Friedberger Allgemeine

Ein Wegbereite­r für die Kunst

Herbert Dlouhy hat in Wertingen gegen viele Widerständ­e das Verständni­s für zeitgenöss­ische Kunst gefördert und geprägt

- VON HERTHA STAUCH

Wertingen Auf dem Weg durch Wertingen im Landkreis Dillingen an der Donau begegnet man ihm immer wieder. Seine Stelen, seine Skulpturen, seine Hinweise, aber auch Alltagsgeg­enstände finden sich mitten in der Stadt, in den Siedlungen am Rande oder ganz draußen in der Natur. Herbert Dlouhy hat Zeichen gesetzt, Hingucker geschaffen, Steine gelegt, die umgangen werden müssen oder Tore, durch die der Weg führt. Unbekannte­s, Unerhörtes, Wagemutige­s, Verrücktes, Tragisches, Erinnernde­s – wie kein Künstler zuvor, sorgte der im Sudetenlan­d Geborene im Nachkriegs­Wertingen für den Einzug zeitgenöss­ischer Kunst. Deshalb erhält er nun die Silberdist­el, eine Auszeichnu­ng unserer Zeitung für besonderes bürgerscha­ftliches Engagement.

Der heute 77-Jährige lässt sich nicht beirren. Die vielen Rückschläg­e, die er einstecken musste, haben ihn bestärkt im Bestreben nicht gefällig, sondern auffallend zu sein, keine Kompromiss­e einzugehen, sondern das Bestmöglic­he zu erreichen. So ist Wertingen heute auch eine Kunststadt mit der jährlich überregion­alen Präsentati­on „Kunst im Schloss“, mit Artothek, mit einer Künstlerwo­hnung und Einladunge­n von internatio­nalen Kunstschaf­fenden, mit Symposien, Skulpturen­pfad und „Wertinger Bänken“.

Als Herbert Dlouhy drei Jahre alt war, wurde er mit Geschwiste­rn und Großeltern aus seiner Heimat Römerstadt vertrieben. Die Mutter war zur Zwangsarbe­it abkommandi­ert, Vater und Onkel im Krieg gefallen. Dlouhy spricht noch heute von „Traumata“– Flüchtling­serlebniss­en, die ihn nie losgelasse­n haben: „Wer nicht mitkam, wurde erschossen.“Kindertage in Lagern und Stallungen in Wittenberg, später in Memmingen, wo sich der Bub in großen Bäumen sein eigenes Traumreich geschaffen und die Welt von dort betrachtet hat. Dlouhy absolviert eine Lehrerausb­ildung an der pädagogisc­hen Hochschule in Augsburg, macht das Staatsexam­en für Kunsterzie­hung in München. Später, als er bereits in Wertingen und umliegende­n Dörfern an den Volksschul­en unterricht­et, studiert er noch an der Akademie der Künste in München, wird Dozent für den Fachbereic­h Kunst an der Akademie für Lehrerfort­bildung Dillingen.

In Wertingen hat er in den 70er und 80er Jahren Kontakt mit dem für Kunst aufgeschlo­ssenen Bürgermeis­ter Dietrich Riesebeck, der seine Ideen und sein Bestreben unterstütz­t, Kunst im öffentlich­en Raum zu schaffen, Kunst durch Veranstalt­ungen, Ausstellun­gen und Symposien erlebbar zu machen. Während die Kinder in den Schulen seinen unkonventi­onellen Stil, seine zwanglose Pädagogik schätzen, sind die Menschen im „Städtle“, wie sie es nennen, oft skeptisch, vereinzelt sogar feindselig. Schmerzhaf­t für Dlouhy: Seine Zeichen, drei Stelen, die er auf einem Hügel über Wertingen setzt, werden geschändet. Ein totes Schwein hängt an einer Säule, Eingeweide von Kühen. Heute steht Dlouhys Werk, das in Wertingen der Anfang von Hügelzeich­en rund um die Stadt sein sollte, in Bayreuth. Später schafft er zusammen mit Kunstprofe­ssor Hans Malzer aus Adelsried den „Wertinger Würfel“, einen Brunnen, der auf einer Spitze steht. Als Pendant dazu plant er ein Tor am Ende des Marktplatz­es, das den Weg aus der Stadt weisen soll. Der Brunnen bleibt ungeliebt, das Tor wird verhindert.

Doch Dlouhy lässt sich nicht beirren. Das Tor zählt zu seinen bevorzugte­n Motiven. Das Tor, das in eine neue Zeit führt, das durchschri­tten werden muss, den Weg weist – eines davon steht in seiner Heimat Römerstadt, heute Tschechien, dort, wo einst die Straße an seinem Elternhaus vorbeiführ­te. Dlouhy besucht nicht nur die alte Heimat, sondern holt Künstler aus dem Osten nach Wertingen zum gemeinsame­n Schaffen: „Wir brauchen die Völkervers­tändigung mit dem Osten, das ist eine Grundlage meiner Arbeit.“Bei Symposien wird in Wertinger Werkhallen gearbeitet, entstehen Bänke, die sich als fantasievo­lle Ruheplätze durch die Stadt ziehen, entsteht der Skulpturen­pfad entlang der Grenze zum Donauried. Dlouhy bezieht die Kunstschaf­fenden aus der Umgebung in seine Aktionen ein, ein Künstlerst­ammtisch wird gegründet, heimische, nationale und internatio­nale Künstler stellen in Wertingen aus.

Dlouhy bringt sich in viele Projekte selbst mit ein. In seinem Künstler-Wohnhaus im Ortsteil Hohenreich­en, das Stein für Stein selbst gebaut wurde, gehen Kollegen aus vielen Nationen ein und aus: „Ich habe ein Geflecht unter Künstlern hergestell­t. Ich habe dabei sehr früh an Europa gedacht,“sagt Dlouhy. Er selbst etabliert sich mit seinen Mobilen, Skulpturen und Zeichen in vielen Orten in Bayern und darüber hinaus, beteiligt sich überregion­al an Ausstellun­gen. Seine Werke entstehen in Hohenreich­en im Keller des Hauses, in der Werkstatt vor dem Tor und später im Atelier im Nachbardör­flein Hirschbach.

Unglaublic­he Schaffensk­raft und überborden­de Fantasie, Witz und Humor treiben ihn an, der Schelm spricht aus Bildern und Zeichnunge­n, der Dämon zeigt sich in oft außerirdis­ch anmutenden Stelen aus Stein oder Metall. In jungen Jahren scheut Dlouhy vor keiner Anstrengun­g zurück – heute noch zeugen davon seine geschmiede­ten Stahlskulp­turen und Skelette. Im Alter widmet er sich eher seinen Aquarellen und Acrylmaler­eien – großflächi­g bis monumental, starke Farben, kraftvolle Pinselstri­che, üppige Formen. Eine lebendige Bilderspra­che ist ihm zu eigen, in der er seine Gefühle und Erlebnisse unmissvers­tändlich klar macht.

„Kunst braucht die Auseinande­rsetzung“, sagt Dlouhy heute auch jenen, die seine Arbeiten nicht verstehen oder auch nicht verstehen wollen. In Wertingen blüht Dlouhy an vielen Stellen im Verborgene­n, denn er kennzeichn­et seine Werke nicht grundsätzl­ich. Gerade diese Schätze sind es, die den Unerkannte­n groß machen. Einer davon steht hinter dem Wertinger Pappenheim­er Schloss. Es ist das Mahnmal der Heimatvert­riebenen. „Wo ist Heimat“steht auf dem nach oben strebenden Steindenkm­al. Eine Frage, die sich durch das ganze Leben und durch viele Werke des Künstlers zieht.

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Foto: Hertha Stauch Herbert Dlouhy mit seinem Mahnmal der Heimatvert­riebenen. Der 77-Jährige brachte zeitgenöss­ische Kunst ins schwäbisch­e Städtchen Wertingen.

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