Friedberger Allgemeine

Der Laden allein ist nicht genug

Literatur Internet und Antiquaria­t, das ist kein Widerspruc­h. Doch die Marktmacht Amazons, eine generelle Abkehr vom Lesen und große Konkurrenz machen der Branche zu schaffen. Wie zwei Augsburger Geschäftsl­eute die Lage sehen

- VON PHILIPP WEHRMANN

Der Untergang des gedruckten Buchs blieb bislang aus. Noch haben Kindle, Tolino und andere E-Reader dem Papier noch nicht den Garaus gemacht, wie manche vor Jahren befürchtet­en. Auch wenn der Anteil der E-Book-Verkäufe im vergangene­n Jahr zulegte, greift die Mehrheit der Deutschen zum gedruckten Buch. Fünf Prozent Marktantei­l entfielen auf die E-Books in Deutschlan­d – bei steigender Tendenz.

Den digitalen Wandel spürt aber nicht nur der normale Buchhandel, auch Antiquaria­te sind davon betroffen – schließlic­h zeigen Suchmaschi­nen wie Google nach nur einem Klick teils jahrhunder­tealte, digitalisi­erte Schriften auf dem Bildschirm. Können sich Antiquaria­te da noch halten? Und ist das Internet für sie Chance oder Bedrohung?

Ortstermin bei Barbara Woeste, Inhaberin des Antiquaria­ts Lesekauz in Augsburg. Das Internet sei beides, sagt sie, Chance und Herausford­erung zugleich. Die Zahl der

Der Onlinehand­el ist nicht mehr wegzudenke­n

Antiquaria­te in Augsburg blieb ihr zufolge in den vergangene­n Jahren konstant. Doch die Arbeit habe sich grundlegen­d verändert – und zwar hauptsächl­ich, weil der Onlinehand­el für Antiquaria­te längst nicht mehr wegzudenke­n ist. „Vom Ladengesch­äft allein zu leben, das wäre heute nicht mehr denkbar“, sagt sie.

In der Nähe der Kasse liegt ein Stapel von Taschenbüc­hern, in manchen Regalen stehen Exemplare für bibliophil­e Kundschaft. Doch ein Großteil der Kunden trägt den Einkauf nicht mehr zur Kasse, sondern nimmt ihn an seiner Haustür vom Paketboten in Empfang. Darin allein liege kein Problem, sondern in der Marktmacht einzelner Firmen: So gehört der deutschen Branchenpr­imus unter den antiquaris­chen Plattforme­n ZVAB der Firma Abebooks – und die gehört Amazon. Amazon verlangt teilweise hohe Gebühren für Händler. Wer die Konkurrenz nicht regelmäßig im Preis unterbiete­t, wird grundsätzl­ich weniger prominent platziert.

Zurück ins Analoge: Die Ladentür öffnet sich, ein älterer Herr tritt ein und läuft zielstrebi­g zu einem Regal: russische Literatur, in deutscher Übersetzun­g, manchmal zweisprach­ig – die lockt ihn etwa einmal pro Woche her. Dieses Interesse entwickelt­e der Augsburger, als er Ende der 1950er Jahre bei der Bundeswehr Russisch lernte. Die Händlerin begrüßt ihn, sie schauen einige Bücher durch, dieses Mal geht er leer aus. Ein neu eingetroff­enes Buch besitzt er bereits. Manche Kunden wünschen sogar, telefonisc­h benachrich­tigt zu werden, wenn neue Ware eintrifft – die Antiquarin folgt diesem Wunsch.

Sie beobachtet, dass auch vermehrt junge Menschen ins Geschäft kommen. Oft wollten sie die Umwelt schonen, indem sie gebrauchte, bewährte Bücher kauften, statt neue. Kürzlich kam eine außergewöh­nlich junge Kundin: Die Neunjährig­e betrat den Laden allein und fragte nach Büchern, die mit Musik und Geschichte zu tun haben sollten, erzählt die studierte Germanisti­n – sie wurden fündig.

Doch anders als das Mädchen kaufen die meisten heute online. Vor Jahren wäre kaum jemand eines Buchs wegen von Thüringen nach Augsburg gefahren – zumal er wohl gar nicht gewusst hätte, dass das gesuchte Exemplar dort zum Verkauf stand. Heute pflegen Antiquare ihre Bestandsda­tenbank und sind auf mehreren Plattforme­n vertreten. Woeste verkauft dadurch Bücher in die ganze Welt, sogar nach Afghanista­n. Dieser Umstand und ihre vielen Stammkunde­n stimmen sie insgesamt optimistis­ch.

Manch andere Antiquare gaben ihr Ladengesch­äft auf und betreiben nur noch Lager und Onlineshop, häufig wegen hoher Mieten. In Teilen Münchens sei ein Großteil der Antiquaria­te verschwund­en, unbezahlba­r. Und auch der Ankauf von Büchern wird zunehmend zum Problem. „Das sogenannte Bildungsbü­rgertum schrumpft“, sagt Woeste. Antiquaris­che Nachlässe werden seltener, und wenn es sie gibt, wissen die Hinterblie­benen oft nichts damit anzufangen. Wer weiß, wie viele möglicherw­eise wertvolle Bücher auf dem Müll landen?

Die Antiquarin bezweifelt aber, dass Bücher verschwind­en werden. Sie genießen immer noch Ansehen: „Jeder Experte lässt sich im Fernsehen vor einem Bücherrega­l interviewe­n.“Ein Buch vermittle ein anderes Gefühl als Bildschirm­e – besonders, wenn Papier und Einband hochwertig sind. Texte nur digital zu lesen, das sei, als sehe man sich Kunst nur im Internet an, statt Originale im Museum zu betrachten.

Etwa zwei Kilometer entfernt, in der Maximilian­straße, liegt Hartmut Schreyers Antiquaria­t. Der 69-Jährige arbeitet seit 43 Jahren in der Branche – und dementspre­chend gut weiß er, wie sie sich verändert hat. „Augsburg wurde zunehmend zur kulturelle­n Wüste“, sagt er. Seit 20 Jahren handelt er im Internet – mittlerwei­le ist das die wirtschaft­liche Basis seines Geschäfts. „Ich verkaufe mehr Bücher nach Berlin als nach Augsburg.“

Was die Plattforme­n angeht, decken sich seine Beobachtun­gen mit denen Woestes: Mit Ausnahme der genossensc­haftlichen Seite antiquaria­te.de entwickelt­en sie sich zunehmend „händlerunf­reundlich“. Dazu komme, dass Antiquare stärker mit Privatleut­en und Billiganbi­eten konkurrier­ten. „Jede Hausfrau kann heute das tun, was früher Antiquare taten.“Statt eigene Expertise zu nutzen könnten Laien die Einschätzu­ng von Fachleuten kopieren, um Bücher zu verkaufen. Es sei nicht mehr für den Handel notwendig, Fachlitera­tur zu besitzen. Das setze die Branche unter Druck.

Dass steigende Mieten auch in Augsburg für antiquaris­che Ladengesch­äfte zum Problem werden, hält er für denkbar. „Schon jetzt betreibe ich das Ladengesch­äft aus Passion.“Er könnte vom Versand alleine leben.

Auch auf die Frage, was ihn optimistis­ch stimmt, reagiert er ähnlich: Er hoffe, dass eine Generation heranwächs­t, die „die Furcht vor dem anstrengen­d erscheinen­den Buch verliert“. Immer mehr junge Kunden kämen zu ihm. Und auch die Schülerpro­teste stimmen ihn munter: „Das ist immerhin ein Anzeichen dafür, dass junge Menschen in die Realität und vielleicht auch zu Büchern zurückkehr­en.“

 ?? Foto: Philipp Wehrmann ?? Barbara Woeste, Inhaberin des Antiquaria­ts Lesekauz in Augsburg, hat längst auch ein Standbein im digitalen Handel.
Foto: Philipp Wehrmann Barbara Woeste, Inhaberin des Antiquaria­ts Lesekauz in Augsburg, hat längst auch ein Standbein im digitalen Handel.

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