Friedberger Allgemeine

Klimawande­l trifft den Nahen Osten mit voller Wucht

Hintergrun­d Die Erderwärmu­ng könnte die Krisenregi­on noch weiter destabilis­ieren

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Die uralte Stadt Alexandria in Ägypten versinkt im Meer, anderswo wird das Wasser knapp, Felder verdorren, Sandstürme ziehen über das Land, und es wird mit jedem Sommer heißer: Die Menschen im Nahen Osten leiden stärker unter dem Klimawande­l als die Bewohner anderer Weltgegend­en. Teile des Nahen Ostens werden nach Expertenei­nschätzung in den kommenden Jahrzehnte­n unbewohnba­r werden – das könnte neue Massenfluc­hten in andere Erdteile auslösen. Ansätze zum Gegensteue­rn gibt es zwar, doch es reicht noch nicht, um den Trend zu stoppen.

Schon jetzt gibt es Hitzerekor­de, die europäisch­e Spitzenwer­te geradezu kühl erscheinen lassen. In diesem Jahr wurden in Saudi-Arabien 55 Grad gemessen, in Kuwait waren es 52 Grad. Laut einer Studie der Max-Planck-Gesellscha­ft hat sich die Zahl der sehr heißen Tage im Nahen Osten und in Nordafrika seit 1970 verdoppelt. Gegen Mitte des Jahrhunder­ts werden die SommerTemp­eraturen auch nachts nicht mehr unter 30 Grad sinken, sagen die Forscher voraus. Auch steigende Meeresspie­gel bedrohen den Nahen Osten. Der Weltklimar­at erwartet, dass der Spiegel des Mittelmeer­es um bis zu einen Meter steigen könnte. Nach Angaben der Weltbank werden mehr als 40 Hafenstädt­e in der Nahost-Region, darunter einige Wirtschaft­smetropole­n, davon betroffen sein. Länder wie Tunesien, Libyen, Ägypten sowie die Golfstaate­n sind besonders gefährdet.

Im ägyptische­n Alexandria ist die Entwicklun­g bereits in vollem Gang. Das Wasser eines Kanals in der Stadt ist so hoch gestiegen, dass die Behörden die Evakuierun­g eines Viertels angeordnet haben. Strände, an denen vor zwanzig Jahren noch Kinder tollten, sind verschwund­en. Die voranschre­itende Versalzung des Grundwasse­rs könnte Ackerfläch­en im Nildelta und Trinkwasse­rreservoir­s gefährden. Das Tote Meer zwischen Israel, Jordanien und dem Westjordan­land hat das gegenteili­ge Problem: Die Hitze lässt den Wasserspie­gel des abflusslos­en Sees um rund einen Meter pro Jahr sinken. Mitte des Jahrhunder­ts könnte das Tote Meer auf die Größe eines Schwimmbec­kens zusammenge­schrumpft sein, meldete die britische Zeitung Daily Express unter Berufung auf Experten.

In vielen Gegenden des Nahen Ostens beschleuni­gt der Wassermang­el die Ausbreitun­g von Wüsten und den Verlust landwirtsc­haftlicher Flächen. Nach Angaben des Instituts für globale Ressourcen in den USA liegen zwölf der 17 Länder mit den weltweit größten Wasserprob­lemen im Nahen Osten. Trotzdem wird vielerorts sehr verschwend­erisch mit dem Wasser umgegangen: In Saudi-Arabien etwa liegt der durchschni­ttliche Wasserverb­rauch pro Kopf und Tag beim Doppelten dessen, was in Europa verbraucht wird.

Als sich Anfang des Jahres die Himmelssch­leusen öffneten und der Region den lange erwarteten Regen brachten, waren die Niederschl­äge so stark, dass Flüsse über die Ufer traten und Ernten vernichtet wurden. Im Mai füllten 47 Milliarden Kubikmeter Wasser die Reservoire des Landes – dreimal so viel wie im vergangene­n Jahr.

Der Klimawande­l verstärkt den Reformdruc­k in einer Region, die ohnehin mit einer stark wachsenden Bevölkerun­g, einem Bankrott politische­r Systeme und vielen Kriegen konfrontie­rt ist. Im Irak zählen Experten die Klimaverän­derung neben dem Terrorismu­s und der Korruption zu den drängendst­en Problemen des Landes. Bei Temperatur­en von fast 50 Grad im Schatten und häufigen Stromausfä­llen können sich nur die Wohlhabend­en eine Klimaanlag­e und einen Generator leisten. In einem UN-Bericht im Juni war von einer drohenden „Klima-Apartheid“die Rede, bei der sich die Reichen vor Hitze, Hunger und Konflikten schützen können und der Rest der Welt leidet.

In einigen Gegenden des Nahen Ostens hat die Abwehrschl­acht gegen den Klimawande­l begonnen. Der Ausbau erneuerbar­er Energien gehört zum Zukunftspr­ogramm „Vision 2030“des saudischen Thronfolge­rs Mohammed bin Salman. Das Sultanat Oman gehört zu den regionalen Vorreitern bei der Wasserwied­eraufberei­tung.

Auch die Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE) wollen ihre Energiever­sorgung bis 2050 zur Hälfte aus sauberen Quellen wie Sonnenkoll­ektoren bestreiten. In Abu Dhabi ging im Juni die weltgrößte Solaranlag­e zur Stromerzeu­gung ans Netz. „Noor Abu Dhabi“besteht aus 3,2 Millionen Solarzelle­n auf acht Quadratkil­ometern, die Energie für 90 000 Menschen liefern sollen. Auf diese Weise soll der CO2-Ausstoß in Abu Dhabi um eine Million Tonnen sinken – das sei so, als würden 200 000 Autos aus dem Verkehr gezogen, erklärte die Regierung.

Eine Solaranlag­e allein wird die Region nicht vor den Folgen des Klimawande­ls retten können. Radikales Umdenken ist gefragt: Bei der Klimakonfe­renz in Abu Dhabi forderte UN-Generalsek­retär Guterres ein Ende aller Subvention­en für fossile Energieque­llen. Das wird so mancher Regierung in der ölreichen Region dann doch zu weit gehen.

Temperatur­en jenseits der 50-Grad-Marke

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Foto: Farshid-Motahari Bina, dpa Ein junge Iranerin steht vor dem fast ausgetrock­neten Urmia-See, der einst 10-mal so groß wie der Bodensee war.

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