Hilft mehr Polizei an Bahnhöfen?
Nach dem Tod eines Achtjährigen will Bundesinnenminister Seehofer die Sicherheit für Fahrgäste verbessern. Der Frankfurter Fall erinnert an eine Attacke in Augsburg
Frankfurt/Augsburg Unfassbares Entsetzen hat die Tat eines Mannes aus Eritrea ausgelöst, der am Frankfurter Hauptbahnhof einen Achtjährigen offenbar grundlos und ohne den Jungen zu kennen vor einen einfahrenden ICE ins Gleisbett und damit in den Tod gestoßen hat. Wie sich nun herausstellte, soll der 40-Jährige vor Tagen seine Nachbarin an seinem Wohnort in der Schweiz mit einem Messer bedroht haben. Dann floh er – letztlich nach Deutschland – vor der Schweizer Polizei, die nach ihm fahndete.
Was tut man aber gegen solche Übergriffe, die aus dem Hinterhalt, quasi aus dem Nichts passieren? Und müssen Bahnhöfe jetzt umgerüstet werden, um es Angreifern schwerer zu machen? Die Bahn äußerte sich „tief schockiert“zur Diskussion rund um Sicherheitsmaßnahmen, wollte aber bisher keinen Kommentar abgeben.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verlangte größere Polizeipräsenz an Bahnhöfen. Außerdem müsse man technische Möglichkeiten zur Verbesserung der Sicherheit prüfen. Der CSU-Politiker erneuerte auch seine Forderung nach einer stärkeren Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Er betonte, bei der Erhöhung der Sicherheit handele es sich um eine „komplexe Aufgabe“, weil es in Deutschland rund 5600 Bahnhöfe mit völlig unterschiedlichen Strukturen gebe.
Auch die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) fordert mehr Polizei und Sicherheitskräfte. „Ein bewährtes, leider komplett vernachlässigtes Mittel sind zudem Bahnaufsichten“, sagte GDL-Chef Claus Weselsky. Der Blick geschulter Kräfte auch auf möglicherweise kritische Situationen erlaube deutlich schnellere Reaktionszeiten. „Das kann im Zweifelsfall über Leben und Gesundheit potenzieller Opfer entscheiden.“
Der Täter hatte auch die Mutter des Kindes auf die Gleise gestoßen. Diese konnte sich aber gerade noch retten, indem sie sich wegdrehte. Der Fall erinnert – wenn auch entfernt und nicht wirklich vergleichbar – an eine dramatische Situation, die sich vor etwas über zwei Jahren am Augsburger Hauptbahnhof ereignete.
Es handelte sich damals um einen eher ruhigen Sonntagvormittag gegen 11 Uhr Anfang März, als ein 33-jähriger bärtiger Student aus Berlin auf Gleis 3 auf seinen Zug in Richtung Nürnberg wartete. Zeugen konnten ihren Augen kaum trauen, als sie sahen, was dann passierte. Ein hinter ihm stehender Mann nahm unvermittelt zwei Schritte Anlauf – und versetzte dem 33-Jährigen einen kräftigen Stoß in Richtung Gleis. Doch dieser konnte den Schub mit kleinen Schritten nach vorn abfangen. Er war schwer beladen – mit einem Gitarrenkoffer und zwei Rucksäcken. Dieses schwere Gewicht trug möglicherweise dazu bei, dass der Berliner den Stoß abwehren konnte.
Zu diesem Zeitpunkt war der ICE nur noch zwei Meter entfernt. Der Lokführer sagte später bei der Gerichtsverhandlung, dass er zwar den Mann mit den Rucksäcken hatte taumeln sehen. Aber selbst bei einer Schnellbremsung wäre der ICE noch etwa 100 Meter weitergefahren, bis er zum Stillstand gekommen wäre. Der Student wollte sich offenbar trotz allem nicht von seinem Weg Richtung Berlin abbringen lassen. Anstatt den Mann zu konfrontieren, der ihn attackiert hatte, oder die Polizei zu rufen, stieg er in den ICE ein und fuhr Richtung Norden.
Unterdessen hatte eine Augenzeugin die Polizei informiert und eine genaue Personenbeschreibung durchgegeben. Die Beamten nahmen den 30-jährigen Täter in einer nahe gelegenen Bäckerei in einer Unterführung fest. Das Opfer wurde wenig später in Nürnberg aus dem Zug geholt und von der Polizei befragt.
Der Täter berichtete später vor Gericht von seiner Krankheit. Er litt an Wahnvorstellungen, an Paranoia. So habe sich der Italiener, der in Augsburg aufgewachsen ist, von Salafisten verfolgt gefühlt. Nur fünf Tage vor der Tat hatten seine Angehörigen ihn in die Augsburger Psychiatrie einweisen lassen. Doch auch dort war der 30-Jährige der Meinung, er werde von Salafisten bedroht. Er verließ die Klinik wieder. Am Bahnhof traf er auf den Berliner Studenten, den er wegen seines langen Bartes für einen Salafisten hielt. Der 30-Jährige sagte vor Gericht: „Im Rucksack habe ich Waffen vermutet. Ich dachte, wenn er in den gleichen Zug steigt, könnte er mich und andere töten.“Später wurde der Täter vom Gericht als schuldunfähig eingestuft und musste sich psychiatrisch behandeln lassen. Wie sich nun herausstellte, ist auch der Täter von Frankfurt psychisch krank.