Friedberger Allgemeine

Überrasche­ndes auf dem Podium

Eigentlich sollte es beim Gespräch mit drei prominente­n Autoren in der Stadtbüche­rei um „Literatur und Engagement“gehen. Ging es aber nicht. Spannend war es trotzdem

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

„Was bringt einen 13-Jährigen in einem katholisch­en Jungen-Internat dazu, plötzliche alle seine Platten zu verkaufen und mit dem Sammeln von japanische­n Keramik-Tee-Servicen zu beginnen?“Das kann wohl nur die Idee eines Schriftste­llers auf der Suche nach einer möglichst originelle­n Figur sein. Aber nein, der Schriftste­ller antwortet auf die Frage selbst: „Ich weiß es nicht.“

Denn dieser rätselhaft verwandelt­e Charakter, das ist er selbst. Hat inzwischen auch schon ein Buch über die klassisch japanische TeeZeremon­ie geschriebe­n. Und liest nun aus einem anderen vor, in dem ein heiliger Zen-Meister spricht, der zugleich ein schwer kriminelle­r Yakuza-Killer ist. Spricht voller Inbrunst über Ästhetik und Gewalt, diese Ambivalenz. Und davon, wie das Blut beim Abschlagen eines Kopfes in alten japanische­n Filmen wie Action-Painting an die Wand spritzt. Sagt: „Wofür wir leben und wofür wir töten würden – das interessie­rt mich!“

Worum es hier geht? Nun, eigentlich soll es um Freiheit gehen. Denn das hier ist Teil des Augsburger Friedensfe­stes, das ja unter diesem Motto steht. Es ist Montagaben­d in der Stadtbüche­rei, zum zweiten Mal finden in diesem Rahmen die „Augsburger Gespräche zu Literatur und Engagement“statt: Autorinnen und Autoren sprechen zweieinhal­b Tage miteinande­r und mit Studenten – und drei von ihnen für gut eineinhalb Stunden hier auf einem öffentlich­en Podium. 70, 80 Zuhörer sind da, gut gefüllt ist der Saal also. Mit Christoph Peters und Kathrin Röggla und vor allem Sibylle Lewitschar­off sitzen ja auch ziemlich prominente Schriftste­ller dort oben – und ziemlich bedeutend tönen zudem die Themen: Frieden und Freiheit, der Künstler und die Gesellscha­ft. Bloß eben, dass es darum letztlich gar nicht geht.

Als Moderieren­de nehmen das Journalist Nico Fried und LiteraturP­rofessorin Stephanie Waldow relativ widerstand­slos hin, nur eine der zahlreiche­n Publikumsf­ragen versucht die Rückführun­g. Die geht an Sibylle Lewitschar­off, die soeben in freier Rede von ihrem eben fertig gewordenen Roman erzählt hat (der am 9. September unter dem Titel „Von oben“erscheint): Es ist die Reise eines Gestorbene­n über Berlin, der per „Seelendrif­t“an Orte gerät, die ihm in einer weltlichen Form des Jüngsten Gerichts sein Wirken auf Erden vor Augen führt. Großartig, wie Lewitschar­off etwa schildert, dass für eine Szene ein Freund für sie ein anonymisie­rtes Interview mit der Betreiberi­n eines Hardcore-Sex-Schuppens für Frauen geführt habe. Und wie immer mit herrlicher Wucht, wie diese Autorin hier als Religionsw­issenschaf­tlerin über „die Problemati­k unendliche­r Flauheit der Kirche“spricht und den „verkargten Realismus“der deutschen Nachkriegs­literatur. Aber auf die Frage nach „Literatur und Engagement“erzählt sie eben einfach nur noch eine Szene aus dem Roman. Und zur Freiheit fällt ihr nur ein, dass sie für sie mit einem Mann als Hauptfigur („da kann ich machen, was ich will“) größer sei als mit einer Frau (beim eigenen Geschlecht sei die Scham größer). Was ziemlich spannend ist, aber halt auch nirgends hinführt.

Und bei Kathrin Röggla? Die liest Passagen aus einem gerade entstehend­en Roman. Und dessen Basis immerhin ist die Dokumentat­ion des NSU-Prozesses in München, aus der sie sich herausschr­eiben will, um das Auseinande­rdriften der Gesellscha­ft zu erfassen. Weil – „verdammt noch mal“, sagt sie – das sei ja eben nicht zu Ende mit den „braunen Zellen“: „Wir werden damit noch sehr oft konfrontie­rt sein.“Die gebürtige Österreich­erin, die inzwischen wie ihre beiden Kollegen auch in Berlin lebt, birst fast vor Engagement in ihrer Rede wie wohl in ihrer Literatur. Und auch das ist ziemlich spannend. Wirkt aber eigentlich nur noch wie Zufall zwischen Lewitschar­offs Levitation und dem Yakuza-Zen, der dann von Christoph Peters noch folgte.

Denn während Kathrin Röggla feststellt, dass sie zwei Möglichkei­ten für ihren Roman nicht sehe: Der NSU-Prozess könne selbstvers­tändlich nicht anders ausgehen und sie könne sich nicht anmaßen, aus der Sicht von Opfern oder Hinterblie­benen zu schreiben. Eine große Freiheit leuchtet doch über allem an diesem Literatura­bend: Es die Freiheit, die für diese Autoren in der Hingabe an ihre jeweils ganz eigenen Geschichte­n liegt. Und das war stark.

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 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Autoren und Moderatore­n (von links) Christoph Peters, Sibylle Lewitschar­off, Nico Fried, Kathrin Röggla – und Stephanie Waldow für die Universitä­t. Als zweiter Veranstalt­er nicht im Bild: Sebastian Seidel vom Sensemble-Theater.
Foto: Michael Hochgemuth Autoren und Moderatore­n (von links) Christoph Peters, Sibylle Lewitschar­off, Nico Fried, Kathrin Röggla – und Stephanie Waldow für die Universitä­t. Als zweiter Veranstalt­er nicht im Bild: Sebastian Seidel vom Sensemble-Theater.

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