Die Augsburger Hasen-Ranch
Seit über 100 Jahren gibt es den Kleintierzuchtverein im Proviantbachviertel. In den 19 Parzellen finden sich dort eine eingeschworene Gemeinschaft und 18 Kaninchenrassen
Rocky, der Husky, sitzt an der Hauswand und blinzelt in die Sonne. Ganz entspannt erträgt er das Sägen des Brennholzes seines Herrchens Felix Josef. In der Schubkarre türmen sich schon die Holzscheite. Brieftauben fliegen auf und landen wieder auf dem Dach des Schlages. Aus der kleinen Küche, hinter der Hauswand, kommt feinster Bratenduft. Es ist Samstagvormittag im Kleintierzuchtverein AugsburgOst, im Proviantbachviertel. „Unsere Tochter kommt gleich zum Mittag“, sagt Gisela Josef. Seit 40 Jahren bewirtschaften die Josefs diese Parzelle. Sie liegt direkt unterhalb der Gleise der Localbahn und der Proviantbach fällt hier rauschend durch das Wehr. Mehr Idylle findet man kaum in Augsburg. Sie züchten Brieftauben und Rassekaninchen. Drei Parzellen weiter steht Robert Huber an seinem Gartentor. Sein Spitz bellt, dass man sein eigenes Wort nicht versteht. „Er will mich beschützen“, sagt Robert Huber. Er sieht gar nicht aus wie einer, der Schutz braucht, mit seinem wilden Seemannsbart. Huber hat zu viele Geschichten erlebt, um sie für sich zu behalten. Während einem bald der Kopf schwirrt von seinen Erzählungen aus Kanada, Texas, Polen, Belgien, Schweden und was da so alles passiert ist, beruhigt sich auch der Spitz. Nun hört man die kleinen Vögel in ihren Volieren, wie sie singen und zwitschern. Robert Hubers Spezialität sind Zuchtvögel: Bartzeisig, Gloster-Canary, Rot-AchatMosaik, Magellan-Zeisig, um ein paar zu nennen. Foto? „Niemals, die zu sensibel“, sagt er. „Hier gab es auch Ziegen und Schafe, sogar Spielflugtauben“, sagt Huber.
Im Vereinsheim gegenüber beginnt die russlanddeutsche Community des Vereins mit der Feier eines Geburtstags. Es wird gegrillt, getrunken und gelacht. Direkter Nachbar von Huber ist Frank Sparrer, der Vorstand des Vereins ist. Er züchtet nicht nur Kaninchen wie Roter Neuseeländer und Satin California, ihm gehört auch der größte Angsthase des Vereins. Eine Hündin mit dem Namen Trixi. Sparrer hat sie irgendwann aus schlechten Verhältnissen gerettet. Ihre Scheu ist geblieben. „Den Verein gibt es seit 104 Jahren. Es sind 19 Parzellen mit jeweils zirka 330 Quadratmetern. 18 verschiedene Kaninchenrassen werden gezüchtet. Besonders schön ist aber das Vereinsleben und die Geselligkeit“, sagt Sparrer. Die ungeschriebenen Gesetze gelten noch. Männer sorgen für die Getränke, Frauen für das Essen. „Es kommen sogar die neuen Bewohner vom schicken Proviantbachviertel. Sie nennen uns ,Die Hasen-Ranch‘“, sagt er und muss lachen. Es gibt zwar einen Angsthasen, aber Hasen, die zu Ostern Eier legen, findet man hier nicht. Dafür viel Ostersind schmuck. Die Beziehung zwischen Mensch und Tier scheint so freundschaftlich, dass kein Tier für das Fest geopfert wird. Probleme gibt es eher mit strengeren Vorschriften durch die Stadt. „Der Tierkot darf nicht mehr so üppig wie üblich auf die vereinseigene Wiese gebracht werden und die Nähe der Grundstücke zum Proviantbach ist dem Flussbauamt ein Dorn im Auge“, sagt Sparrer. Am schwersten wiegt, dass es nur noch Jahrespachtverträge gibt. Darüber will Frank Sparrer nicht nachdenken.
Aber darüber, wie sich die Interessen in der Gesellschaft verändern. „Für die jungen Russlanddeutschen ist die Parzelle ein bisschen Heimat, wie sie es von ihren Eltern kennen. Sie schätzen noch die Verbindung zwischen Natur, Mensch und Kleintier“, sagt Sparrer. Sie wären lieber mittendrin in der „Hasen-Ranch“, als nur zu Gast, wie die jungen Leute aus dem Proviantbachviertel. Das sei spürbar. Am längsten mittendrin ist aber Emil Förschner. Der 90-Jährige ist seit 65 Jahren im Verein. Trotz eines Unfalls ist er gekommen. „Meine Kaninchen müssen ja versorgt werden“, sagt er. Er erzählt von früher, als 1944 zehn Parzellen von ausgebombten Augsburgern bewohnt wurden, und wie das Proviantbachwehr einmal durch meterdicke Eisschollen verstopft war und die ganze Siedlung unter Wasser stand..., da drängt sich die Katze der Förschners dazwischen, sie will endlich ihr Fressen. Das hat Rocky schon hinter sich. Auf dem Weg zurück sieht man ihn schlafend an der Hauswand liegen.