Das tatsächlich Robinson-Crusoe-Island genannte Eiland – und die Erstausgabe des Romans aus dem Jahr 1719.
Doch längst ist Alcatraz, was Elba (mit dem berühmten Gefangenen Napoleon) schon längst ist: eine Touristenattraktion. Eiland-Schicksal. Ähnlich wie die Osterhasen in Australien sind die Touristenmassen Segen und Fluch zugleich für viele Inseln. Und ihre beste Einnahmequelle. Und sei es, dass die Leute nur auf Butterfahrt vorbeischauen, ein paar Eier einsparen und gleich wieder abdrehen wie auf Helgoland.
Was genau die Faszination der Inseln ausmacht? Vielleicht ist es die Vorstellung, in einer übersichtlichen, begrenzten, für sich existierenden Welt zu sein – ein autarkes Stück Land, auf dem der Besucher sich selbst auch wieder als autarkes Einzelwesen wahrzunehmen hofft. Die Erde in einer (eiförmigen!) Schneekugel ohne Schnee: eine runde Sache. Inseln haben etwas von Modelleisenbahnwelt: Im Maßstab 1:32 erhofft sich der Mensch wieder Oberwasser in unübersichtlichen Zeiten. Auf einer Insel glaubt man sich den schädlichen Einflüssen des Festlandes entrückt und den Schätzen näher. Eiland-Erhabenheit ist verwandt mit dem Gefühl, auf einem Berggipfel zu stehen. Vor allem aber gibt es rundherum Strand. La Palma und Gomera, Norderney und Rügen, Kreta und Samos, Capri und die Bahamas: Schon der Klang von Inselnamen steckt voller Sehnsüchte. Und wenn dann die Kokosnüsse noch die Form von Ostereiern haben – umso schöner. Wer auf einer Insel ist, fühlt sich zunächst mal gerettet. Der moderne Mensch mit seinem ganzen Stress ist ein Schiffbrüchiger, der für zwei Wochen Vollpension seine exklusive Verlorenheit im Robinson-Club auf einer Insel seines Vertrauens auskostet.
Weil der Mensch aber – nicht nur die Osterferien sind endlich, alle anderen auch – nicht ständig Inselhopping betreiben (heute fast immer im Flugzeug, nur noch selten per Schiff, dauert zu lang) und am Strand liegen kann, nimmt er die Inseln mit als Metapher in seinen Alltag. Wir meinen nicht die Verkehrsinsel und auch keinen Inselkoller.
Sondern alle jene Reden und Besinnungsrufe, in denen das reiche Deutschland als „Insel der Seligen“erscheint, verglichen mit dem Rest der Welt und verglichen auch mit realen Eilanden. Denn, und das wissen wir Kontinentaleuropäer nicht erst seit Greta und den am Freitag demonstrierenden Schülern, der Klimawandel bedroht Inseln, der steigende Meeresspiegel lässt sie verschwinden. Die Südsee als Idyll? Das war einmal. Inseln sind im Gefüge der besiedelten Welt die schwächsten Glieder in der Kette. Anders lag der Fall Westberlin, dieser Insel mitten in der DDR. Auch diese Insellage hat sich aufgelöst – glücklich allerdings.
Und wie der Mensch durch sein Treiben Inseln in den Untergang (oder die Auflösung) führt, so richtet sich seine Hybris auch aufs Gegenteil. Inseln tauchen auf, wo zuvor keine waren. Die Chinesen sind eifrig dabei, künstliche Inseln aufzuschütten im Südchinesischen Meer. Allerdings weder für Gefangene noch für Urlauber (das machen sie vor Dubai) – sondern für militärische Einrichtungen. Inseln als Vorposten im Kampf um territoriale Machtansprüche. Wüste oder Atoll: Auch wenn Militaristen neue Waffen ausprobieren, sind Inseln gerne das Versuchsfeld – und bleiben auf Jahrzehnte verseucht zurück.
Dass die Ruhe und Ungestörtheit auf einer Insel aber auch Gutes hervorbringt, wollen wir an Ostern und kurz vor dem Jubiläum des Grundgesetzes nicht verschweigen. Die Grundlagenarbeit für die Nachkriegsverfassung wurde auf einer Insel in einem bayerischen See geleistet: auf Herrenchiemsee.
Das Eiland (was etymologisch nicht von Ei, sondern von allein kommt) ist das Küken, es hat alles, was es in der großen weiten Festlandwelt auch gibt – bloß eben überschaubarer. Inseln verändern die Wahrnehmung: Das Glück wirkt dort größer, das Gelbe vom Ei gelber – und die Sonnenuntergänge erst! Als Sehnsuchtsziel des Unberührten taugen Inseln sicher noch eine ganze Weile. Denn die meisten der bekannten Eilande dieser Welt sind noch namenlos und tatsächlich unbewohnt. Im Prinzip könnte sich also die Geschichte von Robinson Crusoe wiederholen – zumal die einsamen Inseln zwar von Wellen umspült, aber ohne WLAN sind.
Menschen mit Inselbegabung (sehr selten!) muss das nicht schrecken. Einer wie Kim Peek etwa, der 1951 bis 2009 lebte, hatte den Inhalt von 12000 Büchern auswendig im Kopf. Wir stellen uns vor, dass Robinson Crusoe sicher dabei war.