Klinikdefizit explodiert
Das Klinikdefizit schnellt in diesem Jahr auf ein Rekordhoch. Jetzt reagiert der Landkreis und strukturiert um: In Aichach liegt der Schwerpunkt bei der Inneren Medizin, in Friedberg wird mehr operiert. Was in beiden Häusern bleibt
Geradezu explodiert ist im ersten Quartal das Defizit der Kliniken an der Paar. Ein Maßnahmenpaket soll die Krankenhäuser aus den roten Zahlen holen.
Aichach-Friedberg Friedberg oder sogar das neu gebaute Aichach? Ginge es nach den Fachleuten einer Studie der Bertelsmann-Stiftung, müsste mehr als die Hälfte der deutschen Krankenhäuser schließen – statt derzeit 1400 gäbe es dann weniger als 600 – um die Versorgung der Patienten deutlich zu verbessern. Einfach umgerechnet aufs Wittelsbacher Land wäre dann nur Bedarf für eine Klinik. Klar, dass Landrat Klaus Metzger von dieser Expertise wenig hält. Sie würde auf die Entwicklungen in seinem Wachstumslandkreis auch nicht passen. Für ihn gibt’s nur: „Aichach und Friedberg. Wir werden alle Kräfte bündeln, dass wir beide Standorte halten. Und wir wollen, dass sie in öffentlicher Hand bleiben.“
Das sei auch der erklärte Wille des Kreistags, der sich vergangene Woche in einer mehrstündigen Sitzung hinter ein von den Chefärzten ausgearbeitetes Konzept für eine strategische Neuausrichtung und Aufgabenteilung der beiden Krankenhäuser gestellt hat. Kurz gefasst: Aichach wird zum Schwerpunkt für die Innere und Friedberg für die Operative Medizin (siehe Infoartikel). Dazu müssen Patienten zum Teil weitere Wege in Kauf nehmen, beziehungsweise sie werden verlegt. Auch einige Ärzte müssen ihren Arbeitsplatz wechseln. Pflege- und medizinisches Fachpersonal ist davon weniger betroffen. Belegschaft, Betten- und Fallzahlen sollen nach der Umstrukturierung an den beiden Kliniken in etwa gleich bleiben.
Die Mitarbeiter (insgesamt rund 750) wurden am Montag in Personalversammlungen informiert, und gestern Nachmittag ging der Landrat mit Chefärzten, Geschäftsführung und Personalräten in einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit. Metzger wollte nach „turbulenten Zeiten“mit Hiobsbotschaften vor Ort (Schließung Geburtenhilfe Aichach, Defizitexplosion) und von außen wie zum Beispiel der für die kleinen Häuser „wenig hilfreichen Bundespolitik“ein klares Signal an Belegschaft, Patienten und Bevölkerung aussenden und der brodelnden Gerüchteküche das Feuerholz wegnehmen: Keine Klinik werde geschlossen.
Damit er diese Aussage aber auch
halten kann, müssen die beiden Klinken raus aus den tiefroten Zahlen, die im ersten Quartal geradezu explodiert sind (wir berichteten). Laut Geschäftsführer Krzysztof Kazmierczak ist auch im zweiten Viertel keine Trendwende gelungen. Setzt sich die Entwicklung so fort,
dann müsste der Landkreis in diesem Jahr ein Defizit von elf Millionen Euro ausgleichen. Vorab kalkuliert war bereits ein Rekordminus von 6,5 Millionen für den Betrieb der beiden Kliniken. Metzger machte deutlich, dass der Kreis bereit sei, drei oder vier Millionen für seine Krankenmittelfristig
häuser draufzuzahlen, ein oder zwei Jahre könne er auch so einen hohen Verlust mit elf Millionen Euro schultern, aber sicher nicht dauerhaft.
Mit der Neustrukturierung, die bereits ab Oktober beginnt und zum Jahresbeginn voll greifen soll, sollen Effizienz und Einnahmen steigen. Durch die Konzentration wird auch den Arbeitszeitvorgaben des neuen Tarifvertrages der Ärzte Rechnung getragen. Einen wahren Befreiungsschlag in Sachen Defizit erwartet Metzger aber nicht: Das sei erst der Anfang, weitere Schritte müssten folgen. Die Vorgaben der Kreispolitik für die Neustrukturierung der Kliniken: zwei Standorte, zwei Geburtshilfen, zwei Notaufnahmen – alles andere sei der Bevölkerung auch nicht zu vermitteln. Vor allem die beiden letzten Vorgaben sind finanziell alles andere als lukrativ. Geschäftsführer Kazmierczak erwartet durch die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vor einer Woche angekündigte Reform der Notfallversorgung mit Integrierten Notfallzentren massive Auswirkungen auf die kleinen Kliniken – deren Budgets würden gekürzt. Überhaupt würden die Häuser in der Größenordnung von Aichach und Friedberg deutschlandweit „kaputtgespart“. Den Krankenhausbau finanziere Bayern im Vergleich gut. In der Betriebsfinanzierung sehe es für die Krankenhäuser im ländlichen Raum ganz anders aus. Landrat Metzger verwies zwar auch auf die Unwägbarkeiten der Bundespolitik, es gebe aber auch interne Probleme zu lösen: „Wir müssen unsere Hausaufgaben machen.“Im erst Ende 2018 neu bezogenen Krankenhaus Aichach sei ein Teil der Mitarbeiter nicht glücklich über die Veränderungen an ihrem Arbeitsplatz, räumten Landrat und Geschäftsführer ein. Die Abläufe und die Teams hätten sich verändert, und die Arbeitsverdichtung habe zugenommen. Nach außen wird dann „Fehlplanung“kolportiert. Dabei seien sehr viele Mitarbeiter sehr glücklich über ihren hochmodernen Arbeitsplatz, berichtet Kazmierczak.
Christian Stoll, Ärztlicher Direktor in Aichach, betont, dass „uns das Defizit nicht kaltlässt“. Die Umstrukturierung sei eine Chance. Sein Pendant in Friedberg, Norbert Schneider, räumt ein, „dass es keine Lösung ist, die alle zufrieden macht“. Es herrsche Unruhe, so der Chefarzt. Das wissen auch die Personalratsvorsitzenden Sandra Hauptmann (Aichach) und Renate Gnädinger (Friedberg). Die Belegschaft trage das neue Konzept aber mit. Der übergeordnete Konsens: beide Krankenhäuser unbedingt halten – in kommunaler Hand.