Verehrte Ex-Diva vom Main
Früher war es so: Wenn die europäischen Fußball-Wettbewerbe die Zeit der Forsythienblüte erreichten, scharte sich das FußballLand um den FC Bayern. Egal, ob einer den Münchnern das Jahr über Maulwurfhügel und Fehlpassorgien gewünscht hatte, wenn es gegen den FC Barcelona & Co. ging, waren alle Bayern. Wo anders hätte man mit seiner Leidenschaft auch hingesollt? War ja keiner mehr da. Also hat das Land sein Verlangen nach nächtlichen Fußball-Dramen auf die Roten geworfen.
Seit der Fußball die TV- und PCSchirme aber inflationär flutet, ist das Einzigartige untergegangen – und mit ihm in diesem Jahr auch der FC Bayern. Es sah nicht danach aus, als würde sich ein Klub aufraffen können, dessen Rolle übernehmen zu können. Keiner hat das Geld, die Spieler und das Format. Und doch hat es ein Klub geschafft. Wer am Donnerstag mit der Eintracht im Europa-LeagueRückspiel gegen Benfica Lissabon gelitten hat, muss sich spätestens jetzt als Frankfurter fühlen. Aus Dankbarkeit für die zweite atemberaubende Europapokal-Nacht in Folge, in der die früher wegen ihrer Wechselhaftigkeit als launische Diva abgestempelte Eintracht mit Leidenschaft, Hingabe und Glück das Halbfinale der Europa League erreicht hat. Ja, Glück war auch dabei, weil die Hessen von einer Fehlentscheidung profitierten, einer Abseitsposition, die kein Schiedsrichtergespann übersehen darf, das ohne Blindenhund durchs Leben kommt. Ein Videoassistent, den es hier nicht gab, hätte die Ungerechtigkeit beseitigt. Andererseits, hätten wir, die wir zu diesem Zeitpunkt schon Äppelwoi tranken, Heinz Schenk imitierten und „Die Hesse komme!“sangen, Gerechtigkeit gewollt? Frankfurt hatte im Hinspiel, trotz 70-minütiger Unterzahl, nicht das 1:4 verwaltet, sondern war ungerührt dagegen angestürmt. In solchen Fällen darf sich das Schicksal dann auch einmal mit einem schiedsrichterlichen Totalversagen erkenntlich zeigen. Da sind wir ganz Hesse.