Friedberger Allgemeine

Ab in die Steinzeit

Bayerische­s Welterbe Im Kreis Landsberg sind die Reste einer 5500 Jahre alten Siedlung erhalten (Serie, Teil 6)

- VON GERALD MODLINGER

Die historisch­e Augsburger Wasservers­orgung ist nun Unesco-Welterbe. Wir stellen in einer Serie alle acht historisch­en Stätten in Bayern vor, die sich mit diesem Titel schmücken dürfen.

Pestenacke­r Die Kehrseite eines Unesco-Welterbes heißt oft „Overtouris­m“. Scharen von Touristen wälzen sich dann durch Altstädte, Kirchen und Schlösser. Von solchen Menschenau­fläufen ist man an Unesco-Welterbest­ätte Pestenacke­r weit entfernt. Einen Kindergebu­rtstag habe es heute auf dem Gelände einer 5500 Jahren alten Steinzeits­iedlung gegeben und dann sind noch zwei Journalist­en vorbeigeko­mmen, erzählt Karl Dirscherl, der an einem stillen Augustaben­d auf dem Acker der Welterbest­ätte Getreide mäht, um für das nächste Jahr Saatgut zu gewinnen.

Pestenacke­r liegt in der Kornkammer des Landkreise­s Landsberg. Die Gegend war bereits in der Steinzeit begehrtes Siedlungsl­and. Am Rand eines früheren Niedermoor­s und umgeben von der fruchtbare­n Landsberge­r Platte wurde 3495 vor Christus ein aus 16 Häusern bestehende­s Dorf errichtet, das 20 Jahre Bestand hatte. Heute ist Pestenacke­r die Referenzsi­edlung für das Welterbe Feuchtbode­nsiedlunge­n im Alpenraum, das aus 111 ehemaligen Pfahlbaudö­rfern besteht. Diese sind oft – wie zum Beispiel an der Roseninsel im Starnberge­r See – nicht zugänglich, weil sie sich unter Wasser befinden.

Auf Karl Dirscherls Feld wächst eine bunte Mischung. Sie gibt einen Eindruck davon, welche Pflanzen die Bewohner eines Steinzeitd­orfs kultiviert­en: Emmer und Einkorn, Linsen und Ackerbohne­n und verschiede­ne Gemüse dienten der Ernährung, den Flachs verarbeite­te man zu Textilfase­rn.

Woher man das alles weiß? Das Niedermoor am Verlorenen Bach hat unter Sauerstoff­abschluss vieles, was die steinzeitl­ichen Bewohner hier hinterlass­en haben, konservier­t: Anhand der Samen kann man von der damaligen Kulturland­schaft eine Vorstellun­g gewinnen. Es gab aber auch spektakulä­rere Funde: Der älteste Hut Bayerns etwa hat sich dort auch erhalten, eine Nachbildun­g ist in dem kleinen Museum zu sehen, dazu ein paar Keramikres­te im Stil der „Altheimer Kultur“oder Steinmater­ial, aus dem Klingen und Pfeilspitz­en gefertigt wurden. Die meisten Fundstücke sind jedoch in den Sammlungen in München untergebra­cht, erzählt Dirscherl.

1934 war man bei der Begradigun­g des Verlorenen Bachs auf die steinzeitl­ichen Relikte gestoßen. Jahrzehnte später – von 1988 bis 1993 und 2002 bis 2004 – wurde das Steinzeitd­orf wissenscha­ftlich ausgegrabe­n. Da kam 2003 auch platt gedrückt der besagte älteste Hut Bayerns ans Tageslicht. 2011 wurde Pestenacke­r Weltkultur­erbe.

Steinzeitl­iches Leben will der Fördervere­in Prähistori­sche Siedlung den jährlich rund 2000 Besuchern (regelmäßig geöffnet ist samstags und sonntags) vor allem durch das eigene Tun vermitteln: Da können Kinder und Erwachsene aus Feuerstein und Zunderschw­amm Feuer machen oder Birkenteer (das war der Klebstoff der Steinzeit, um etwa eine Steinkling­e und einen Holzgriff zusammenzu­fügen) herstellen. Die Bearbeitun­g von Steinen zu Werkzeug und die Verarbeitu­ng von Flachsfase­rn bis hin zum Weben an einem steinzeitl­ichen Webstuhl sind weitere Themen. Sogar einen steinzeitl­ichen Wagen hat ein Wagner aus einem Nachbardor­f gebaut. Und da ist auch noch der Blickfang der Welterbest­ätte: ein mit steinzeitl­icher Arbeitstec­hnik errichtete­s und mit Schilf vom Ammersee gedecktes Haus.

Auf all das baut auch das Konzept zur Weiterentw­icklung der Welterbest­ätte auf. Statt auf Multimedia­Präsentati­onen setzen der Landkreis Landsberg und Kreisheima­tpfleger Bernd Steidl auf das Motto „Steinzeit zum Anfassen“: Das Steinzeitd­orf soll mit den Besuchern ausgebaut werden. Geplant ist auch, die Ausstellun­g im Museum zu erneuen. Dazu will der Landkreis nächstes Jahr einen wissenscha­ftlich qualifizie­rten Projektkoo­rdinator einstellen. Und auch ein paar neuzeitlic­he Basics für eine Welterbest­ätte müssen noch geschaffen werden: Eine Wasser- und Stromverso­rgung soll zum Beispiel die Dixi-Klos und das Dieselaggr­egat ersetzen.

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Foto: J. Leitenstor­fer Karl Discherl bei der Arbeit im „prähistori­schen“Garten.

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