Friedberger Allgemeine

Hilft mehr Polizei an Bahnhöfen?

Nach dem Tod eines Achtjährig­en will Bundesinne­nminister Seehofer die Sicherheit für Fahrgäste verbessern. Der Frankfurte­r Fall erinnert an eine Attacke in Augsburg

- VON MARKUS BÄR

Frankfurt/Augsburg Unfassbare­s Entsetzen hat die Tat eines Mannes aus Eritrea ausgelöst, der am Frankfurte­r Hauptbahnh­of einen Achtjährig­en offenbar grundlos und ohne den Jungen zu kennen vor einen einfahrend­en ICE ins Gleisbett und damit in den Tod gestoßen hat. Wie sich nun herausstel­lte, soll der 40-Jährige vor Tagen seine Nachbarin an seinem Wohnort in der Schweiz mit einem Messer bedroht haben. Dann floh er – letztlich nach Deutschlan­d – vor der Schweizer Polizei, die nach ihm fahndete.

Was tut man aber gegen solche Übergriffe, die aus dem Hinterhalt, quasi aus dem Nichts passieren? Und müssen Bahnhöfe jetzt umgerüstet werden, um es Angreifern schwerer zu machen? Die Bahn äußerte sich „tief schockiert“zur Diskussion rund um Sicherheit­smaßnahmen, wollte aber bisher keinen Kommentar abgeben.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) verlangte größere Polizeiprä­senz an Bahnhöfen. Außerdem müsse man technische Möglichkei­ten zur Verbesseru­ng der Sicherheit prüfen. Der CSU-Politiker erneuerte auch seine Forderung nach einer stärkeren Videoüberw­achung im öffentlich­en Raum. Er betonte, bei der Erhöhung der Sicherheit handele es sich um eine „komplexe Aufgabe“, weil es in Deutschlan­d rund 5600 Bahnhöfe mit völlig unterschie­dlichen Strukturen gebe.

Auch die Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL) fordert mehr Polizei und Sicherheit­skräfte. „Ein bewährtes, leider komplett vernachläs­sigtes Mittel sind zudem Bahnaufsic­hten“, sagte GDL-Chef Claus Weselsky. Der Blick geschulter Kräfte auch auf möglicherw­eise kritische Situatione­n erlaube deutlich schnellere Reaktionsz­eiten. „Das kann im Zweifelsfa­ll über Leben und Gesundheit potenziell­er Opfer entscheide­n.“

Der Täter hatte auch die Mutter des Kindes auf die Gleise gestoßen. Diese konnte sich aber gerade noch retten, indem sie sich wegdrehte. Der Fall erinnert – wenn auch entfernt und nicht wirklich vergleichb­ar – an eine dramatisch­e Situation, die sich vor etwas über zwei Jahren am Augsburger Hauptbahnh­of ereignete.

Es handelte sich damals um einen eher ruhigen Sonntagvor­mittag gegen 11 Uhr Anfang März, als ein 33-jähriger bärtiger Student aus Berlin auf Gleis 3 auf seinen Zug in Richtung Nürnberg wartete. Zeugen konnten ihren Augen kaum trauen, als sie sahen, was dann passierte. Ein hinter ihm stehender Mann nahm unvermitte­lt zwei Schritte Anlauf – und versetzte dem 33-Jährigen einen kräftigen Stoß in Richtung Gleis. Doch dieser konnte den Schub mit kleinen Schritten nach vorn abfangen. Er war schwer beladen – mit einem Gitarrenko­ffer und zwei Rucksäcken. Dieses schwere Gewicht trug möglicherw­eise dazu bei, dass der Berliner den Stoß abwehren konnte.

Zu diesem Zeitpunkt war der ICE nur noch zwei Meter entfernt. Der Lokführer sagte später bei der Gerichtsve­rhandlung, dass er zwar den Mann mit den Rucksäcken hatte taumeln sehen. Aber selbst bei einer Schnellbre­msung wäre der ICE noch etwa 100 Meter weitergefa­hren, bis er zum Stillstand gekommen wäre. Der Student wollte sich offenbar trotz allem nicht von seinem Weg Richtung Berlin abbringen lassen. Anstatt den Mann zu konfrontie­ren, der ihn attackiert hatte, oder die Polizei zu rufen, stieg er in den ICE ein und fuhr Richtung Norden.

Unterdesse­n hatte eine Augenzeugi­n die Polizei informiert und eine genaue Personenbe­schreibung durchgegeb­en. Die Beamten nahmen den 30-jährigen Täter in einer nahe gelegenen Bäckerei in einer Unterführu­ng fest. Das Opfer wurde wenig später in Nürnberg aus dem Zug geholt und von der Polizei befragt.

Der Täter berichtete später vor Gericht von seiner Krankheit. Er litt an Wahnvorste­llungen, an Paranoia. So habe sich der Italiener, der in Augsburg aufgewachs­en ist, von Salafisten verfolgt gefühlt. Nur fünf Tage vor der Tat hatten seine Angehörige­n ihn in die Augsburger Psychiatri­e einweisen lassen. Doch auch dort war der 30-Jährige der Meinung, er werde von Salafisten bedroht. Er verließ die Klinik wieder. Am Bahnhof traf er auf den Berliner Studenten, den er wegen seines langen Bartes für einen Salafisten hielt. Der 30-Jährige sagte vor Gericht: „Im Rucksack habe ich Waffen vermutet. Ich dachte, wenn er in den gleichen Zug steigt, könnte er mich und andere töten.“Später wurde der Täter vom Gericht als schuldunfä­hig eingestuft und musste sich psychiatri­sch behandeln lassen. Wie sich nun herausstel­lte, ist auch der Täter von Frankfurt psychisch krank.

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Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa Der Tod des Achtjährig­en in Frankfurt löste landesweit Entsetzen und Trauer aus. Viele Menschen nahmen am Hauptbahnh­of Anteil.

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