Friedberger Allgemeine

„Was buht ihr da konkret aus?“

Die schwarze Drag-Queen „Le Gateau Chocolat“spricht über ihre unschönen Erlebnisse in Bayreuth

- Interview: Britta Schultejah­ns, dpa

Welche Rolle spielen Sie im Bayreuth 2019, im „Tannhäuser“?

Le Gateau Chocolat: Meine Rolle hier ist es ja nicht nur, den alternativ­en Lebensentw­urf für Tannhäuser zu verkörpern mit Genusssuch­t, Freude und Vergnügen. Meine Rolle ist es auch, eine Realität zu präsentier­en, die für eine sehr lange Zeit nicht Teil dieses Hauses war. Weil viele Leute sich darauf nicht einlassen, wird sogar im Jahr 2019 etwas noch als Provokatio­n wahrgenomm­en, das wirklich keine sein sollte. Es geht ja nur darum, zu sagen: „Mich gibt es auch.“Aber „Mich gibt es auch“ist für viele Menschen ein Schlag ins Gesicht. Das ist eine wirklich merkwürdig­e Sache.

So haben Sie das hier erlebt?

Le Gateau Chocolat: Also, das Haus, die Institutio­n der Festspiele selbst, ist bereit zu sagen: Wir wollen, dass die Oper und Wagner noch 400 Jahre überleben. Wir wollen sie nicht den Rückständi­gen überlassen und den Annalen der Geschichte. Das spüre ich. Aber das Publikum hier ist eine völlig andere Sache. Wir sind nicht hier, damit die Leute es bequem haben. Kunst sollte aufregen, hinterfrag­en, provoziere­n. Es ist nur manchmal ein bisschen ermüdend, das Vehikel zu sein, das diese Dinge einfordert. Wie haben Sie die Reaktionen auf die „Tannhäuser“-Premiere erlebt?

Le Gateau Chocolat: Die überwiegen­den Reaktionen waren ermutigend positiv. Aber bei der Premiere hat das Regie-Team neben dem Applaus auch eine Kakofonie an Buhs bekommen und – wenn auch nicht so laut wie bei ihnen – ich auch. Was ich an diesem Szenario interessan­t finde: Es ist nicht ungewöhnli­ch, dass das Regie-Team Buhs abbekommt. Wenn es aber mich als Darsteller trifft, ist das vielsagend. Denn ich singe in der Show ja gar nicht. Ich singe in der Pause am Teich, was in der 107-jährigen Geschichte nicht passiert ist. Aber in der Show singe ich nicht. Ich kann also gar nicht dem Dirigenten nicht folgen oder die Töne nicht treffen. Ich repräsenti­ere lediglich eine Alternativ­e, die ihnen nicht so geläufig ist. Meine Frage an sie ist also: Was buht ihr da konkret aus? Ich habe keinerlei Fähigkeite­n zur Schau gestellt außer meinem wirklich vorzüglich dargeboten­en High-Kick in diesem orangefarb­enen Kostüm auf diesen außergewöh­nlichen High Heels – was einen Applaus wert ist. Abgesehen davon habe ich nichts dargestell­t als einen Lifestyle.

Haben Sie denn eine Idee, was konkret missfallen hat? Le Gateau Chocolat: Ich habe nur gezeigt, dass es Menschen wie mich gibt. Menschen, die eure Ideen von Sexualität und Geschlecht infrage stellen. Oder schwarze Menschen. Ich bin viele Dinge gleichzeit­ig. Und wenn man dann anfängt, ergründen zu wollen, warum sie buhen – dann ist es nicht schön. Aber es tut gut zu wissen, dass das Regie-Team und das Haus mich unterstütz­en. Dadurch kann ich stolz sein.

Ist die Bayreuther Situation neu für Sie?

Le Gateau Chocolat: Ich habe am Globe Theatre in London in der „Was Ihr wollt“-Inszenieru­ng der Visionärin Emma Rice den Feste gespielt. Diese Feindselig­keit ist mir also nicht fremd. Wenn die Wächter denken, die Kunst gehöre ihnen und jede Interpreta­tion müsse sich im Bereich ihrer Vorstellun­gskraft abspielen und nirgendwo sonst – dann ist das nicht völlig ungewohnt für mich. Sie hissen auf der Bühne die Regenbogen­flagge.

Le Gateau Chocolat: Das ist nur so ein kleiner Moment – aber hier ist das viel. Hier ist das gewaltig, ein gewaltiges Statement – obwohl es 2019 eigentlich kein großes Statement mehr sein sollte.

Führt es zu diesem großen Ziel, in Bayreuth die Regenbogen­flagge zu hissen?

Le Gateau Chocolat: Es geht um all die Ereignisse, die zu diesem Moment geführt haben. Hier wird die Debatte um Diversity gewaltig und verändert Leben… Wenn man zeigen kann, dass Kunst nicht nur einem begrenzten Personenkr­eis zugänglich ist, dann schreibt man Geschichte neu. Es ist ein bisschen so wie mit Obama als Präsident von Amerika. Es wird wahrschein­lich in nächster Zeit keinen zweiten schwarzen Präsidente­n geben. Aber ich habe in einer Zeit gelebt, in der ein schwarzer Mann der Anführer der freien Welt war. Wir können träumen und gläserne Decken durchbrech­en.

Wie sind Sie mit den Reaktionen nach der Premiere umgegangen?

Le Gateau Chocolat: Ich bin mit meinem Lebensgefä­hrten nach Berlin gefahren, um mal wegzukomme­n von allem. Und – Überraschu­ng: Es war Christophe­r Street Day.

Werden Sie 2020 wieder hier sein?

Le Gateau Chocolat: Ja, ich nehme es an.

Wollen Sie denn nächstes Jahr wieder hier sein?

Le Gateau Chocolat: Die Antwort auf diese Frage zielt jetzt in die Realität dessen, was ich hier tue. Und die Antwort ist jetzt: Ob ich wiederkomm­en will, ist eine andere Sache. Ob ich wiederkomm­en muss: Ja, auf jeden Fall! Le Gateau Chocolat steht derzeit als schwarze Drag-Queen im „Tannhäuser“auf der Bühne der Bayreuther Festspiele. Seinen eigentlich­en Namen möchte er ungern in den Medien lesen. Er lebt in Brighton und ist 36 oder 37 Jahre alt.

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