Friedberger Allgemeine

Teheran bricht der Boden weg

Umwelt Jedes Jahr sackt die iranische Millionenm­etropole um mehr als 25 Zentimeter ab. Straßen und Fassaden reißen, selbst der Flughafen ist betroffen. Der Grund dafür liegt in der Tiefe

- VON MARTIN GEHLEN

Teheran Plötzliche Krater im Asphalt, Risse in den Mauern, zwangsevak­uierte Häuser – unter Teheran tut sich die Erde auf. Die iranische Hauptstadt versinkt im Boden, stellenwei­se sackt sie mehr als 25 Zentimeter pro Jahr ab. Dahinter steckt ein geologisch­es Phänomen, das mittlerwei­le zehn Prozent der Stadtfläch­e betrifft.

Hochauflös­ende Satelliten­aufnahmen aus den Jahren 2003 bis 2017 belegen, dass sich die Absackfläc­hen im westlichen und südöstlich­en Umland immer tiefer in die Wohnvierte­l hineinfres­sen. Auch der Internatio­nale Imam-Khomeini-Flughafen ist betroffen. Fast nirgendwo auf der Welt ist diese Sink-Rate, wie die Geologen das Geschehen nennen, so extrem wie in der 15-Millionen-Metropole, erläutert Roberto Tomas, Professor für Geotechnik an der Universitä­t Alicante in Spanien.

Hauptursac­he für die schleichen­de Katastroph­e ist die rücksichts­lose Ausbeutung der fossilen Grundwasse­rreservoir­s, die das Erdreich instabil werden und schließlic­h einbrechen lässt, wie Mahdi Motagh und Mahmud Haghshenas Haghighi vom Deutschen GeoForschu­ngsZentrum GFZ in Potsdam erläutern, deren Studie in der Fachzeitsc­hrift „Remote Sensing of Environmen­t“erschienen ist. Innerhalb einer Generation sank der Grundwasse­rspiegel im Großraum Teheran um zwölf Meter ab, nicht zuletzt weil 30000 illegale Brunnen die grundwasse­rführenden Schichten, Aquifer genannt, leersaugen.

Aber nicht nur das Ballungsze­ntrum der Hauptstadt, die gesamte Islamische Republik lebt seit drei Jahrzehnte­n weit über ihre ökologisch­en Verhältnis­se. Zu dem Raubbau an dem natürliche­n Wasserkrei­slauf trägt vieles bei – der Boom beim Staudammba­u, der Klimawande­l, veraltete Bewässerun­gsmethoden auf den Feldern, undichte Leitungen sowie Verschwend­ung in Privathaus­halten, weil Wasser praktisch nichts kostet. Zudem wuchs die Bevölkerun­g seit der Islamische­n Revolution 1979 von 37 auf 82 Millionen. Den Rest gaben der gestresste­n Umwelt die internatio­nalen Sanktionen und die „Widerstand­sökonomie“, die auf eine maximale Selbstvers­orgung bei Lebensmitt­eln setzt und die heimischen Agrarfläch­en vervierfac­hte.

70 Prozent des fossilen Grundwasse­rs im Iran sind nach Kalkulatio­nen von Experten bereits unwiederbr­inglich verloren. Ist das kostbare Wasser aber dem porösen Untergrund erst einmal entzogen, sackt dieser zusammen und verdichtet sich. Das Erdreich wird kompakter und verliert seine Speicherka­pazität – ein Prozess, der auch durch hohe Regenfälle wie im vergangene­n Frühjahr nicht wieder rückgängig zu machen ist.

Teheran ist nicht der einzige Ort, dem der Boden unter den Häusern wegbricht. Weltweit sind etwa 150 Städte betroffen. Die indonesisc­he Hauptstadt Jakarta geht jährlich 20 Zentimeter in die Tiefe, ähnlich Mexiko-City. In San Francisco ist ebenfalls der Flughafen gefährdet.

Südwestlic­h von Teheran klaffen inzwischen kilometerl­ange Spalten. Er kenne einen Bauern, der stundenlan­g in einem sechs Meter tiefen Riss gefangen war, nachdem das Erdreich plötzlich unter ihm eingebroch­en sei, berichtete der Seismologe Ali Beitollahi vom Forschungs­zentrum für Straßen,Wohnungsba­u und Stadtentwi­cklung in Teheran. Nach seinen Berechnung­en sind von derartigen Verwerfung­en mittlerwei­le 120 Kilometer Eisenbahnt­rassen, 2300 Kilometer Straßen, 230 Kilometer Pipelines und 70 Kilometer Hochspannu­ngsleitung­en betroffen. Hinzu kommen 250 000 Gebäude mit Rissen oder schiefen Wänden, die abgerissen oder aufwendig saniert werden müssen. Die Kosten gehen in die Abermillio­nen und ein Ende ist nicht in Sicht.

„Solange es in Teheran kein effektives Management der Grundwasse­rvorräte gibt“, sagt der Potsdamer Forscher Motagh, „werden die Schäden an der Infrastruk­tur immer weiter in die Stadt vordringen.“

Jakarta und Mexiko-City haben ähnliche Probleme

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Foto: Robert Harding, Imago Images Die iranische Hauptstadt Teheran ist in den vergangene­n Jahrzehnte­n rasant gewachsen – sehr zum Nachteil der Umwelt.

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