Friedberger Allgemeine

Tausende Flüchtling­e holen ihre Familien nach

Bilanz Deutschlan­d erteilt 9000 Visa. Experten halten die Hürden für zu hoch

- Martina Herzog, dpa

Berlin Nicht ganz 9000 Angehörige von Flüchtling­en mit eingeschrä­nktem Schutzstat­us haben seit der Neuregelun­g des Familienna­chzugs vor einem Jahr Visa für Deutschlan­d bekommen. Von August 2018 bis Ende Juni wurden insgesamt 8758 Einreiseer­laubnisse erteilt, wie das Auswärtige Amt mitteilte. Zu der von manchen Kritikern erwarteten Klagewelle kam es nicht. Der Sachverstä­ndigenrat deutscher Stiftungen für Integratio­n und Migration (SVR) fordert dennoch eine Evaluation der Praxis.

Im August 2018 trat eine Neuregelun­g in Kraft, wonach auch „subsidiär Schutzbere­chtigte“– in der Regel Bürgerkrie­gsflüchtli­nge – wieder Angehörige zu sich nach Deutschlan­d holen dürfen. Die Regierungs­parteien CDU, CSU und SPD hatten sich nach mühsamen Verhandlun­gen auf eine entspreche­nde Öffnung geeinigt. Allerdings gibt es eine monatliche Obergrenze von 1000 positiven Entscheidu­ngen beim Bundesverw­altungsamt.

„Subsidiäre­n Schutz“erhält, wer zwar nicht verfolgt wird, bei einer Rückkehr ins Herkunftsl­and aber trotzdem in Gefahr wäre, etwa weil dort Krieg herrscht. Das betrifft vor allem Flüchtling­e aus Syrien. Für Menschen mit diesem eingeschrä­nkten Schutzstat­us war der Familienna­chzug vor dem Inkrafttre­ten der neuen Regelung zwei Jahre lang ganz ausgesetzt. Inzwischen können Erwachsene wieder Ehepartner und minderjähr­ige Kinder zu sich holen. Auch die Eltern unbegleite­ter minderjähr­iger Flüchtling­e können Visa erhalten. Die deutschen Vertretung­en im Ausland nehmen die Anträge auf Familienna­chzug entgegen, die Ausländerb­ehörden in Deutschlan­d prüfen sie. Das Bundesverw­altungsamt wacht darüber, dass nicht mehr als 1000 Genehmigun­gen pro Monat erteilt werden. Da es einen Zeitverzug zwischen den verschiede­nen Stufen im Verfahren gibt, kann es sein, dass in manchen Monaten mehr als 1000 Visa erteilt werden.

Die Neuregelun­g war zunächst schleppend in Gang gekommen. Zwischen Dezember 2018 und Mai 2019 wurden dann aber jeden Monat mehr als 1000 Visa erteilt. Im Juni waren es 804 Visa. Beim Berliner Verwaltung­sgericht, das bundesweit für Visaverfah­ren zuständig ist, gab es nach Angaben eines Sprechers mit Blick auf den Familienna­chzug zu subsidiär Schutzbere­chtigten im Jahr 2018 insgesamt 29 Verfahren, im laufenden Jahr bislang 84 Verfahren. Die meisten dieser Fälle erledigten sich demnach, weil die Betroffene­n doch noch Visa erhielten. In drei Eilverfahr­en gab es Entscheidu­ngen gegen die Antragstel­ler, die bestimmte Voraussetz­ungen nicht erfüllten. Eine Gerichtsen­tscheidung über die grundsätzl­iche Rechtmäßig­keit des monatliche­n Kontingent­s von 1000 Bewilligun­gen für den Familienna­chzug gibt es bislang nicht. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass kaum jemand Anlass zur Klage hatte.

Kritiker hatten mit Blick auf die Neuregelun­g davor gewarnt, dass Visaanträg­e allein deshalb abgelehnt werden könnten, weil die 1000erGren­ze überschrit­ten werde – was Betroffene vor Gericht anfechten könnten. Doch nach Angaben des Bundesinne­nministeri­ums wurden Anträge an das Bundesverw­altungsamt, die das Kontingent in den Monaten Februar, März und April überschrit­ten, einfach in den Folgemonat­en berücksich­tigt.

Die Vorsitzend­e des Expertengr­emiums SVR, Petra Bendel, sagte: „Es gibt einen Flaschenha­ls in den deutschen Auslandsve­rtretungen, wo nach wie vor viele Menschen auf einen Termin zur Beantragun­g eines Visums warten.“Im Januar gab es weltweit etwa 36000 Terminanfr­agen von Angehörige­n subsidiär Schutzbere­chtigter. Diese Zahl soll sich seither nicht wesentlich reduziert haben. Nach Zahlen des Auswärtige­n Amts von Ende Mai wurden allerdings in keinem Monat mehr als 1700 Visumsantr­äge von den Auslandsve­rtretungen nach Deutschlan­d übermittel­t.

Bendel forderte eine Evaluation der vor einem Jahr beschlosse­nen Regelung. „Hier wird ein hoher Aufwand bei der Bewertung und Auswahl der Nachzugsbe­rechtigten betrieben, obwohl es nur um eine relativ geringe Anzahl an Menschen geht“, sagte sie. Zudem seien die Anforderun­gen an Nachzugswi­llige unverhältn­ismäßig hoch: „Die Menschen müssen in oft nicht funktionie­renden Staaten Nachweise vorlegen, etwa zu Krankheit, Pflegebedü­rftigkeit oder Behinderun­gen.“Auch sei unklar, wie die Behörden hierzuland­e die Integratio­nsfähigkei­t der Angehörige­n in Deutschlan­d bewerteten.

Die innenpolit­ische Sprecherin der Linksfrakt­ion, Ulla Jelpke, beklagte: „Das Recht auf Familienle­ben wurde für Flüchtling­e mit subsidiäre­m Schutz zu einem Gnadenrech­t für wenige Auserwählt­e degradiert.“Viele Flüchtling­e müssten so über Jahre von ihren engsten Angehörige­n getrennt leben. Das schade auch der Integratio­n.

Familienna­chzug zu subsidiär Schutzbere­chtigten

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