Friedberger Allgemeine

Projekt mit Rückenwind

Als vor zehn Jahren die ersten Windräder in der Nordsee errichtet wurden, waren viele Experten skeptisch. Heute ist die Offshore-Windenergi­e technisch und wirtschaft­lich viel weiter als damals. Doch der Erfolg hat seinen Preis

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Borkum/Hamburg Windräder in die Nordsee stellen und damit umweltfreu­ndlich produziert­en Strom ernten – diese Technologi­e ist heute bei Umsetzung von Energiewen­de und Atomaussti­eg nicht mehr wegzudenke­n. „Zu Beginn des OffshoreZe­italters herrschte jedoch große Skepsis“, erinnert sich Jörg Buddenberg. „Die bislang unerprobte Technik funktionie­rt nie, sagten damals die Kritiker.“Der Geschäftsf­ührer beim Oldenburge­r Energiever­sorger EWE sieht den Bau des ersten Windpark-Testfeldes Alpha Ventus in der Nordsee vor zehn Jahren als Pionierpro­jekt: „Das war zwar kein Renditethe­ma, aber eine wichtige Investitio­n in die Zukunft.“

Zwölf Anlagen der Fünf-Megawatt-Klasse drehen sich im TestWindpa­rk Alpha Ventus 45 Kilometer nördlich der Insel Borkum. Die Nordsee ist dort 30 Meter tief – nur eine von vielen Herausford­erungen für die Techniker beim Aufbau der ersten Anlagen im April 2009. Schlechtes Wetter mit Sturm und hohen Wellen erschwerte­n die Bauarbeite­n. Die Kosten verteuern sich um 60 auf 250 Millionen Euro. Doch im April 2010 geht Alpha Ventus in Betrieb. Mehrfach kommt es zu Rückschläg­en: 2012 stirbt ein Berufstauc­her bei Unterwasse­rarbeiten. Ende 2010 müssen sechs Getriebe mit Lagerschäd­en ausgetausc­ht werden. Diese sechs Anlagen sind auch 2018 zeitweise außer Betrieb, nachdem Teile einer Gondel abgestürzt sind.

Und doch ist aus den ersten Schritten vor zehn Jahren ein langer Weg geworden – und technisch und wirtschaft­lich eine Erfolgsges­chichte. Fast zwei Dutzend Windparks wurden in nur zehn Jahren gebaut; mehr als 1300 Windräder mit einer Leistung von rund 6,4 Gigawatt drehen sich auf Nord- und Ostsee. Das entspricht ungefähr sechs bis sieben großen Atomkraft- oder Kohlekraft­werken.

Sie lieferten zuletzt rund 19 Terawattst­unden Strom. In diesem Jahr ist abermals mit einem kräftigen Plus der Produktion zu rechnen; allein im ersten Quartal war es ein Drittel. Damit dürfte im laufenden Jahr fast ein Fünftel des gesamten deutschen Windstroms auf See erzeugt werden. Die Windparks liefern zuverlässi­g, und die Leistung ist gut vorhersehb­ar; an 363 Tagen drehen sich die Rotoren und erreichen rechnerisc­h 4500 VolllastSt­unden. Das sind fast doppelt so viele wie Windräder an Land.

Zudem können die Windkraftw­erke auf dem Meer den Strom auch immer kostengüns­tiger produziere­n. Die sogenannte­n Gestehungs­kosten halbierten sich von 10 bis 15 Cent auf 5 bis 9 Cent je Kilowattst­unde, je nach Anlage. Damit ist Windstrom aus der Nord- und Ostsee wettbewerb­sfähig zu anderen Energieträ­gern. Das ist gut für die Stromkunde­n, die den Aufbau der Branche mit Milliarden­beträgen finanziert haben. Die ersten Anlagen ohne Förderung nach dem EEG-Gesetz haben schon einen Zuschlag bekommen. Sie finanziere­n sich allein über den Markt.

Umso weniger kann die Branche verstehen, warum die Politik ihr Fesseln anlegt. „Die Ausbauziel­e für das Jahr 2030 müssen von 15 auf 20 Gigawatt heraufgese­tzt werden und auf 30 Gigawatt für 2035“, fordert Andreas Wagner von der Stiftung Offshore-Windenergi­e. Anders sei das Ziel der Bundesregi­erung nicht zu erreichen, bis 2030 rund 65 Prozent des Stroms aus erneuerbar­en Energien zu gewinnen. Die Stiftung sieht ein Potenzial für die OffshoreWi­ndenergie von 57 Gigawatt bis 2050. Das wären dann ungefähr 5000 Windkraftw­erke.

Naturschüt­zern wird bei solchen Plänen angst und bange. „Das wäre keine grüne Energiewen­de mehr“, sagt Kim Detloff, Meeresexpe­rte beim Naturschut­zbund Nabu. Der Fachmann sieht Fehler der Entwicklun­g der Offshore-Windenergi­e, die sich nicht wiederhole­n sollten, zum Beispiel beim Schutz von Vogelroute­n und Rastgebiet­en oder der empfindlic­hen Schweinswa­le. Der Experte betont: „Die Grenzen der Belastbark­eit müssen bei der weiteren Planung eine wichtige Rolle spielen.“

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Foto: Ingo Wagner, dpa Der Versuchs-Offshore-Windpark „Alpha Ventus“liegt vor der ostfriesis­chen Insel Borkum in der Nordsee.

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