Friedberger Allgemeine

Die Zukunft der Menschheit

Serie Unsterblic­h, überirdisc­h – würdelos? Die Frage, was der Fortschrit­t aus uns machen wird, hat viel mit der Osterbotsc­haft zu tun. Denn es geht um die Grenzen des Menschsein­s

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Das wissenscha­ftliche Weltbild sagt: Der Mensch ist ein Wesen der Erde, sterblich und durch Selbstrefl­exion zu Vernunft und Moral befähigt – Subjekt der Freiheit. Die christlich­e Osterbotsc­haft sagt: Der Mensch ist ein Geschöpf Gottes und darf hoffen, nach dem Tod auf Erden in ein ewiges Leben erweckt zu werden – allein durch Gottes Gnade.

Der technische Fortschrit­t sagt: Ihr solltet euch besser auf einige Möglichkei­ten mehr gefasst machen. Und stellt alles grundlegen­d infrage. Wissen und Glauben. Auf dem Weg zu einem neuen Menschsein. Alles scheint dabei möglich, vom Verlust der Würde bis zur Selbstverg­öttlichung. Willkommen also an der Schwelle zum Zeitalter des Posthumani­smus. Höchste Zeit, sich Gedanken zu machen.

Angesichts der Größe und der Dringlichk­eit der Fragen sind kundige Begleiter dabei wichtig. Fragen wir also mit dem führenden Technik-Philosophe­n und dem StarPhysik­er unserer Zeit, einem Anthropolo­gen und einem Juristen, mit Deutschlan­ds bester Gesellscha­ftsSeziere­rin und dem aktuellen Weltbestse­ller der Science-Fiction. Von ihnen allen sind engagierte neue Bücher erschienen über: die Zukunft der Menschheit. Und zum Besonderen des Untersuchu­ngsgegenst­ands zählt ja, dass es zur Erkenntnis des Wesentlich­en in diesem speziellen Fall ganz egal ist, ob es sich dabei um Roman oder Sachbuch handelt.

Und es muss mit dem Anthropolo­gen beginnen. Denn als Erforscher der Menschheit­sgeschicht­e kann er beurteilen, wie wesentlich und umfassend die Veränderun­gen sind, die sich am Beginn des 21. Jahrhunder­ts ankündigen. Der Pariser Professor Marc Augé ist zudem einer, der damit bekannt geworden ist, sich über reine Fachbefund­e hinauszuwa­gen. Zuletzt beschrieb er im hübschen Büchlein „Das Glück des Augenblick­s“(C. H. Beck, 139 S., 16 ¤), wie der Mensch zu sich komme in einer Kombinatio­n aus innerem Empfinden des eigenen Leibes, Glaube an seine Freiheit in Verbindung zu Umwelt und Mitmensch – und sobald alle Menschen den Weg dieser Bewusstwer­dung einschlüge­n, wäre das „Entwurf und Verspreche­n einer besseren Zukunft“.

Amen, möchte man da sagen und sich jedenfalls nicht wundern, dass dieser Marc Augé, wenn er aber nun konkret über „Die Zukunft der Erdbewohne­r“nachdenkt, sich Sorgen macht. Denn die sich abzeichnen­den, dramatisch­en Veränderun­gen beträfen den Menschen in jeder Dimension seiner Existenz: als Einzelner, als Kultur und als Gattung. Der Mensch wird ein anderer, die menschlich­e Gesellscha­ft wird eine andere und die Menschheit wird anders. Und der Anthropolo­ge appelliert in seinem Manifest, es komme dabei vor allem auf eines an, um dabei einen Verfall der Menschlich­keit zu vermeiden: Bildung für eine global geeinte Gemeinscha­ft. Dass alle also möglichst in Wissen und Vernunft geeint den Wandel gestalten könnten. Wenn das Glück nämlich im Zusammensp­iel von Leib, Freiheit und Umwelt entstünde – das Unglück würde bedeuten, wenn die Menschheit immer weiter zerfiele in wenige Mächtige, eine Masse von Konsumente­n und das immer größere Heer der Ausgeschlo­ssenen …

Die Gesellscha­ft

Gerade beim drohenden Unglück würde Sibylle Berg als Künstlerin zum Wissenscha­ftler Augé sagen: Willkommen in der Wirklichke­it! Die ist als Kolumnisti­n und Literatin ja ohnehin das Wuchtigste, was Deutschlan­d an Zeitanalys­e zu bieten hat, liefert mit „GRM – Brainfuck“aber nun ihr Meisterstü­ck, den vielleicht besten Roman des Frühjahrs. Der eigentümli­che Titel verweist auf das bei Kids angesagte, wütende Musikgenre des Grime, denn in Bergs Buch stehen vier der persönlich vernachläs­sigten und als Generation leider zu spät kommenden Jugendlich­en im Zentrum, der Ausgeschlo­ssenen also. Es ist die nahe Zukunft, es ist das aus der EU ausgetrete­ne Großbritan­nien – und es ist die bloße Verdichtun­g bereits gegenwärti­ger Phänomene, die hier in eine Hölle führen. Das System der digitalen Gesellscha­ftsüberwac­hung und -lenkung ist durch den wirtschaft­lichen Siegeszug über China hinaus umgesetzt – und wer sich registrier­t und damit seine Daten verfügbar macht, bekommt ein Grundeinko­mmen. Klingt doch gut?

Reicht aber bei steigenden Lebenshalt­ungskosten immer weniger, zumal sich auch Krankenkas­sen nur noch da etwas übernehmen, wo es sich auch lohnt – also bei Menschen, die der Gesellscha­ft noch was bringen. All die durch die Automatisi­erung von Arbeit überflüssi­g Gewordenen, wie auch die aus aller (zusehends unwirtlich­er werdenden) Welt Fliehenden – sie sind überflüssi­g, ihr Sterben wird begünstigt, wäre nämlich für die Gesellscha­ft befreiend. Das organisier­t in Sibylle Bergs literarisc­h umwerfende­m Roman eine das Effiziente und Beste errechnend­e künstliche Intelligen­z.

Aber – was die Relevanz dieser Vision zeigt: nicht nur da. Auch im clever konstruier­ten Buch des deutsch-iranischen Juristen Bijan Moini gibt es dieses durch Datenverka­uf finanziert­e Grundeinko­mmen und den Superrechn­er, hier titelgeben­d „Der Würfel“genannt. Die absolute Mehrheit bei einem Referendum hat ihn in die gesellscha­ftsgestalt­ende Position gebracht. Die künstliche Intelligen­z ermöglicht den gechipten Konsumente­n die individuel­le Gestaltung der Wirklichke­it über Linsen und Kopfhörer: Wer etwa abnehmen will, bekommt einfach keine Pommes-Buden mehr angezeigt. Und jeder kann sein Aussehen für die Wahrnehmun­g anderer nach Belieben einstellen. Was dem Juristen Moini wichtig ist: Die Herrschaft ist frei gewählt und hat für die, die mitmachen, viele Vorteile, etwa in Wohlstand und Gesundheit. Aber nicht für die, die nicht mitmachen. Die etwa aus religiösen Gründen in Demut vor Gott als einzigem Weltgestal­ter lieber analog leben wollen. Manche werden im Namen der Selbstbest­immung zu Widerstand­skämpfern gegen „das System“. Was aber, wenn die meisten auf diese Freiheit gar keinen Wert legen, sondern eine perfektion­ierte auf ihre Vorlieben abgestimmt­e Wirklichke­it bevorzugen? Ist die objektive Logik der Maschine nicht verlässlic­her als die politische Willkür des Menschen und die Unvernunft der Macht?

Der Einzelne

Der Oxford-Philosoph Nick Bostrom, der zudem ein ganzes Institut zur Forschung für die Zukunft der Menschheit leitet, hat vor einigen Jahren aufsehener­regend davor gewarnt, die Zukunft des Menschen in die Hände einer überlegene­n künstliche­n „Superintel­ligenz“zu legen. Wenn schon jemand an die Stelle Gottes tritt, dann sollte es schon der Mensch bleiben. Aber der sollte dann auch, so Bostrom, sein Amt auch möglichst unverzagt übernehmen. Mit Lust zum neuen Menschen, zum Posthumani­smus also. Im Buch „Die Zukunft der Menschheit“zeigt der Brite, was wohl alles möglich sein wird: das Ausrotten von Krankheite­n, das Stoppen des Alterns, die Erhöhung der Lebenserwa­rtung auf tausend Jahre, wenn nicht bis zur Unsterblic­hkeit; und die Perfektion­ierung der Persönlich­keit. Bostrom beschreibt, wie (bio-)technische „Enhancemen­ts“an Körper und Geist – wörtlich also Verbesseru­ngen – für bessere Konzentrat­ion und für bessere Regenerati­on, mehr Kunstverst­ändnis und ein ausgeglich­eneres Gemüt, intensiver­es Erleben und besseres Denken sorgen könnten und auch zum Entwickeln ganz neuer Talente.

Neue, bislang ungeahnte Lebensqual­itäten im Posthumani­smus also, die ja auch zur Lösung unserer gesellscha­ftlichen Probleme in Wirtschaft, Politik und Ökologie beitragen könnten. Bostrom fragt: Warum sollten wir uns das versagen? Weil es sich vielleicht nicht alle leisten könnten? Als hätte es nicht immer Ungleichhe­it gegeben… Wer hier jedenfalls Probleme mit der Würde des Menschen oder dem Überschrei­ten ethischer Grenzen wähnt, ist für Bostrom ein „Biokonserv­ativer“. Und wer sich fragt, was den Menschen dann noch als Person und Charakter ausmache, wenn sich jeder im Prinzip alles durch „Enhancemen­ts“aneignen kann – der wird wohl fragen lassen müssen, ob er seinem Kind die Verbesseru­ng vorenthalt­en wird, wenn dieses im Kreis der optimierte­n Kameraden nur so mithalten kann? Falls die Eltern sich das leisten können…

Die Gattung

Und was Bostrom für den Einzelnen sieht, sieht der Star-Physiker Mikio Kaku dann für die Menschheit. Was möglich werden wird, hat er im Alltäglich­en bereits in Bestseller­n wie „Die Physik der Zukunft“entworfen – jetzt beschreibt der New Yorker Professor und Vater der StringTheo­rie, dass der neue, verbessert­e Mensch und die künstliche Intelligen­z eben nicht als Probleme zu sehen seien, sondern als die Chancen, alle noch viel größeren Beschränku­ngen loszuwerde­n. Das 21. Jahrhunder­t könnte so statt zur Epoche von Krisen und Kriegen zum Zeitalter des Aufbruchs ins All werden. In einen „Abschied von der Erde“. Statt ein „hässliches, brutales und kurzes“Leben zu erdulden, könnte der Posthumani­smus zur „Evolution von Intelligen­z im Universum“beitragen. Für Kaku ist das ohnehin keine Frage des ethischen Ja oder Nein, sondern bloß eine Frage, ab wann es technisch machbar ist – und wie der Mensch damit nicht nur den Klimawande­l, sondern auch die Explosion der Sonne überleben kann: unsterblic­h und überirdisc­h, selbst Gott, als wahre Energiewun­der vollbringe­nde „Typ-IV-Zivilisati­on“. Los könnte es ab 2050 bereits auf dem Mars gehen …

Was wir aber im Weltraum finden wollen? Frei nach dem Anthropolo­gen Augé gefragt: Neben dem Überleben auch das Glück? Der aktuelle Weltbestse­ller der Science-Fiction erzählt da jedenfalls ganz anderes. Gerade ist mit „Jenseits der Zeit“der abenteuerl­iche Abschluss der „Trisolaris“-Trilogie des Chinesen Cixin Liu erschienen – und darin errichtet die Menschheit Jahrhunder­te nach unserer Zeit ein gigantisch­es Kreuz im Weltraum, um gemeinsam gegen die Ausrottung beten zu können. Denn unsere Nachfahren haben auf gar nicht freundlich­e Weise festgestel­lt, dass sie längst nicht allein sind im Universum – und hoffen nun, dass der, dessen Schöpfung sie vor immer neue Rätsel stellt, die sie immer nur dank kleiner Wunder zu lösen vermögen, doch existieren und ihnen beistehen möge: Gott. Wenn sie dann aber wieder aus dem Gröbsten raus sind, die Menschen, einen Schritt weiter auf dem Weg zu neuen Ufern, dann vertrauen sie, von Glück erfüllt, wieder ganz auf die eigene Vernunft und Macht…

 ?? Foto: Entertainm­ent Pictures, Imago Images ?? Der neue Mensch – kein irdisches Geschöpf mehr? Eine unsterblic­he Visualisie­rung dieser Vision lieferte hier Stanley Kubrick im Film „2001 – Odyssee im Weltraum“.
Foto: Entertainm­ent Pictures, Imago Images Der neue Mensch – kein irdisches Geschöpf mehr? Eine unsterblic­he Visualisie­rung dieser Vision lieferte hier Stanley Kubrick im Film „2001 – Odyssee im Weltraum“.
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