Schiffbrüchige im Robinson Club
Eilande faszinieren als Sehnsuchtsorte. Sie können aber auch Gefängnis sein. Vor 300 Jahren erschien ein Roman, der unser Inselbild geprägt hat
Kleines Gedankenspiel: Stellen wir uns nur einmal vor, dass jedes Ei, das an Ostern versteckt, gesucht und gefunden wird, eine Insel ist. Jedes Ei ein Eiland. Wie viele Eier müssten Sie finden, um die Philippinen ins Körbchen zu bekommen? 7641. Eilande also gibt es wie Sand am Meer, auch wenn nur eines davon die Osterinsel ist. Isla de Pascura, isoliert gelegen 3526 Kilometer vor der chilenischen Küste im Südostpazifik, bewohnt aber immerhin von ein paar mehr Menschen, als die Philippinen Inseln haben: 7750.
Auf einer der riesigsten Inseln, die deshalb Kontinentformat hat, nämlich Australien, kamen die Menschen Jahrtausende wunderbar ohne den Osterhasen aus. Gab es dort nicht – bis europäische Einwanderer von einer anderen Insel, England, die Osterhasen mit ihren Schiffen anbrachten. Seither ist das Verhältnis Insel – Osterhase zumindest in Australien sehr angespannt.
Inseln faszinieren uns. Vor ziemlich genau 300 Jahren erschien in England (!), der Osterhaseneinund
schleppheimat, ein Buch, das im Original einen ziemlich sperrigen Titel hatte, der Bibliothekare zur Verzweiflung bringen kann und so unübersichtlich ist wie die Sippe paarungsfreudiger Osterhasen:
Das Leben und die seltsamen überraschenden Abenteuer des Robinson Crusoe aus York, Seemann, der 28 Jahre allein auf einer unbewohnten Insel an der Küste von Amerika lebte, in der Nähe der Mündung des großen Flusses Oroonoque; durch einen Schiffbruch an Land gespült, bei dem alle außer ihm ums Leben kamen. Mit einer Aufzeichnung, wie er endlich seltsam durch Piraten befreit wurde. Geschrieben von ihm selbst.
Die Welt kennt das Buch, das am 25. April 1719 erschien, als „Robinson Crusoe“. Der Roman von Daniel Defoe ist zweifellos die berühmteste, unsere Vorstellungswelt prägendste Inselgeschichte aller Zeiten. 28 Jahre lebte der Schiffbrüchige Robinson Crusoe auf einer unbewohnten Karibikinsel – und erfand dort gleichsam seine persönliche Ein-Mann-Zivilisation. Doch niemand ist allein auf dieser Welt, nicht einmal auf einer einsamen Insel. Robinsons Insel wird gelegentlich von Kannibalen heimgesucht – und denen macht der Inselbewohner, der vom Schiffswrack auch eine Bibel retten konnte, ihre Hauptspeise abspenstig, der er den Namen „Freitag“gibt. Endlich ein Ansprechpartner, dem Robinson Englisch beibringt. Irgendwann stranden Meuterer auf der Insel – und Robinson Crusoe kehrt zurück auf seine alte Heimatinsel England.
Das literarische Motiv der „Robinsonade“, des Alleinseins und Eingeschlossenseins auf einer einsamen Insel, deren Strände die Grenzen der Welt sind, ist in unzähligen Varianten ins kulturelle Gedächtnis eingesickert. In Defoes Roman ist schon angelegt, was die Insel uns Menschen sein kann: Paradies und Gefängnis, Gestaltungswelt und Bewährungsort. Allein auf einer Insel, in der „unberührten“Natur: Dieser Tropen-Existenzialismus hat es als kitschige Transformation in die Tourismustraumwelt geschafft. Palmen, Traumstrand, ewige Sonne, nur die Wellen und Du (und ein Strohhalm für die Kokosnussschale) – das ist die tausendfach aufgeführte Wohnzimmertapetenversion der Robinsonade. Mit Inselurlaub verbinden wir Abgeschiedenheit, Ruhe, Ungestörtheit, Paradies. Wie von einem schönen Ei erwarten wir von einer schönen Insel, dass sie uns alle Möglichkeiten entfaltet und keine Mogelpackung ist.
Auch Mallorca, man glaubt es kaum, ist ja eine Insel. Mit der Einsamkeit dort ist es etwas schwierig, und wer in Palma als Freitag aus dem Flugzeug steigt, trifft auf viele Robinsone, die schon da sind. Der Mensch macht sich bekanntlich alles untertan. Mallorca gehört den Touristen, Ibiza nebenan dem Feiervolk.
Doch neben Ferieninseln und Partyinseln gibt es auch ganz andere Eilande. Welche, die tatsächlich ein Gefängnis sind für die, die man dorthin bringt. Imrali ist nicht Ibiza. Imrali, eine acht Kilometer lange drei Kilometer breite Insel im Marmarameer, dient der Türkei seit 1935 als Gefängnisinsel. Seit 20 Jahren ist dort Abdullah Öcalan, der Führer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), inhaftiert. Auch Alcatraz in der Bucht von San Francisco war eine Knastinsel, knapp 30 Jahre lang (1934 bis 1963) befand sich dort das bekannteste Hochsicherheitsgefängnis der USA.
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