Nur Knaben
Urteil Mädchen klagt um Aufnahme in Chor
Berlin/Augsburg Heutzutage ist die Weltöffentlichkeit sensibilisiert für Traditionen, die die Menschheit im Laufe ihrer Geschichte ausgebildet hat. Die Unesco hält viele solcher Ausdrucksformen inzwischen für schützenswert und versieht sie mit dem Prädikat „immaterielles Kulturerbe“, wozu nicht zuletzt eine Vielzahl künstlerischer Traditionen gehört. Seltsam, dass es noch keine Initiative gibt für jene Kulturform, die seit Jahrhunderten insbesondere im europäischen Raum gepflegt wird: die Tradition der Knabenchöre. Doch vielleicht wird das nun anders. Denn in Berlin hat ein neunjähriges Mädchen darauf geklagt, in eben ein solches Ensemble, den seit 1465 bestehenden und bisher ausschließlich mit Knaben besetzten Staats- und Domchor, aufgenommen zu werden.
Die Ablehnung des Gesuchs war von dem Mädchen beziehungsweise dessen Mutter angefochten worden mit dem Argument, hier liege ein Verstoß gegen die gleichberechtigte Teilhabe an staatlicher Förderung, mithin also Diskriminierung vor. Die Begründung vonseiten des Chors, die Aufnahme des Mädchens sei aus klangspezifischen Gründen nicht möglich, ließ die Mutter nicht gelten und zog vor Gericht.
Dass Knabenchöre tatsächlich über ein eigenständiges, gerade durch die Besonderheit von Jungenstimmen hervorgerufenes Klangbild verfügen, ist unter Musikexperten wie sämtlichen aufgeschlossenen Hörern unstrittig. Ein monochromer, trockener, gehärteter Klang, den seit dem frühen Mittelalter Komponisten beim Schreiben ihrer Werke im Ohr hatten, und keineswegs nur im kirchlichen Kontext – Gustav Mahler etwa fordert für zwei seiner Sinfonien ausdrücklich Knabenstimmen.
Das Berliner Verwaltungsgericht hat am Freitag die Klage des Mädchens nach mehrstündiger Verhandlung abgewiesen. Und zwar eben unter Hinweis auf den besonderen klanglichen Zuschnitt eines Knabenchors, weshalb hier dem Recht auf Kunstfreiheit der Vorrang zukomme. Der Richter erklärte allerdings auch, dem Fall wohne eine prinzipielle Bedeutung inne, und so ließ er Berufung zu.
Ganz scheint das Aufbrechen der Tradition mit juristischen Mitteln also noch nicht gebannt. Vielleicht wäre eine Initiative für ein immaterielles Kulturerbe Knabenchor doch nicht überflüssig.