Eine neue Johannespassion
Mit Bach im Hinterkopf: Martin Torps Komposition zeigt sich in St. Anna so vielschichtig wie geradlinig
Ein großes Erbe ist es doch: Wer nach Bach eine Johannespassion komponiert, kommt an dessen monumentalen Version nicht vorbei. Auch jene, die der Komponist Martin Torp als Auftragswerk von KMD Michael Nonnenmacher zum Konzert am Karfreitag in der Kirche St. Anna erschuf, hatte sicherlich Bach im Hinterkopf: „Es ist vollbracht“oder „Wir haben ein Gesetz“ähnelten dem Bach’schen.
Die instrumentale Unterwanderung der getragenen Gesangsmelodie ist zwar nicht Bachs Erfindung, wurde aber von ihm vervollkommnet wie von keinem anderen vorher. Auch Martin Torp bediente sich dieser als beherrschende Form bis hin zur Regelmäßigkeit, aus der heraus die wirksam exponierten Momente traten. Das Orchester ergänzte das gesprochene Wort, darunter vor allem Schlagwerk, tiefes Blech und tiefe Streicher. Großartig daher die Leistung der Solisten und Chorsänger wie des Orchesters in den zwei hoch konzentrierten Stunden der Uraufführung.
Die Capella und der Madrigalchor bei St. Anna – Susanne Simenec (Sopran), Stephanie Hampl (Alt), Daniel Karrasch (Tenor) und Thomas Herberich (Bass) – meisterten ihre schweren Partien souverän mit vielen Farben, Transparenz und Präzision, deutlicher Aussprache (trotz deckenden Orchesters) und Schöngesang, überragend geleitet von Michael Nonnenmacher.
Dem Komponisten sind die Passion und ihre Rätsel ein Anliegen, das ist seiner Musik anzuhören, die etwa das Sterben Jesu berührend innig, in umgekehrter Genese zum Beginn gestaltete. Neben der konzentriertes Hören fordernden Mehrschichtigkeit von Orchester und Gesang brachte Martin Torp dem Hörer seine Intention auch geradlinig nahe. Zitate wie „Lamm Gottes“, das immer wieder sogar als cantus firmus auftrat, „Tochter Zion“zum Einzug Jesu auf dem Esel, das Dark-Rockähnliche Wüten der Menge oder das betont grobe Auftreten des falsettierenden Judas, und ebenso die modernere Neutextung einiger Choräle – alles bringt das Anliegen Martin Torps, der auch das Libretto zusammenstellte, deutlich zum Ausdruck. Daneben klingt seine Musik bisweilen bildreich bis synästhetisch illustrierend. Wie bezaubernder Klangstaub wirkte etwa das Glockenspiel, das Torp im Nachklang zu Jesajas „Du machst groß die Freude“verstreute.