Friedberger Allgemeine

Klinikdefi­zit explodiert

Das Klinikdefi­zit schnellt in diesem Jahr auf ein Rekordhoch. Jetzt reagiert der Landkreis und strukturie­rt um: In Aichach liegt der Schwerpunk­t bei der Inneren Medizin, in Friedberg wird mehr operiert. Was in beiden Häusern bleibt

- VON CHRISTIAN LICHTENSTE­RN

Geradezu explodiert ist im ersten Quartal das Defizit der Kliniken an der Paar. Ein Maßnahmenp­aket soll die Krankenhäu­ser aus den roten Zahlen holen.

Aichach-Friedberg Friedberg oder sogar das neu gebaute Aichach? Ginge es nach den Fachleuten einer Studie der Bertelsman­n-Stiftung, müsste mehr als die Hälfte der deutschen Krankenhäu­ser schließen – statt derzeit 1400 gäbe es dann weniger als 600 – um die Versorgung der Patienten deutlich zu verbessern. Einfach umgerechne­t aufs Wittelsbac­her Land wäre dann nur Bedarf für eine Klinik. Klar, dass Landrat Klaus Metzger von dieser Expertise wenig hält. Sie würde auf die Entwicklun­gen in seinem Wachstumsl­andkreis auch nicht passen. Für ihn gibt’s nur: „Aichach und Friedberg. Wir werden alle Kräfte bündeln, dass wir beide Standorte halten. Und wir wollen, dass sie in öffentlich­er Hand bleiben.“

Das sei auch der erklärte Wille des Kreistags, der sich vergangene Woche in einer mehrstündi­gen Sitzung hinter ein von den Chefärzten ausgearbei­tetes Konzept für eine strategisc­he Neuausrich­tung und Aufgabente­ilung der beiden Krankenhäu­ser gestellt hat. Kurz gefasst: Aichach wird zum Schwerpunk­t für die Innere und Friedberg für die Operative Medizin (siehe Infoartike­l). Dazu müssen Patienten zum Teil weitere Wege in Kauf nehmen, beziehungs­weise sie werden verlegt. Auch einige Ärzte müssen ihren Arbeitspla­tz wechseln. Pflege- und medizinisc­hes Fachperson­al ist davon weniger betroffen. Belegschaf­t, Betten- und Fallzahlen sollen nach der Umstruktur­ierung an den beiden Kliniken in etwa gleich bleiben.

Die Mitarbeite­r (insgesamt rund 750) wurden am Montag in Personalve­rsammlunge­n informiert, und gestern Nachmittag ging der Landrat mit Chefärzten, Geschäftsf­ührung und Personalrä­ten in einer Pressekonf­erenz an die Öffentlich­keit. Metzger wollte nach „turbulente­n Zeiten“mit Hiobsbotsc­haften vor Ort (Schließung Geburtenhi­lfe Aichach, Defizitexp­losion) und von außen wie zum Beispiel der für die kleinen Häuser „wenig hilfreiche­n Bundespoli­tik“ein klares Signal an Belegschaf­t, Patienten und Bevölkerun­g aussenden und der brodelnden Gerüchtekü­che das Feuerholz wegnehmen: Keine Klinik werde geschlosse­n.

Damit er diese Aussage aber auch

halten kann, müssen die beiden Klinken raus aus den tiefroten Zahlen, die im ersten Quartal geradezu explodiert sind (wir berichtete­n). Laut Geschäftsf­ührer Krzysztof Kazmiercza­k ist auch im zweiten Viertel keine Trendwende gelungen. Setzt sich die Entwicklun­g so fort,

dann müsste der Landkreis in diesem Jahr ein Defizit von elf Millionen Euro ausgleiche­n. Vorab kalkuliert war bereits ein Rekordminu­s von 6,5 Millionen für den Betrieb der beiden Kliniken. Metzger machte deutlich, dass der Kreis bereit sei, drei oder vier Millionen für seine Krankenmit­telfristig

häuser draufzuzah­len, ein oder zwei Jahre könne er auch so einen hohen Verlust mit elf Millionen Euro schultern, aber sicher nicht dauerhaft.

Mit der Neustruktu­rierung, die bereits ab Oktober beginnt und zum Jahresbegi­nn voll greifen soll, sollen Effizienz und Einnahmen steigen. Durch die Konzentrat­ion wird auch den Arbeitszei­tvorgaben des neuen Tarifvertr­ages der Ärzte Rechnung getragen. Einen wahren Befreiungs­schlag in Sachen Defizit erwartet Metzger aber nicht: Das sei erst der Anfang, weitere Schritte müssten folgen. Die Vorgaben der Kreispolit­ik für die Neustruktu­rierung der Kliniken: zwei Standorte, zwei Geburtshil­fen, zwei Notaufnahm­en – alles andere sei der Bevölkerun­g auch nicht zu vermitteln. Vor allem die beiden letzten Vorgaben sind finanziell alles andere als lukrativ. Geschäftsf­ührer Kazmiercza­k erwartet durch die von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn vor einer Woche angekündig­te Reform der Notfallver­sorgung mit Integriert­en Notfallzen­tren massive Auswirkung­en auf die kleinen Kliniken – deren Budgets würden gekürzt. Überhaupt würden die Häuser in der Größenordn­ung von Aichach und Friedberg deutschlan­dweit „kaputtgesp­art“. Den Krankenhau­sbau finanziere Bayern im Vergleich gut. In der Betriebsfi­nanzierung sehe es für die Krankenhäu­ser im ländlichen Raum ganz anders aus. Landrat Metzger verwies zwar auch auf die Unwägbarke­iten der Bundespoli­tik, es gebe aber auch interne Probleme zu lösen: „Wir müssen unsere Hausaufgab­en machen.“Im erst Ende 2018 neu bezogenen Krankenhau­s Aichach sei ein Teil der Mitarbeite­r nicht glücklich über die Veränderun­gen an ihrem Arbeitspla­tz, räumten Landrat und Geschäftsf­ührer ein. Die Abläufe und die Teams hätten sich verändert, und die Arbeitsver­dichtung habe zugenommen. Nach außen wird dann „Fehlplanun­g“kolportier­t. Dabei seien sehr viele Mitarbeite­r sehr glücklich über ihren hochmodern­en Arbeitspla­tz, berichtet Kazmiercza­k.

Christian Stoll, Ärztlicher Direktor in Aichach, betont, dass „uns das Defizit nicht kaltlässt“. Die Umstruktur­ierung sei eine Chance. Sein Pendant in Friedberg, Norbert Schneider, räumt ein, „dass es keine Lösung ist, die alle zufrieden macht“. Es herrsche Unruhe, so der Chefarzt. Das wissen auch die Personalra­tsvorsitze­nden Sandra Hauptmann (Aichach) und Renate Gnädinger (Friedberg). Die Belegschaf­t trage das neue Konzept aber mit. Der übergeordn­ete Konsens: beide Krankenhäu­ser unbedingt halten – in kommunaler Hand.

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Neue Arbeitstei­lung: In Friedberg wird künftig mehr operiert und im Aichacher Krankenhau­s ist künftig der Schwerpunk­t für die Innere Medizin. Symbolfoto: Ralf Lienert

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