Friedberger Allgemeine

Geballte Schicksals­schläge in der Zentrale der Macht

Salzburger Festspiele Verdis „Simon Boccanegra“wird von Andreas Kriegenbur­g klar, aber ein wenig blutleer koordinier­t. Und Valery Gergiev wetzt seine Bayreuther Scharte nicht wirklich aus. Immerhin bleibt: ein Sängerfest

- VON RÜDIGER HEINZE

Salzburg Selbst wohlmeinen­de Analysen zu Verdis Melodramma „Simon Boccanegra“verkneifen sich nicht die Bemerkung, dass dem Stück die Verworrenh­eit der Handlung im Wege steht – mal ganz abgesehen von den diversen Unwahrsche­inlichkeit­en und Zufällen, die darin dem Publikum aufgetisch­t werden. Die Macht eines entschiede­n eigenwilli­gen Schicksals waltet auch hier. Positive Kehrseite der konzentrie­rt gereihten Fügungen ist die straffe Abfolge von erhebenden oder niederschm­etternden Lebenszusp­itzungen. Es folgen Schläge auf Schläge – bei Simon Boccanegra etwa Erhebung zum Genueser Dogen, Tod der Freundin, Wiedererke­nnen der verlorenen Tochter, Verschwöru­ng des politische­n Gegners, Giftmordan­schlag, Tod sowie Hochzeit der Tochter plus Friedensst­iftung im Sterben. Höhepunkte eines Vierteljah­rhunderts ballen sich in drei Stunden Musiktheat­er, nix Einheit der Zeit. Verdi ging es eben in hohem Maß um Archetypis­ches: Pakt auf Leben und Vaterliebe, Vaterlands­einigung, Rachsucht, die Einsamkeit des Herrschend­en. Alles schaukelt sich hoch.

Das Gute an der neuen Salzburger Produktion des „Simon Boccanegra“im Großen Festspielh­aus ist, dass Regisseur Andreas Kriegenbur­g die schnelle, schwer durchschau­bare Serie von Schlüsselm­omenten so klar und begreifbar wie möglich inszeniert, wobei ihm die klugen Formulieru­ngen in der Übertitelu­ng zuarbeiten. Die politische­n und privaten Verwerfung­en des Stücks, die es vorantreib­en, weil sie untrennbar miteinande­r verflochte­n sind, werden erkennbar: Jeder handelt auch zum eigenen Vorteil.

Das theatral Mäßige dieses „Boccanegra“bleibt, dass Bühnenvita­lität doch weitgehend auf der Strecke bleibt. Leicht schematisc­h sind vor allem zu erleben: Auftritt, gebremst-gepflegtes Spiel, Abtritt. Das ist eine Spur zu wenig Festspiel, eine Spur zu viel Koordinati­on – auch wenn dies das kalte, einschücht­ernde Bühnenbild von Harald B. Thor in gewisser Weise nahelegt. In seiner Sichtbeton-Machtarchi­tektur erscheinen alle Handelnden wie Verlorene in ihren Umständen. Die moderaten Aktualisie­rungen Kriegenbur­gs (Smartphone­s mit regem Tweet-Verkehr für die Plebejer, Tablets für die Verwaltung der Patrizier) helfen dem Bühnen-BüroTod, kratismus kaum auf. Überzeugen­des blut- und glutvolles Antreten und Anrennen gegen alle Umstände wären dramatisch­er.

Und weil auch Valery Gergiev am Pult vor den Wiener Philharmon­ikern die kleine Scharte nicht richtig und wirklich auswetzt, die er beim Bayreuther „Tannhäuser“hinterließ – später mehr –, verharrte der Abend vor allem in einem Sängerfest, jedenfalls dies. Die Besetzung war schon superb zusammenge­stellt: Voran die Männer mit René Pape als Fiesco in hervorrage­nder, knorrig-strömender Bass-Form, mit dem mild-ausgeglich­enen, väterliche­n Luca Salsi in der Titelrolle, mit Charles Castronovo als schmerzvol­l-liebendem Gabriele Adorno – da wächst ein toller Tenor heran! Andre Heyboer gab den Bösewicht Paolo, ein Vorläufer des nihilistis­chen Jago. Und Marina Rebeka lieh der Amelia voluminös-strahlende Bögen, auch wenn sie ihren Sopran in einem riskanten Alles-gebenWolle­n nicht immer vollkommen unter Kontrolle behielt.

Ja, und Gergiev und die Wiener? Letztlich wurde denn doch zu wenig auf der Stuhlkante musiziert. Es gab Warmes zu hören, aber nichts Flammendes; die Aktschlüss­e zeigten Schlagkraf­t, aber nicht Verdis trockene Unerbittli­chkeit. Dabei gibt die Partitur ein Brennen und Lodern ebenso her wie düstere Härte. Gergiev und die Wiener und der Staatsoper­nchor: schön und gut. Aber internatio­nale Klasse – zu denken etwa ist an Riccardo Muti mit Verdi – klingt deutlich triftiger. Sie fährt in Mark und Bein.

Aufführung­en 18., 20., 24., 27. und 29. August

 ?? Foto: Barbara Gindl, APA, dpa ?? Die Macht des Schicksals bekommt auch Simon Boccanegra (Luca Salsi, Mitte) zu spüren.
Foto: Barbara Gindl, APA, dpa Die Macht des Schicksals bekommt auch Simon Boccanegra (Luca Salsi, Mitte) zu spüren.

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