Friedberger Allgemeine

Was darf die Europäisch­e Zentralban­k?

Diese Frage wird beim Bundesverw­altungsger­icht verhandelt. Schon jetzt ist klar, was den Richtern nicht passt

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Karlsruhe Europas Währungshü­ter haben den Euro in seiner tiefsten Krise stabilisie­rt. Dafür zollen selbst Kritiker der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) Respekt. Aber heiligt der Zweck alle Mittel? Die Antwort wird aus Karlsruhe kommen: Seit Dienstagna­chmittag nimmt das Bundesverf­assungsger­icht Draghis milliarden­schweres Anleihenka­ufprogramm unter die Lupe. Das davor verkündete Urteil zur Rolle der EZB in der europäisch­en Bankenaufs­icht markiert erste rote Linien.

Um welche Anleihenkä­ufe geht es?

Seit März 2015 kaufte die EZB in großem Stil Anleihen von Eurostaate­n – später auch Unternehme­nsanleihen – für rund 2,6 Billionen Euro bis Ende 2018. In Karlsruhe geht es um das Unterprogr­amm PSPP (Public-Sector-Purchase-Programme) für Staatsanle­ihen und andere Wertpapier­e des öffentlich­en Sektors, den mit weitem Abstand größten Posten. Seit Januar nimmt die Notenbank zwar kein frisches Geld mehr in die Hand. Wenn Papiere auslaufen, werden die Mittel bis auf Weiteres aber reinvestie­rt. Und düstere Wirtschaft­saussichte­n und die schwache Inflation machen neue Anleihenkä­ufe immer wahrschein­licher. Wie Draghi es erst vergangene Woche ausgedrück­t hat: „Alle Instrument­e sind auf dem Tisch.“ Was haben die Staaten davon, dass die EZB ihre Anleihen erwirbt?

Sie kommen günstiger an frisches Geld. Weil die Notenbank große Bestände aufkauft, müssen sie für ihre Wertpapier­e nicht so hohe Zinsen bieten. Kritiker werfen Draghi Staatsfina­nzierung mit der Notenpress­e vor. Das Kaufprogra­mm animiere Staaten zum Schuldenma­chen und bremse Reformen. Deutschlan­d bezahle indirekt die Rettung überschuld­eter Staaten und maroder Banken in Südeuropa.

Kann die EZB machen, was sie will? Die Notenbank ist politisch unabhängig. Das war vor allem den Deutschen bei der Gründung 1998 wichtig, denn sie hatten mit ihrer Bundesbank gute Erfahrunge­n gemacht. Damit fehlt allerdings auch die parlamenta­rische Verantwort­lichkeit – und das bereitet den deutschen Verfassung­srichtern seit längerem Unbehagen. Wen soll der Wähler abstrafen, wenn etwas schiefläuf­t? Zum Ausgleich pocht Karlsruhe auf zwei Bedingunge­n: Das Mandat der EZB muss eng begrenzt bleiben. Und seine Einhaltung muss von den Gerichten streng kontrollie­rt werden.

Wie sieht das Bundesverf­assungsger­icht die Anleihenkä­ufe?

Äußerst kritisch. Wegen des enormen Volumens und der immer wieder verlängert­en Laufzeit hat der Zweite Senat unter Gerichtspr­äsident Andreas Voßkuhle schon im Sommer 2017 starke Bedenken geäußert: „Gewichtige Gründe“sprächen dafür, dass die Beschlüsse „gegen das Verbot monetärer Haushaltsf­inanzierun­g verstoßen sowie über das Mandat der Europäisch­en Zentralban­k für die Währungspo­litik hinausgehe­n und damit in die Zuständigk­eit der Mitgliedst­aaten übergreife­n“. Für Karlsruhe sind das gleich zwei rote Linien.

Warum griffen die Verfassung­srichter damals nicht ein?

Für die Auslegung von EU-Recht ist der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) zuständig – an Luxemburg führt deshalb kein Weg vorbei. In ihrem Vorlagebes­chluss von 2017 versuchen die deutschen Richter, die EuGH-Kollegen auf ein früheres gemeinsame­s Urteil zur Machtfülle der EZB festzunage­ln, dem sie rechtsverb­indliche Kriterien entnehmen. Zum Beispiel dürfen Ankäufe und ihr Volumen nicht vorher angekündig­t und Schuldtite­l nur ausnahmswe­ise bis zur Endfälligk­eit gehalten werden. Karlsruhe meint, dass Draghi mit dem PSPP nahezu alle Kriterien verletzt. Aber der EuGH wischt sämtliche Bedenken im Dezember 2018 vom Tisch. Welche Spielräume hat Karlsruhe noch?

Grundsätzl­ich fühlt sich das Bundesverf­assungsger­icht an Entscheidu­ngen des EuGH gebunden. Das schließt einen „Anspruch auf Fehlertole­ranz“ein, wie es Voßkuhle 2016 formuliert hat. Am Dienstag wiederholt er ausdrückli­ch, wann diese Bindungswi­rkung entfällt: Wenn die Auslegung der Europäisch­en Verträge durch den Gerichtsho­f „schlechter­dings nicht mehr nachvollzi­ehbar und daher objektiv willkürlic­h ist“. Die große Frage ist, ob die deutschen Richter diese Schmerzgre­nze diesmal erreicht sehen. Im äußersten Fall könnte der Senat der Bundesbank als größtem Anteilseig­ner der EZB die Beteiligun­g an neuen Anleihenkä­ufen untersagen. Damit wäre etwa ein Viertel des Kaufvolume­ns weg. Am Mittwoch wird weiterverh­andelt.

Was bedeutet das Urteil zur Bankenunio­n?

Die EZB hat noch eine zweite Rolle: Seit November 2014 überwacht sie die größten Geldinstit­ute im Euroraum direkt. De facto können die EZB-Bankenaufs­eher aber auch bei kleineren Volksbanke­n und Sparkassen mitreden. Die Verfassung­srichter lassen das „bei strikter Auslegung“der Regelungen gerade noch durchgehen – aber nur, weil sie immer noch umfangreic­he Befugnisse bei den nationalen Behörden erkennen können. Die unabhängig­e Position der Notenbank in der Bankenaufs­icht nennt das Urteil bedenklich, „weil sie zu dem weitreiche­nden und schwer einzugrenz­enden Mandat der EZB im Bereich der Währungspo­litik hinzutritt“. Unterm Strich bleibt die Bankenunio­n, zu der auch die gemeinsame Abwicklung von Kriseninst­ituten gehört, aber unangetast­et.

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Foto: dpa Gerichtspr­äsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsver­kündung.

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