die christliche Osterbotschaft sagt: Der Mensch ist ein Geschöpf Gottes und darf hoffen, nach dem Tod auf Erden in ein ewiges Leben erweckt zu werden – allein durch Gottes Gnade.
Der technische Fortschritt sagt: Ihr solltet euch besser auf einige Möglichkeiten mehr gefasst machen. Und stellt alles grundlegend infrage. Wissen und Glauben. Auf dem Weg zu einem neuen Menschsein. Alles scheint dabei möglich, vom Verlust der Würde bis zur Selbstvergöttlichung. Willkommen also an der Schwelle zum Zeitalter des Posthumanismus. Höchste Zeit, sich Gedanken zu machen.
Angesichts der Größe und der Dringlichkeit der Fragen sind kundige Begleiter dabei wichtig. Fragen wir also mit dem führenden Technik-Philosophen und dem StarPhysiker unserer Zeit, einem Anthropologen und einem Juristen, mit Deutschlands bester GesellschaftsSeziererin und dem aktuellen Weltbestseller der Science-Fiction. Von ihnen allen sind engagierte neue Bücher erschienen über: die Zukunft der Menschheit. Und zum Besonderen des Untersuchungsgegenstands zählt ja, dass es zur Erkenntnis des Wesentlichen in diesem speziellen Fall ganz egal ist, ob es sich dabei um Roman oder Sachbuch handelt.
Und es muss mit dem Anthropologen beginnen. Denn als Erforscher der Menschheitsgeschichte kann er beurteilen, wie wesentlich und umfassend die Veränderungen sind, die sich am Beginn des 21. Jahrhunderts ankündigen. Der Pariser Professor Marc Augé ist zudem einer, der damit bekannt geworden ist, sich über reine Fachbefunde hinauszuwagen. Zuletzt beschrieb er im hübschen Büchlein „Das Glück des Augenblicks“(C. H. Beck, 139 S., 16 ¤), wie der Mensch zu sich komme in einer Kombination aus innerem Empfinden des eigenen Leibes, Glaube an seine Freiheit in Verbindung zu Umwelt und Mitmensch – und sobald alle Menschen den Weg dieser Bewusstwerdung einschlügen, wäre das „Entwurf und Versprechen einer besseren Zukunft“.
Amen, möchte man da sagen und sich jedenfalls nicht wundern, dass dieser Marc Augé, wenn er aber nun konkret über „Die Zukunft der Erdbewohner“nachdenkt, sich Sorgen macht. Denn die sich abzeichnenden, dramatischen Veränderungen beträfen den Menschen in jeder Dimension seiner Existenz: als Einzelner, als Kultur und als Gattung. Der Mensch wird ein anderer, die menschliche Gesellschaft wird eine andere und die Menschheit wird anders. Und der Anthropologe appelliert in seinem Manifest, es komme dabei vor allem auf eines an, um dabei einen Verfall der Menschlichkeit zu vermeiden: Bildung für eine global geeinte Gemeinschaft. Dass alle also möglichst in Wissen und Vernunft geeint den Wandel gestalten könnten. Wenn das Glück nämlich im Zusammenspiel von Leib, Freiheit und Umwelt entstünde – das Unglück würde bedeuten, wenn die Menschheit immer weiter zerfiele in wenige Mächtige, eine Masse von Konsumenten und das immer größere Heer der Ausgeschlossenen …
Die Gesellschaft
Gerade beim drohenden Unglück würde Sibylle Berg als Künstlerin zum Wissenschaftler Augé sagen: Willkommen in der Wirklichkeit! Die ist als Kolumnistin und Literatin ja ohnehin das Wuchtigste, was Deutschland an Zeitanalyse zu bieten hat, liefert mit „GRM – Brainfuck“aber nun ihr Meisterstück, den vielleicht besten Roman des Frühjahrs. Der eigentümliche Titel verweist auf das bei Kids angesagte, wütende Musikgenre des Grime, denn in Bergs Buch stehen vier der persönlich vernachlässigten und als Generation leider zu spät kommenden Jugendlichen im Zentrum, der Ausgeschlossenen also. Es ist die nahe Zukunft, es ist das aus der EU ausgetretene Großbritannien – und es ist die bloße Verdichtung bereits gegenwärtiger Phänomene, die hier in eine Hölle führen. Das System der digitalen Gesellschaftsüberwachung und -lenkung ist durch den wirtschaftlichen Siegeszug über China hinaus umgesetzt – und wer sich registriert und damit seine Daten verfügbar macht, bekommt ein Grundeinkommen. Klingt doch gut?
Reicht aber bei steigenden Lebenshaltungskosten immer weniger, zumal sich auch Krankenkassen nur noch da etwas übernehmen, wo es sich auch lohnt – also bei Menschen, die der Gesellschaft noch was bringen. All die durch die Automatisierung von Arbeit überflüssig Gewordenen, wie auch die aus aller (zusehends unwirtlicher werdenden) Welt Fliehenden – sie sind überflüssig, ihr Sterben wird begünstigt, wäre nämlich für die Gesellschaft befreiend. Das organisiert in Sibylle Bergs literarisch umwerfendem Roman eine das Effiziente und Beste errechnende künstliche Intelligenz.
Aber – was die Relevanz dieser Vision zeigt: nicht nur da. Auch im clever konstruierten Buch des deutsch-iranischen Juristen Bijan Moini gibt es dieses durch Datenverkauf finanzierte Grundeinkommen und den Superrechner, hier titelgebend „Der Würfel“genannt. Die absolute Mehrheit bei einem Referendum hat ihn in die gesellschaftsgestaltende Position gebracht. Die künstliche Intelligenz ermöglicht den gechipten Konsumenten die individuelle Gestaltung der Wirklichkeit über Linsen und Kopfhörer: Wer etwa abnehmen will, bekommt einfach keine Pommes-Buden mehr angezeigt. Und jeder kann sein Aussehen für die Wahrnehmung anderer nach Belieben einstellen. Was dem Juristen Moini wichtig ist: Die Herrschaft ist frei gewählt und hat für die, die mitmachen, viele Vorteile, etwa in Wohlstand und Gesundheit. Aber nicht für die, die nicht mitmachen. Die etwa aus religiösen Gründen in Demut vor Gott als einzigem Weltgestalter lieber analog leben wollen. Manche werden im Namen der Selbstbestimmung zu Widerstandskämpfern gegen „das System“. Was aber, wenn die meisten auf diese Freiheit gar keinen Wert legen, sondern eine perfektionierte auf ihre Vorlieben abgestimmte Wirklichkeit bevorzugen? Ist die objektive Logik der Maschine nicht verlässlicher als die politische Willkür des Menschen und die Unvernunft der Macht?
Der Einzelne
Der Oxford-Philosoph Nick Bostrom, der zudem ein ganzes Institut zur Forschung für die Zukunft der Menschheit leitet, hat vor einigen Jahren aufsehenerregend davor gewarnt, die Zukunft des Menschen in die Hände einer überlegenen künstlichen „Superintelligenz“zu legen. Wenn schon jemand an die Stelle Gottes tritt, dann sollte es schon der Mensch bleiben. Aber der sollte dann auch, so Bostrom, sein Amt auch möglichst unverzagt übernehmen. Mit Lust zum neuen Menschen, zum Posthumanismus also. Im Buch „Die Zukunft der Menschheit“zeigt der Brite, was wohl alles möglich sein wird: das Ausrotten von Krankheiten, das Stoppen des Alterns, die Erhöhung der Lebenserwartung auf tausend Jahre, wenn nicht bis zur Unsterblichkeit; und die Perfektionierung der Persönlichkeit. Bostrom beschreibt, wie (bio-)technische „Enhancements“an Körper und Geist – wörtlich also Verbesserungen – für bessere Konzentration und für bessere Regeneration, mehr Kunstverständnis und ein ausgeglicheneres Gemüt, intensiveres Erleben und besseres Denken sorgen könnten und auch zum Entwickeln ganz neuer Talente.
Neue, bislang ungeahnte Lebensqualitäten im Posthumanismus also, die ja auch zur Lösung unserer gesellschaftlichen Probleme in Wirtschaft, Politik und Ökologie beitragen könnten. Bostrom fragt: Warum sollten wir uns das versagen? Weil es sich vielleicht nicht alle leisten könnten? Als hätte es nicht immer Ungleichheit gegeben… Wer hier jedenfalls Probleme mit der Würde des Menschen oder dem Überschreiten ethischer Grenzen wähnt, ist für Bostrom ein „Biokonservativer“. Und wer sich fragt, was den Menschen dann noch als Person und Charakter ausmache, wenn sich jeder im Prinzip alles durch „Enhancements“aneignen kann – der wird wohl fragen lassen müssen, ob er seinem Kind die Verbesserung vorenthalten wird, wenn dieses im Kreis der optimierten Kameraden nur so mithalten kann? Falls die Eltern sich das leisten können…
Die Gattung
Und was Bostrom für den Einzelnen sieht, sieht der Star-Physiker Mikio Kaku dann für die Menschheit. Was möglich werden wird, hat er im Alltäglichen bereits in Bestsellern wie „Die Physik der Zukunft“entworfen – jetzt beschreibt der New Yorker Professor und Vater der StringTheorie, dass der neue, verbesserte Mensch und die künstliche Intelligenz eben nicht als Probleme zu sehen seien, sondern als die Chancen, alle noch viel größeren Beschränkungen loszuwerden. Das 21. Jahrhundert könnte so statt zur Epoche von Krisen und Kriegen zum Zeitalter des Aufbruchs ins All werden. In einen „Abschied von der Erde“. Statt ein „hässliches, brutales und kurzes“Leben zu erdulden, könnte der Posthumanismus zur „Evolution von Intelligenz im Universum“beitragen. Für Kaku ist das ohnehin keine Frage des ethischen Ja oder Nein, sondern bloß eine Frage, ab wann es technisch machbar ist – und wie der Mensch damit nicht nur den Klimawandel, sondern auch die Explosion der Sonne überleben kann: unsterblich und überirdisch, selbst Gott, als wahre Energiewunder vollbringende „Typ-IV-Zivilisation“. Los könnte es ab 2050 bereits auf dem Mars gehen …
Was wir aber im Weltraum finden wollen? Frei nach dem Anthropologen Augé gefragt: Neben dem Überleben auch das Glück? Der aktuelle Weltbestseller der Science-Fiction erzählt da jedenfalls ganz anderes. Gerade ist mit „Jenseits der Zeit“der abenteuerliche Abschluss der „Trisolaris“-Trilogie des Chinesen Cixin Liu erschienen – und darin errichtet die Menschheit Jahrhunderte nach unserer Zeit ein gigantisches Kreuz im Weltraum, um gemeinsam gegen die Ausrottung beten zu können. Denn unsere Nachfahren haben auf gar nicht freundliche Weise festgestellt, dass sie längst nicht allein sind im Universum – und hoffen nun, dass der, dessen Schöpfung sie vor immer neue Rätsel stellt, die sie immer nur dank kleiner Wunder zu lösen vermögen, doch existieren und ihnen beistehen möge: Gott. Wenn sie dann aber wieder aus dem Gröbsten raus sind, die Menschen, einen Schritt weiter auf dem Weg zu neuen Ufern, dann vertrauen sie, von Glück erfüllt, wieder ganz auf die eigene Vernunft und Macht…