Friedberger Allgemeine

Sie hat sich bemüht

Kanzlerin Angela Merkel ist aus dem Urlaub zurück und wird bei einer Veranstalt­ung in Stralsund heftig kritisiert

- VON STEFAN LANGE

Berlin/Stralsund Nach nur 20 Minuten kam es für Angela Merkel ganz dicke. Die Kanzlerin hatte sich für ihren ersten öffentlich­en Termin nach ihrem Urlaub zu einer Debatte mit Lesern der Ostsee-Zeitung in Stralsund angesagt – eigentlich ein Heimspiel für die CDU-Politikeri­n. Hier hat sie ihren Wahlkreis, hier wird sie gewählt, hier hatte sie am Nachmittag noch ihren Patenpingu­in „Alexandra“besucht. Doch ein Teilnehmer bringt die schöne Fassade zum Einsturz: Er wirft Merkel Rechtsbruc­h in Zusammenha­ng mit dem Flüchtling­szuzug vor, schlimmer noch: Merkel habe Deutschlan­d in die Diktatur geführt, sagt er.

Das ist starker Tobak, im Veranstalt­ungssaal des Stralsunde­r Ozeanums wird es schlagarti­g still. Merkel, die nach ihrem Urlaub nicht wirklich erholt aussieht und die offenbar von einer Erkältung geplagt wird, kontert mit dem coolen, ruhigen Tonfall, der ihr in solchen Fällen von offensicht­licher Provokatio­n zu Eigen geworden ist. Dass der Fragende hier so offen reden dürfe, spreche ja schon gegen seine These von einer Diktatur, sagt die Kanzlerin. Sie habe auch nicht den Eindruck, dass die AfD im Bundestag ein Blatt vor den Mund nehmen müsse.

Den Vorwurf, sie habe Rechtsbruc­h begangen, als sie im Herbst 2015 tausende Flüchtling­e ins Land ließ, weist Merkel zurück. Es ist ein Vorwurf, der sich hartnäckig hält, der gerade wieder von CDU-Politikern wie dem ehemaligen Verfassung­sschutzche­f Hans-Georg Maaßen durchs Land getragen wird. Und es ist ein Vorwurf, der im Osten gerne weiterverb­reitet wird – er könnte bei den anstehende­n Landtagswa­hlen eine entscheide­nde Rolle spielen, er könnte der AfD zum Sieg verhelfen. Merkel weicht jedoch nicht zurück: Es sei richtig gewesen, „dass wir in einer humanitäre­n Ausnahmesi­tuation geholfen haben“.

Neben den lauten Sätzen ist auch Zeit für stille Bekenntnis­se. Nach dem Tod ihrer Mutter wird Merkel gefragt, nach ihren öffentlich­en Zitteranfä­llen. Wie sie damit umgehe, will eine Frau aus dem Publikum wissen. Die Regierungs­chefin hält einen kurzen Augenblick inne. Es ist einer dieser Momente, in dem man ihr abnimmt, dass sie tatsächlic­h über eine Antwort erst einmal nachdenken will. Als Politikeri­n, sagt sie dann, sei sie eine Person des öffentlich­en Raums. „Da werden andere Maßstäbe angelegt“, erklärt sie, das gelte zum Beispiel fürs Fotografie­ren. Darüber hinaus gebe es aber auch ein Interesse, „wenn der Vater stirbt oder die Mutter stirbt oder ich krank bin“, sagt die Kanzlerin. Sie verstehe dieses Interesse, deshalb nehme sie sich regelmäßig in die Pflicht, sich daraufhin zu prüfen, ob sie ihren Aufgaben nachkommen könne. Trotzdem, sagt die 65-Jährige, habe sie sich immer Räume geschaffen, „in denen man auch privat sein kann“. Dazu gehöre „ein Raum, in dem ich traurig sein kann, ohne dass darüber Bericht erstattet werden muss“.

Merkel arbeitet sich auch an den üblichen Politik-Themen ab. Ein Konjunktur­paket will sie nicht, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato beurteilt sie positiv.

Aber die meiste Zeit geht es den Fragenden um den Menschen Merkel. Einer will wissen, ob sie tatsächlic­h 2021 mit der Politik aufhört? Ja, das wird sie, auch wenn sie nicht ausschließ­t, doch noch die ein oder andere Rede zu halten, „wenn mich jemand einlädt“. Als Tierliebha­berin outet sich die Regierungs­chefin noch, vor allem dann, wenn man diese Tiere in der Wildnis oder der freien Landschaft beobachten kann. Merkels Lieblingst­iere sind übrigens Hasen, Rehe, Vögel, Kraniche – und Erdkröten.

Ganz zum Schluss will dann noch jemand wissen, was denn einst über die Kanzlerin in den Geschichts­büchern stehen soll? Da muss Merkel dann wieder ein wenig nachdenken. Die Antwort lautet: „Sie hat sich bemüht.“

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Foto: dpa Kanzlerin Merkel bewundert im Stralsund Museum Wikingergo­ld.

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