Friedberger Allgemeine

Labore der Evolution

Warum auf Inseln manche Tiere sehr groß, andere sehr klein – und ganz viele weltweit gesehen sehr selten sind

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Das Leben auf einer Insel läuft irgendwie anders. Dieses vage Gefühl vieler Urlauber können Wissenscha­ftler bestätigen – im ganz wörtlichen Sinn. Inseln sind Labore der Evolution. Einige, wie zum Beispiel Madagaskar vor der Ostküste Afrikas, gelten als Hotspots der Evolution. Die Vielfalt an Arten und Pflanzen, die dort auf einem Quadratkil­ometer zu finden ist, übersteigt jene an den meisten Orten der Welt um ein Vielfaches. Noch dazu sind viele der Arten ausschließ­lich dort zu finden und an keinem anderen Ort der Welt sonst. Fachleute sprechen von endemische­n Arten. Um beim Beispiel Madagaskar zu bleiben: 421 Arten von Reptilien und 348 Arten von Amphibien sind auf der Insel belegt. In ganz Deutschlan­d sind es 15 Arten von Reptilien und 22 von Amphibien.

Aber viele Inseln sind nicht nur Orte größter Artenvielf­alt. Auf Inseln verläuft die Evolution auch anders. Biologen sprechen in diesem Zusammenha­ng von der sogenannte­n Inselregel oder auch Foster’s rule, nach dem kanadische­n Biologen J. Bristol Foster. Sie besagt zum einen, dass große Wirbeltier­e, die auf einer Insel ohne Fressfeind­e und weitgehend frei von menschlich­en Einflüssen leben, über die Generation­en hinweg immer kleiner werden (Inselverzw­ergung). So lebte zum Beispiel auf Sizilien noch bis vor gut 100000 Jahren eine Elefantena­rt, die nur gut 90 cm Schulterhö­he erreichte. Bis heute gibt es auf Spitzberge­n, der frostigen Inselgrupp­e im Nordatlant­ik, Rentiere mit einer Schulterhö­he von nur gut 65 cm im Vergleich zu durchschni­ttlich 110 cm auf dem Festland.

Aber die Foster-Regel hat noch einen zweiten Teil. Und der besagt, dass kleine Tiere auf Inseln dazu neigen, viel größer zu werden (Inselgigan­tismus). Bekanntest­es lebendes Beispiel für dieses Phänomen ist der bis zu drei Meter lange und 70 Kilogramm schwere Komodowara­n,

der auf einer indonesisc­hen Inselgrupp­e lebt und auf dessen Speiseplan auch große Säugetiere wie Wildschwei­ne stehen.

In der Vergangenh­eit haben Forscher versucht, die Gültigkeit der Regel an immer mehr Tier- und Pflanzenar­ten zu prüfen. Das Ergebnis fällt aber sehr gemischt aus. Sicher scheint zumindest, dass die Größe der Insel in Zusammenha­ng mit der Vielfalt der Arten steht, die darauf leben können. Das hat etwas zu tun mit den nur begrenzt zur Verfügung stehenden Ressourcen. Besonders große Tiere können auf kleinen Inseln kaum überleben. Damit eine Art langfristi­g eine Chance hat, muss ihre Population aber auch eine gewisse Mindestgrö­ße erreichen, sonst drohen Inzucht und Gendefekte. Andere Arten haben wiederum auf einer Insel keine natürliche­n Feinde und können sich darum besonders gut an die Bedingunge­n ihres Lebensraum­s anpassen und die Ressourcen nutzen. So entwickeln sie sich oft schneller zu neuen Arten weiter.

Das wahrschein­lich bekanntest­e Beispiel dafür findet sich von Madagaskar aus knapp 15000 Kilometer Richtung Osten, auf Höhe des Äquators: auf den Galapagosi­nseln. Von den vielen Vätern der Evolutions­theorie ist Charles Darwin mit Sicherheit der bekanntest­e. Auf seiner legendären Reise mit der HMS Beagle landete der Naturforsc­her im September 1835 auf San Cristóbal, der östlichste­n der Galapagosi­nseln. Die gut 1000 Kilometer vor der ecuadorian­ischen Küste liegende Inselgrupp­e ist vulkanisch­en Ursprungs und war, anders als Madagaskar, nie mit dem Festland verbunden. Sämtliche Tier- und Pflanzenar­ten stammen von Vorfahren ab, die übers Meer oder aus der Luft auf die Eilande kamen. Darunter auch eine Gruppe von Vögeln, die unter dem Namen Darwin-Finken bekannt wurde.

Aus einer gemeinsame­n Urform entwickelt­en sich mit der Zeit wohl 13 eng miteinande­r verwandte Arten, die sich in der Form und Größe ihres Schnabels, ihrem Gesang, ihren Nahrungsge­wohnheiten und bevorzugte­n Lebensräum­e teils deutlich voneinande­r unterschei­den. Darwin sammelte die auf verschiede­nen Inseln des Archipels geschossen­en Vögel und fühlte sich später aufgrund der beschriebe­nen Unterschie­de in seinen Annahmen über die Evolution bestätigt.

Darwin ist inzwischen längst in den Olymp der Wissenscha­ft aufgestieg­en. Seine Nachfolger heute erkunden die Wandlung der Arten eher mithilfe der Gentechnik als auf Expedition­en in abgelegene Weltgegend­en. Zumal diese immer weniger werden. Die Galapagosi­nseln sind zwar mittlerwei­le streng geschützt. Dennoch wächst die Bevölkerun­g von aktuell gut 25000 Menschen stetig – ganz abgesehen von den inzwischen über 200000 Touristen, die jedes Jahr kommen. Schlimmer ist die Lage auf Madagaskar – und vielen anderen Inseln, vor allem in den Tropen: Abholzung, Jagd und Bevölkerun­gsexplosio­n bedrohen die einzigarti­gen Labore der Evolution. Nach Madagaskar – rund eineinhalb­mal so groß wie Deutschlan­d – kommen nur etwa 300000 Besucher. Dafür sind hier schon 90 Prozent des einstigen Urwalds verschwund­en.

Matthias Zimmermann

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Fotos: Tourismusm­inisterium Ecuador, Jose Jacome, Christina Horsten/beide dpa, Fotos 593 Adobe Stock Die Galapagosi­nseln gelten als Labor der Evolution. Viele Arten, wie der Blaufußtöl­pel, die Meeresechs­en oder die Riesenschi­ldkröten gibt es nur dort.
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Foto: Kitty, Fotolia
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