Beim dritten Löffel Hochzeitssuppe tot
Rätseln Sie mit und werden Sie selbst zum Kommissar: Ein Krimi-Dinner endet unvorhergesehen mit einer echten Leiche – es hat den verrückten Schorsch erwischt. Wer ist der Mörder?
„Nicht schon wieder ein KrimiDinner“, stöhnte Kommissarin Lara Klar, als sie den Anruf aus dem Präsidium erhielt. Erst letzte Woche musste sie ausrücken, um dann in einer Wirtschaft festzustellen: Der Mann auf dem Boden war nicht tot, auch wenn der Theaterblut-See um ihn herum täuschend echt aussah. Besorgte Gäste, die vom Krimispiel im Nebenzimmer nichts mitbekamen, hatten die Polizei verständigt. Lara Klar hakte am Telefon nach. „Ja, ein Krimi-Dinner“, bestätigte ihr junger Kollege.
„Was soll ich dann dort“, fragte Klar.
„Eine Leiche“, sagte der Kollege im Präsidium.
„Die gibt’s doch immer beim Krimi-Dinner“, fiel ihm Klar ins Wort. „Aber die ist echt.“– „Echt äffte die Kommissarin den jungen Kollegen nach.
Am Gasthof zum Ochsen standen die Teilnehmer des Krimi-Dinners vor der Tür. Ihre Gesichtsfarbe war bleich und bildete einen krassen Gegensatz zur Abendgarderobe: Die Frauen trugen bunte paillettenbesetzte Kleider, die Männer Anzüge, die an Mafiabosse der 1920er- und 1930er-Jahre erinnerten. Lara Klar konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und sagte leise: „Leute. Fasching im Hochsommer.“
Als sie sich näherte, gingen die Gangster und ihre Bräute zur Seite. Lara Klar ließ sich zur Leiche führen, die im Nebenzimmer auf dem Boden lag. Der Mann hatte Schaum vor dem Mund. „Suppe“, sagte einer der Gangster. „Ja was? Suppe“, bellte Klar. „Geht’s auch genauer?“– „Wir hatten gerade die Suppe gegessen, als der Schorsch röchelte. Dann knallte er mit dem Kopf auf den Tisch“, sagte der Gangster, der sich als Filialleiter der örtlichen Bank vorstellte.
Klar rief die Spurensicherung. Die illustre Gesellschaft schickte die Kommissarin in die holzgetäfelte Stube nebenan. Sie bestellte beim Wirt eine Runde Schnaps, zur Beruhigung.
ließ sie sich noch einmal in Ruhe schildern, was passiert war.
Der Banker preschte vor. „Wir hatten schon einen Aperitif, dann kam ein kleiner Gruß aus der Küche. Jeder wartete darauf, dass es jetzt einen Mord geben würde. Aber nichts ist passiert. Dann kam die Suppe. Eine Hochzeitssuppe mit Eierstich.“Er schnaufte kurz. „Die hat gut geschmeckt.“
Die anderen am Tisch nickten. „Ich glaub’, der verrückte Schorsch hat drei Löffel genommen. Dann auf einmal hat er zu röcheln angefangen. Ich hab’ ihm leicht auf den Rücken geklopft. Er ist ganz rosa im Gesicht gewesen. Dann hatte er plötzlich Schaum vor dem Mund.“
Schorsch war der Friseurmeister im Dorf. Ein Gockel vor dem Herrn, hinter jedem Rockzipfel war er her. Wer bei drei nicht auf dem Baum war, der wurde vom Schorsch umgarnt. Sein Handwerk verstand er gut. Er war flink mit Schere und Kamm und ebenso mit dem Mundwerk, was gerade den älteren Damen gefiel. Sie liebten es, wenn ihnen der verrückte Schorsch die Lojetzt“, Sommerkrimi cken wickelte und dabei klatschte und tratschte. Wer wissen wollte, welche Beziehungen sich im Dorf anbahnten oder sich schon ergeben hatten, der musste zum Schorsch. Sein Markenzeichen war eine getönte Haarsträhne.
Kommissarin Klar notierte sich, wer alles am Dinner teilgenommen hatte. Vor- und Nachname, Adresse, Telefonnummer.
Das war zum einen der Banker. Laurin Nieswurz war immer akkurat gekleidet, war immer freundlich. Er legte nicht nur großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres, sondern auch auf gute Umgangsformen. So baute er Vertrauen zur älteren Kundschaft auf. Die Jüngeren verlor er zunehmend an Internetbanken, die mit irrwitzigen Konditionen warben. Nieswurz hörte sich gerne reden. Deshalb wollte er auch Bürgermeister im Ort werden. Vor dem Spiegel übte er täglich verschiedene Satzbausteine ein, um im anstehenden Wahlkampf möglichst eloquent zu wirken.
Am Tisch saß auch Hans Hammer. Freunde nannten ihn Hänschen. Der Bauunternehmer plante gerade mitten im Ort auf einer Fläche von 4000 Quadratmetern ein viergeschossiges Wohnhaus mit mindesDann tens 24 Luxuswohnungen. Grau statt grün. Die Ausstattung sollte vom Feinsten sein, die Architektur erinnerte an Schuhkartons, die in einer unschlüssigen Ordnung aufeinandergestapelt wurden. Hammer wusste, dass er die Schuhkartons an den Mann bringen würde: Die neue Uniklinik in Augsburg trieb die Immobilienpreise in ganz Schwaben nach oben.
Neben Hans Hammer saß Frau Doktor. Sie war, wie der Name sagt, die Frau des Doktors. Um genau zu sein: die Frau eines Herzspezialisten an der neuen Uniklinik. Mit ihren gepunkteten Kostümen und der auffällig großen Sonnenbrille passte sie so überhaupt nicht ins schwäbische Bild von Kittelschürze und Strohhut.
Wenn Ella Goldlack nicht gerade im Minicabrio durchs Dorf düste, dann lag sie im Sommer im Freibad. Gerne auch oben ohne. Verbotenerweise. Alle schielten hin.
So etwas hätte sich die Bürgermeisterin nicht getraut. Niemals.
Gerlinde Nagel versuchte ihr Privatleben so gut wie möglich abzuschirmen. Die Juristin wirkte eher kühl und berechnend. Sie wusste, was sie wollte. Und ihr Wort war Gesetz.
Ob sie bei der Kommunalwahl 2020 wieder die meisten Stimmen bekommen würde? Das war im Augenblick ihre größte Sorge.
Zu den Dorfheiligen gehörte auch die Fabrikantenwitwe Erna von Weinstein. Sie entstammte altem Landadel und lebte alleine in einer Villa oberhalb des Orts. Niemand wusste genau, wie vermögend sie war. Aber jeder glaubte es zu wissen. Und jeder begegnete ihr voller Ehrfurcht. Ihr Mann, der aus einfachen Verhältnissen entstammte, hatte gelbe Gummistiefel hergestellt. In Hochzeiten beschäftigte das Unternehmen 200 Mitarbeiter. Mit der Konkurrenz aus Fernost kam die Insolvenz.
Geblieben war ihr die Villa und das vor dem Bankrott noch rechtzeitig abgezweigte Geld, das jetzt auf einem Bankkonto in der Schweiz ruhte. Einmal im Monat verbrachte Erna von Weinstein einen Kurzurlaub am Zürichsee.
Krimi-Dinner Was ist beim wirklich passiert?