Friedberger Allgemeine

Gefangene schlägt mit Vorhangsta­nge zu

Eine 40-Jährige rastet in der Krankensta­tion der Justizvoll­zugsanstal­t Aichach aus und verbarrika­diert sich, weil sie nicht telefonier­en darf. Mitarbeite­r können sie kaum bändigen

- VON GERLINDE DREXLER

Aichach Sie durfte nicht telefonier­en und rastete komplett aus: Eine Gefangene der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Aichach verbarrika­dierte sich auf der Krankensta­tion und ging mit einer Eisenstang­e auf Bedienstet­e los. Die hatten Mühe, sie zu bändigen. Wegen versuchter gefährlich­er Körperverl­etzung, Körperverl­etzung und tätlichem Angriff auf Vollstreck­ungsbeamte stand die 40-Jährige vor dem Schöffenge­richt am Aichacher Amtsgerich­t. Die Frau entschuldi­gte sich unter Tränen. Das wurde vom Gericht anerkannt, ihr Ausraster hat aber dennoch einschneid­ende Konsequenz­en: Sie muss noch deutlich länger im Frauengefä­ngnis bleiben.

Der Ausraster hat eine Vorgeschic­hte. Die 40-Jährige saß seit rund zwei Monaten in der JVA Aichach in Untersuchu­ngshaft. Es ging um unerlaubte­n Handel und Besitz von Drogen in nicht unerheblic­her Menge. Die Wissenscha­ftlerin war nach einer Fußverletz­ung drei Jahre zuvor heroinsüch­tig geworden und handelte auch mit den Drogen. Während der U-Haft musste sie mehrmals wegen gesundheit­licher Probleme in die Notaufnahm­e am Krankenhau­s gebracht werden. Einen Tag vor jenem Vorfall im Mai vergangene­n Jahres war die heute 40-Jährige dort operiert worden und lag deshalb auf der Krankensta­tion der JVA.

Vor Gericht berichtete die Angeklagte von einer „lebensbedr­ohlichen Erkrankung“. Deshalb habe sie unbedingt ihren Anwalt telefonisc­h informiere­n wollen. Als ihr eine Mitarbeite­rin der JVA sagte, dass sie in Untersuchu­ngshaft ohne richterlic­he Anordnung nicht telefonier­en dürfe, war es mit der Fassung der 40-Jährigen vorbei. Zuerst warf sie ihr Besteck nach der Krankensch­wester, dann verbarrika­dierte sie sich im Haftraum der Krankenabt­eilung.

Ein Mitarbeite­r erzählte als Zeuge, er habe versucht, mit der Frau über die Kostklappe Kontakt aufzunehme­n. Als er die Klappe öffnete, stieß die Inhaftiert­e mit einer etwa 1,60 Meter langen Gardinenst­ange aus Eisen nach ihm. Beim zweiten Mal gelang es ihm, ihr die Stange zu entreißen. Zusammen mit zwei weiteren Mitarbeite­rn stemmte er die Türe auf. Kaum im Raum, ging die Angeklagte mit einer zweiten Eisenstang­e auf ihn los. „Ich konnte den Schlag abblocken“, sagte er aus. Die Stange streifte ihn nur am Oberkörper und Ellbogen. Hätte ihn die 40-Jährige getroffen, dann wären die Verletzung­en massiv gewesen, war sich der Zeuge sicher. Nur mit Mühe konnten die Beamten die Angeklagte bändigen und ihr Handschell­en anlegen. Auch auf dem Weg in den gesicherte­n Haftraum beruhigte sich die 40-Jährige nicht. Sie beleidigte die Beamten und versuchte, nach ihnen zu treten. „Hätte sie getroffen, wären wir alle die Treppe runtergese­gelt“, sagte eine JVA-Mitarbeite­rin aus.

Staatsanwa­lt Markus Eberhard nahm der Angeklagte­n ab, dass die Situation so eskalierte, weil sie Angst gehabt und sich bedroht gefühlt habe. Er wertete das Geständnis und ihre Entschuldi­gung zu ihren Gunsten. Aus seiner Sicht erschweren­d war allerdings, dass der Vorfall in der JVA stattfand und die 40-Jährige „Personen angegriffe­n hatte, die schlicht ihrer Arbeit nachAichac­her gegangen“waren. Er plädierte für eine Aufstockun­g der zweijährig­en Bewährungs­strafe, zu der die 40-Jährige inzwischen wegen Drogenbesi­tzes und -handels verurteilt worden war, zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten.

Verteidige­r Florian Wurtinger regte an, die Bewährungs­strafe nicht mit einzubezie­hen. Stattdesse­n solle das Gericht eine Geldstrafe in Höhe von 180 bis 200 Tagessätze­n verhängen. Damit hätte er seiner Mandantin die Haft erspart.

Das Schöffenge­richt folgte dem Antrag des Staatsanwa­ltes und verurteilt­e die Angeklagte wegen versuchter gefährlich­er Körperverl­etzung, Körperverl­etzung und tätlichen Angriffs auf JVA-Mitarbeite­r zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft. An die JVA-Beamten gewandt, sagte Walter Hell, Vorsitzend­er des Schöffenge­richts: „Sie haben sich genau so verhalten, wie man sich verhalten soll.“Zum Verhalten der JVA-Mitarbeite­r hatte der Staatsanwa­lt gesagt: „Ich hatte den Eindruck, dass sie besonnen vorgegange­n sind.“

Vorhangsta­ngen gibt es auf der JVA-Krankensta­tion inzwischen nicht mehr. Sie wurden nach dem Vorfall entfernt.

„Hätte sie getroffen, wären wir alle die Treppe runtergese­gelt.“

JVA-Mitarbeite­rin im Zeugenstan­d

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