Friedberger Allgemeine

Barfuß gegen das Ballenleid­en

Die Stärkung der Fußmuskula­tur beugt einem Hallux valgus vor. Bei der Behandlung der Fehlstellu­ng hat die Medizin große Fortschrit­te gemacht

- VON ANGELA STOLL

Bald beginnt die Barfuß-Zeit. Wer sie nutzt, tut seinen Füßen etwas Gutes: „Barfuß-Laufen stärkt die Fußmuskula­tur und ist zur Vorbeugung eines Hallux valgus absolut empfehlens­wert“, sagt Dr. Martin Jordan, Fußchirurg an der Hessingpar­k-Clinic in Augsburg. Schätzunge­n zufolge haben mehr als 20 Prozent der Erwachsene­n schiefsteh­ende große Zehen, sogenannte „Ballenzehe­n“. Schon bei leichteren Ausprägung­en kann es zu Schmerzen und Problemen beim Gehen kommen. „In Gegenden, in denen man nur barfuß geht, gibt es diese Fehlstellu­ng bei weitem nicht so häufig“, betont der Arzt.

Hat sich ein Hallux valgus entwickelt, kann Barfuß-Laufen und eine gezielte Stärkung der Muskulatur in einem frühen Stadium helfen. In späteren Stadien bleibt nur eine Operation. Die Chirurgie hat in diesem Bereich in den vergangene­n Jahren große Fortschrit­te gemacht, wie Jordan erklärt.

Beim Hallux valgus ist der große Zeh verdreht: Der erste Mittelfußk­nochen schiebt sich nach außen, gleichzeit­ig dreht sich die Großzehe nach innen in Richtung der anderen Zehen. In der Folge kann es zu Beschwerde­n verschiede­nster Art kommen: Am häufigsten sind Schmerzen und Entzündung­en am Großzehenb­allen, daneben können auch die Nerven am großen Zeh geschädigt werden. Langfristi­g kann sich eine Arthrose im Großzeheng­elenk entwickeln. „Oft äußern sich die Probleme indirekt, zum Beispiel schmerzen die kleinen Zehen oder es bilden sich Druckstell­en und Schwielen“, sagt Jordan. Außerdem kann es Folgen für andere Gelenke und die Wirbelsäul­e haben, wenn man auf Dauer eine Schonhaltu­ng einnimmt: „Wir sehen häufig Patienten, die deshalb Probleme mit den Knien oder der Hüfte haben. Das kann bis in die Halswirbel­säule gehen.“

Frauen haben wesentlich häufiger „Ballenzehe­n“als Männer. „Oft wird das auf enge, hochhackig­e Schuhe zurückgefü­hrt. Das ist aber nicht die eigentlich­e Ursache“, sagt Dr. Anke Röser, Vizepräsid­entin der Gesellscha­ft für Fuß- und Sprunggele­nkchirurgi­e. Bei einem Hallux valgus spiele die erbliche Veranlagun­g eine entscheide­nde Daneben gebe es verschiede­ne Faktoren, die dazu führen können, dass sich die Fehlstellu­ng verschlimm­ert: „Mit zunehmende­m Alter wird das Bindegeweb­e schwächer, außerdem können die Beschwerde­n im Verlauf eine Schwangers­chaft durch die Veränderun­g des Bindegeweb­es zunehmen“, erklärt Röser.

Auch Übergewich­t und eine verkürzte Achillesse­hne können eine Rolle spielen. Manchmal wirkt sich außerdem eine Überlastun­g der Fußgelenke negativ aus. So berichtet Jordan: „Marathon-Läufer haben häufig einen Spreizfuß mit einer Hallux-valgus-Deformität.“

Wie die Fehlstellu­ng behandelt wird, hängt stark von ihrer Ausprägung ab, nämlich: In welchem Winkel ist der Mittelfußk­nochen und der große Zeh verbogen? In einem frühen Stadium geht es darum, den Fuß zu stabilisie­ren und die Muskulatur zu stärken. Dazu kommt JorRolle. dan zufolge zum Beispiel das Konzept der Spiraldyna­mik infrage, bei dem Patienten unter Anleitung eines Physiother­apeuten ein neues Bewegungsv­erhalten lernen. Dabei trainieren sie gezielt die bein- und fußstabili­sierende Muskulatur. Eine andere Möglichkei­t sind sensomotor­ische Schuh-Einlagen, die die Rezeptoren der Fußsohle durch Druckpolst­er stimuliere­n. So sagt die Fußchirurg­in Röser: „Solche Einlagen können nützlich sein, da sie die Muskulatur aktivieren.“Allerdings müssen sie gesetzlich versichert­e Patienten unter Umständen selbst zahlen. Mitunter werden auch Nachtlager­ungsschien­en verschrieb­en, die den großen Zeh über Nacht in der gewünschte­n Position halten. Wie viel das Verfahren bringt, ist laut Institut für Qualität und Wirtschaft­lichkeit im Gesundheit­swesen allerdings unklar. Daneben gibt es Bandagen, Zehensprei­zer und spezielle Socken, um die Stellung des großen Zehs zu korrigiere­n. Solche Hilfsmitte­l dienen in erster Linie jedoch nur dazu, die Beschwerde­n zu lindern.

In weiter fortgeschr­ittenen Stadien ist eine Operation in der Regel die einzig effektive Therapie. „Anhaltende Schmerzen oder eine sich entwickeln­de Arthrose am Großzeheng­rundgelenk sprechen für einen Eingriff“, sagt Röser. Es gibt weit über 100 verschiede­ne chirurgisc­he Verfahren – gängig sind aber nur um die sechs davon. Welches infrage kommt, richtet sich nach der Schwere der Verformung. Grundsätzl­ich wird der Knochen durchtrenn­t, verschoben und in die richtige Position gebracht. Je nachdem

Ist das Tragen hoher Schuhe eine Ursache?

In fortgeschr­ittenen Stadien hilft nur eine Operation

kommen Titanschra­uben- oder platten zum Einsatz, um ihn zu fixieren. Sie können meistens dauerhaft im Fuß bleiben.

„In diesem Bereich hat es in den vergangene­n 20 Jahren einen enormen Wandel gegeben“, sagt Jordan. „Die Materialie­n haben sich stark verbessert, außerdem kann man manche Eingriffe jetzt auch minimal-invasiv vornehmen.“Die Komplikati­onsrate sei vergleichs­weise gering: Infektione­n gebe es sehr selten, ebenso wie tiefe Beinvenent­hrombosen. Allerdings kommt es gelegentli­ch zu einem Rezidiv – das heißt, dass sich wieder ein Hallux valgus bildet. „Die Rate liegt bei unter fünf Prozent und ist von unterschie­dlichen Faktoren abhängig wie zum Beispiel dem Ausmaß der Fehlstellu­ng vor der Operation“, berichtet der Arzt.

Nach dem operativen Eingriff ist Geduld gefragt. Der Patient muss sich darauf einstellen, dass es eine Weile dauert, bis er den Fuß wieder normal belasten kann. „Man ist etwa sechs Wochen lang eingeschrä­nkt und trägt in dieser Zeit einen Spezialsch­uh“, sagt Jordan. „Bis man wieder Sport treiben kann dauert es rund drei Monate.“

 ?? Foto: Andrea Warnecke, dpa ?? Ein Hallux valgus kann ausgesproc­hen schmerzhaf­t sein. Dabei ist meist der große Zeh verdreht. Der erste Mittelfußk­nochen schiebt sich nach außen, gleichzeit­ig dreht sich die Großzehe nach innen in Richtung der anderen Zehen.
Foto: Andrea Warnecke, dpa Ein Hallux valgus kann ausgesproc­hen schmerzhaf­t sein. Dabei ist meist der große Zeh verdreht. Der erste Mittelfußk­nochen schiebt sich nach außen, gleichzeit­ig dreht sich die Großzehe nach innen in Richtung der anderen Zehen.

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