Friedberger Allgemeine

Toni Morrison, die Stimme der Afroamerik­aner

Rassismus war das zentrale Thema der US-Schriftste­llerin, die als erste Farbige den Literaturn­obelpreis erhielt

- VON WOLF SCHELLER

Als Toni Morrison als erster farbigen Schriftste­llerin 1993 der Literaturn­obelpreis verliehen wurde, löste die Entscheidu­ng allgemein Überraschu­ng aus. Die Schwedisch­e Akademie sprach von „visionärer Kraft und poetischer Prägnanz“. Die damals 62-jährige Schriftste­llerin habe mit ihrem Werk eine „wesentlich­e Seite der amerikanis­chen Wirklichke­it verlebendi­gt“. In den folgenden Jahren wuchs ihr Werk auf elf Romane an, darunter die vielleicht bekanntest­en „Menschenki­nd“und „Paradies“.

Eigentlich hatte die am 18. Februar 1931 als Chloe Wofford Geborene spät mit dem Schreiben begonnen. Sie war 39, als sie „Sehr blaue Augen“, ihren ersten Roman veröffentl­ichte. Es folgten „Jazz“, „Solomons Lied“, „Sula“und „Teerbaby“, insgesamt eine Geschichte des schwarzen Amerikas aus der Sicht der Sklaven und ihrer Nachfahren, deren Verletzung­en und Demütigung­en thematisie­rend. Immer wieder tauchte sie dabei in die Vergangenh­eit ein, kehrte zurück in die Zeit, als junge Mädchen noch verkauft wurden. Wie im Roman „Gnade“, der vom Schicksal einer jungen Sklavin erzählt, die im Haus eines portugiesi­schen „Senhor“aufwächst, der ihr erlaubt, Lesen und Schreiben zu lernen, wegen seiner Schulden aber das Mädchen weiter verkauft.

Im Zentrum von all ihren Büchern steht eindeutig der Rassismus. Toni Morrison stammte selbst aus einer ärmlichen Familie in einem kleinen Ort in Ohio, der in den 30er Jahren von der Stahlindus­trie lebte. In ihrer Klasse war sie das einzige Kind, das bei der Einschulun­g schon lesen konnte. Sie absolviert­e die Highschool und arbeitete nach dem Studium jahrelang als Lektorin in einem New Yorker Verlag. 1989 wurde sie als Professori­n für Geisteswis­senschafte­n an die PrincetonU­niversität in New Jersey berufen.

Als Schriftste­llerin war ihr klar, dass sie nicht einfach eine amerikanis­che Autorin werden konnte, sondern „a black woman writer“. Mit ihrem Schreiben ging es ihr nicht zuletzt darum, die Stärken einer schwarzen Identität zu entdecken. Ihre Romane konzentrie­rten sich folgericht­ig auf Schicksale jenseits der offizielle­n, der „weißen“amerikanis­chen Geschichte. Amerika habe stets den Gedächtnis­verlust vorgezogen, meinte sie. Nicht Selbstmitl­eid, aber das Beharren auf einer eigenen Geschichte der Schwarzen, das trieb sie an. Was dazu führte, dass Toni Morrison als die wichtigste Stimme des schwarzen Amerikas angesehen wurde.

In ihren Romanen gelang es ihr aber auch, über die historisch­en Distanzen hinweg das elementar Menschlich­e herauszuar­beiten. Als Autorin hatte sie sich früh für einen eindeutige­n Standpunkt entschiede­n: „Wenn ich nur für Schwarze geschriebe­n hätte, wäre das so gewesen, als wenn Tolstoi nur für russische Leser geschriebe­n hätte.“Sätze der moralische­n Empörung über die Auswirkung­en der Sklaverei auf afroamerik­anische Menschen in den USA lassen sich in ihrem Werk nicht finden.

Morrison vertraute darauf, dass die einfache Darstellun­g genüge, um den weißen Amerikaner­n klarzumach­en, woher der Reichtum einiger von ihnen stamme: auf religiösem Fanatismus gründend und der Versklavun­g der schwarzen Bevölkerun­g. Für Toni Morrison, die am Montag 88-jährig in New York starb, stand fest: „Was Menschen außerhalb Amerikas an diesem Land mögen, entstammt in der Regel der schwarzen Kultur.“

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Foto: Don Emmert, afp/dpa Verstand sich als „black woman writer“: Toni Morrison.

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