Johnson zieht die Spendierhosen an
Großbritannien Mit großzügigen finanziellen Zusagen will der neue Premier das Land für einen Brexit ohne Vertrag rüsten. Doch nicht bei allen stößt er damit auf Gegenliebe
London Eine Woche kann in der Politik bekanntlich eine lange Zeit sein. Das gilt umso mehr im Vereinigten Königreich, wo seit vergangenem Mittwoch Boris Johnson als Premierminister waltet. So hat er etwa ein sogenanntes „Kriegskabinett“aus sechs hochrangigen Ministern gebildet, wie Medien betonten, das alle Vorbereitungen für einen No-Deal-Brexit, einen ungeordneten EU-Austritt ohne Abkommen und Übergangsphase, treffen soll.
Die Zeit drängt, weniger als 100 Tage bleiben Johnson, um sein Versprechen einzuhalten. Er beteuert bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass die Briten bis zum 31. Oktober dieses Jahres die Staatengemeinschaft verlassen werden – „ohne Wenn und Aber“und im Notfall auch ohne Vertrag. Der Brexit steht im Fokus der Regierungsgeschäfte, deshalb stellen sich Beobachter derzeit die Frage: Ist es Ablenkung, Vorbereitung auf einen ungeregelten Brexit oder schon Wahlkampf für mögliche Neuwahlen im Herbst, dass Johnson seit Tagen Geldgeschenke in Milliardenhöhe zusagt?
Mit den Finanzmitteln wolle man die heimische Wirtschaft ankurbeln, es aus Downing Street über den angekündigten Aktionsplan. So soll mit rund einer Milliarde Pfund eine der größten öffentlichen Kampagnen aller Zeiten finanziert werden, um sicherzustellen, dass Einzelpersonen und Unternehmen für das No-Deal-Szenario bereit seien. Zudem soll mit 3,6 Milliarden Pfund (umgerechnet knapp vier Milliarden Euro) Städten geholfen werden, ihre Infrastruktur zu verbessern. Landesteilen wie Schottland, Wales und Nordirland stellt die Regierung Gelder in Höhe von 300 Millionen Pfund (328 Millionen Euro) bereit. Außerdem plant die konservative Regierung eine Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnverbindung zwischen Manchester und Leeds. 20 000 neue Polizisten sollen für mehr Sicherheit sorgen, und zusätzliches Geld für Sozialfürsorge und Schulen soll es ebenfalls geben.
Dabei hat gerade erst das renommierte Institute for Government (IfG) das Vorgehen der Regierung ins Reich der Fantasie verfrachtet. Die Experten der Denkfabrik warnten, die Regierung werde im Falle einer Scheidung ohne Vertrag unter „beispiellosen Druck“geraten. Die Provinz Nordirland werde dabei „am stärksten betroffen“. Die anstehenden Aufgaben bei einem Brexit ließen über Jahre kaum Zeit und Kraft für andere wichtige Reformen innerhalb Großbritanniens.
Derweil zeigt sich Johnson regelmäßig zuversichtlich, dass ein Abkommen über den Austritt aus der EU zustande kommen wird. Nach Brüssel will er trotzdem nicht reisen, solange sich die Mitgliedstaaten weigerten, das auf dem Tisch lieheißt gende Abkommen noch einmal aufzuschnüren. Deshalb begab sich der neue Regierungschef in den vergangenen Tagen zunächst auf eine Tour durch Großbritannien. In Schottland aber traf er nicht nur auf buhende Protestler, auch die dortige Erste Ministerin Nicola Sturgeon von der Scottish National Party kritisierte Johnson und seine BrexitStrategie scharf. „Das ist eine Rechaotischen gierung, die eine No-Deal-Strategie verfolgt, so sehr sie das auch bestreiten mag“, sagte sie im Anschluss in Edinburgh. „Hinter allem Bluff und Getöse“handele es sich um eine Regierung, „die gefährlich ist“.
Auch die Waliser sind alles andere als begeistert von Johnsons Politik. Der südwestliche Landesteil ist sehr stark von EU-Fördermitteln abhängig. Nach Angaben des Finanzausschusses der Walisischen Nationalversammlung erhielt Wales rund 680 Millionen Pfund (743 Millionen Euro) pro Jahr aus dem EU-Haushalt. 274 Millionen Pfund davon fließen als Direktzahlungen an Landwirte. Daneben gibt es pro Jahr unter anderem 80 Millionen Pfund für Projekte aus Entwicklungsprogrammen für den ländlichen Raum und 295 Millionen Pfund sogenannte Strukturhilfen. Zu letzteren zählen zum Beispiel Gelder für Projekte zur Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen.
Der Regierungschef von Wales, Mark Drakeford (Labour-Partei), kritisierte den Premierminister scharf auf Twitter: „Keine Anerkennung, dass Lebensgrundlagen in Gefahr sind. Keine ernsthaften Antworten. Kein Plan für die Bauern von Wales.“