Kanonenfeuer an Ostern
Vor 100 Jahren marschierten regierungstreue Truppen in Augsburg ein. Schnell besetzten sie einen Großteil des Stadtgebiets. Es gab aber Tote und an einigen Stellen erbitterten Widerstand
Ostersonntag, 20. April 1919, frühmorgens: Die Augsburger werden durch Schüsse und Kanonendonner aus dem Schlaf gerissen. Die Verwirrung ist groß: Welche militärischen Verbände rücken gerade in Augsburg ein? Hatte die von München ins sichere Bamberg ausgewichene bayerische Regierung unter Johannes Hoffmann von der MSPD nicht Augsburg zugesichert, bei einem militärischen Vorgehen gegen die Münchener Räterepublik unbehelligt zu bleiben?
Doch die Strategen der Reichswehr sahen das anders: Für sie war die militärische Besetzung des Eisenbahnknotens Augsburg unerlässlich, zumal es in Augsburg auch noch die bewaffnete ArbeiterSchutzwache unter dem Kommando von Willi Olschewski gab, der die Rücknahme der Räterepublik ablehnte und offen mit den kommunistischen Machthabern in München sympathisierte…
Daher wurde die Besetzung der Stadt Augsburg angeordnet, die sowohl von Norden als auch von Süden her erfolgen soll. Der Angriff beginnt gegen 4 Uhr von Süden her: Eine Gruppe Soldaten besetzt dabei ohne größeren Widerstand das Artilleriedepot (heute: Neues Strafjustizzentrum) sowie die Artilleriekaserne an der Gögginger Straße (heute: Polizeipräsidium) und erreicht bereits vor 9 Uhr die Zentralturnhalle an der Halderstraße.
Auf Widerstand stoßen aber die Truppenteile, die von Haunstetten her vorrücken: Zu ersten Gefechten kommt es beim Pulvermagazin (in der Nähe der heutigen PCI) und bei der Nähfadenfabrik Schürer (heute: Priesterseminar). Die Regierungstruppen haben erste Verwundete. Dennoch gelingt es ihnen, bis zum Rathaus vorzudringen.
Ab 9 Uhr rücken von Norden her Truppenverbände ein, die Oberhausen und die Wertachvorstädte problemlos durchqueren. „Die Bevölkerung – verblüfft und sprachlos ob solcher Überraschung – verhielt sich völlig ruhig und stand vielfach vor ihren Häusern“, vermerkt ein Bericht. Um die strategisch wichtige Wertachbrücke abzusichern, wird ein Wachposten mit zwei leichten Haubitzen und zwei schweren Maschinengewehren postiert. Am Klinkertorplatz teilen sich die Verbände auf: Eine Gruppe rückt Richtung Theater vor, dort kommt es rund um die Stadtkommandantur in der Ludwigstraße und die HauptPost an der Grottenau zu heftigen Feuergefechten, bei denen auch Minenwerfer eingesetzt werden, die etliche Gebäude beschädigen. Es gibt Tote und Verwundete aufseiten der Regierungstruppen. Aber auch der Gymnasialschüler Hermann K., der einen Brief zum Briefkasten tragen wollte, wird am rechten Fußgelenk verletzt. Ein Jahr später stirbt er an den Folgen einer Amputation des rechten Fußes.
Eine zweite Gruppe der Regierungstruppen rückt über die HeiligKreuz-Straße vor und eine dritte über die Frauentorstraße. Dabei kommt es beim Dom zu einem Feuergefecht, doch „zwei Maschinengewehre, die ihre Garben gegen die Türme der Kirche richteten, fegten indes bald die Bahn frei“, so ein Bericht. Bei dieser Auseinandersetzung kommt der 63-jährige Franz Harle durch eine „verirrte Kugel“in den Bauch ums Leben.
Gegen 11 Uhr ist die Innenstadt in den Händen der Regierungstruppen: Stadtkommandant Edelmann kapituliert und übergibt das Kommando an Generalmajor Haas von den Regierungstruppen. „Doch leider trog der rasche Erfolg, denn in den Arbeitervorstädten Lechhausen und Oberhausen fraß der Aufruhr bedenklich fort“, vermerkt ein Bericht über den Einmarsch.
Denn bei ihrem Vormarsch entlang des Lechs wird eine Abteilung von der anderen Lechseite her beschossen und kurz darauf an der Lechhauser Brücke von allen Seiten umringt, drei Soldaten sterben, sechs werden verwundet. Zudem gelingt es den aufständischen Lechhausern, ein Geschütz sowie vier Maschinengewehre zu erbeuten.
In dieser angespannten Situation versucht der 28-jährige Arbeiterrat Hans Frank von der USPD, der selbst in Lechhausen wohnt, zu vermitteln, doch wird er am Lechhauser Freibad von hinten erschossen (wir berichteten in unserer Ausgabe
vom 17. April). Durch einen Schuss in die Schulter wird hier auch der 14-jährige Gymnasialschüler Alfons L. verletzt, der sich auf dem Heimweg vom Ostergottesdienst befindet. Die Verletzung führt zu einer dauerhaften Versteifung der linken Schulter.
Am dramatischsten entwickelt sich die Situation an der Wertachbrücke: Denn nachdem der dort zurückgelassene Wachposten von „Männern, Frauen und Kindern umringt und seiner Waffen beraubt“worden ist, richten die Arbeiter aus den dabei erbeuteten Geschützen ein Feuer auf den Kern der Stadt. Doch „kamen die Geschosse durchweg als Blindgänger an, weil es geglückt war, die Steckstifte zu den Zündern dem Zugriff des Gegners zu entziehen. Der Schaden war daher gering.“
Waffenstillstandsverhandlungen mit den Aufständischen scheitern, da – so die München-Augsburger
Abendzeitung vom 24. April 1919 – „die Führer von Stunde zu Stunde wechselten. Es wollten alle möglichen Leute plötzlich Arbeiterführer sein. Mit dem Einverständnis von ein paar Spezln und Stammtischgenossen ernannten sie sich selbst zum Arbeitervertreter und begaben sich zu den Verhandlungen ins Rathaus. Während diese Führer unterhandelten, hetzten schon wieder andere gegen sie und bis dann die Verhandlungen beendet waren, waren die Vertragsschließenden schon wieder des Vertrauens entkleidet, und andere, natürlich ebensolche Eintagsfliegen, an ihre Stelle getreten. Ganz bezeichnend war hiebei die Tatsache, daß gerade jene Männer, die seit vielen Jahren für ihre Arbeitskollegen politisch und wirtschaftlich gearbeitet, die anerkannte Verdienste besitzen, nun von den neuen Tageshelden verdrängt wurden. Und deshalb hatten alle Vereinbarungen wenig Wert, weil für sie das, was andere unterschrieben, nicht bindend war [...]“
So „erschien die Lage der Truppen so, wie sie sich am Abend des 20. April ansah, wenig günstig“, hielt ein Bericht der Regierungstruppen lakonisch fest. In unserer nächsten Ausgabe am 23. April lesen Sie, wie es nach dem Einmarsch in Augsburg 1919 weiterging.
Zu ersten Gefechten kommt es beim Pulvermagazin