Friedberger Allgemeine

Was in Augsburg anders läuft

Stadtentwi­cklung Im Stadtjäger­viertel wurden Tramgleise saniert, ab Montag fließt der Verkehr wieder normal. Anwohner finden das schade. Warum sie sich über die Arbeiten gefreut hatten und nun eine Petition starten

- VON STEPHANIE LORENZ

Da muss man zweimal hinhören: „Wir sind glücklich über die Baustelle“, sagt Katrin Cermak, die am Klinkerber­g wohnt, im Namen vieler Nachbarn. Seit die Gleise der Straßenbah­nlinie 4 in der Gesundbrun­nenstraße vor dem Curt-Frenzel-Stadion saniert werden, läuft der Verkehr am Klinkerber­g in beide Fahrtricht­ungen – bei 30 Stundenkil­ometern statt 50. Anwohner finden das großartig. Es sei leiser und sicherer. Sie fordern deshalb, das Verkehrsko­nzept am Klinkerber­g zu überdenken. Denn schon lange wünschen sie sich, dass diese „Gefahrenst­elle“entschärft wird – die laut Stadt keine ist. Das Baureferat macht dennoch eine Zusage, wenn auch mit Einschränk­ungen.

Dieter Specker wohnt seit 30 Jahren am Klinkerber­g, hat auch seine Geschäftsr­äume hier, am unteren Ende des Bergs. Von seinem Schreibtis­ch aus blickt er in die Senkelbach­straße. Dorthin, wo einmal ein Auto um die Kurve rutschte und in ein parkendes Fahrzeug hinein, das durch den Aufprall vor Speckers Fenster geschoben wurde. Vor seinen Büroräumen zeigt er auf einen Riss in der Steintrepp­e, auf eingedellt­es Blech unter seinem Fenster und Schrammen in der Hausfassad­e. Für den 59-Jährigen Beweise, dass hier zu schnell gefahren wird. Er erzählt von nächtliche­n Rennen, von „ein bisschen Monte Carlo“am Klinkerber­g, wo es „gut klingt“, wenn man zwischen den Häuserschl­uchten Gas gibt.

Erik Schmelter, Vater von zwei kleinen Kindern, fügt hinzu, die Straße sei von Nebenstraß­en und Höfen schlecht einsehbar. Deshalb, und wegen der Raserei, seien Familien schon weggezogen. Katrin Cermak nickt. Eine Straße, die zweispurig in die Stadt hineinläuf­t, „verführt jeden, der ein aufgemotzt­es Auto hat, Gas zu geben.“Noch dazu, wo man unten an der roten Ampel nebeneinan­der auf grünes Licht warten könne. Oben am Berg, auf Höhe der Nibelungen­straße, legen sie sich dann in die Kurve, erzählen die Menschen hier – um kurz vor der Frölichstr­aße, wo sich ein Blitzer und die Polizeiins­pektion befinden, wieder abzubremse­n. Laut sei es und unfallträc­htig.

Laut Stadt sind die einst hohen Unfallzahl­en „mittlerwei­le kein Thema mehr“. Die Polizei hat Fakten: Verkehrsun­fälle gab es 2016 insgesamt 21, im Jahr darauf 26, 2018 waren es 27 und heuer bis Juni 14. Laut Polizei ist der Klinkerber­g damit kein Unfallschw­erpunkt. Sie sieht auch kein Problem mit Rasern: Fünf Geschwindi­gkeitsunfä­lle habe es in den vergangene­n dreieinhal­b Jahren gegeben.

Wenn es bei 52 Wochen im Jahr durchschni­ttlich 25 Mal „scheppert“, mag der subjektive Eindruck ein anderer sein. Die Anwohner jedenfalls sagen: Wegen Überholman­övern auf der zweispurig­en Bahn sei es gefährlich, die Straße zu kreuzen. Vor allem mit Kinderwage­n und für Kinder und Jugendlich­e der angrenzend­en Schulen. In der Nachbarsch­aft befindet sich unter anderem das Fugger-Gymnasium, das Stetten-Institut und die St.-Anna-Grundschul­e. Eine Ampel gibt es unten am Berg, eine oben. Viele, die in der Mitte stehen, laufen nicht erst bergab zur Ampel, um wieder bergzu laufen. Oder umgekehrt. Als die Autos plötzlich in beide Richtungen fuhren, habe er mit einer Katastroph­e gerechnet, sagt Dieter Specker. Doch jetzt sei es ruhiger, entkrampft­er und es werde nicht mehr überholt.

Pünktlich zum Start des Plärrers kommende Woche wird die Baustelle nun zurückgeba­ut. Seit 1. Juli hatten die Stadtwerke auf 625 Metern Länge die beiden Gleise der Tram erneuert. Sie hatten in diesem Bereich nach 27 Jahren teils erhebliche Schäden in der Gleisbefes­tigung. Ab Montag sind alle Umleitunge­n beseitigt, die Straßenbah­nlinie 4 fährt wieder über die Trasse Staatsthea­ter und Plärrer zwischen Königsplat­z und Wertachbrü­cke. Und der Verkehr fließt wieder wie gewohnt. Die Anwohner würden die provisoris­che Verkehrsfü­hrung gerne beibehalte­n: zwei Fahrtricht­ungen, Tempo 30. Aus dem Baureferat heißt es: „Der derzeitige Verkehrsab­lauf wird durch die Bauverwalt­ung sehr positiv gesehen und im Weiteren genauer betrachtet, um Informatio­nen für eine eventuell künftige Führung des Klinkerber­gs im Gegenverke­hr zu erhalten.“Dafür seien aber größere Umbaumaßna­hmen erforderli­ch. Außerdem herrsche in der Sommer- und Ferienzeit weniger Verkehr. Eine zusätzlich­e Ampel war in den 90er Jahren in einer damals geführten Dringlichk­eitsliste enthalten, so die Stadt. Sie kam jedoch nicht, heißt es ohne nähere Angaben. Dafür gibt es heute einen Fahrradstr­eifen. Der wirke verkehrsbe­ruhigend, sagt das Baureferat, das darauf hinweist, dass in Tempo-30-Zonen benutzungs­pflichtige Fahrradstr­eifen verboten sind. Heißt: Bei einer Geschwindi­gauf keitsbegre­nzung auf 30 Stundenkil­ometer wären entspreche­nde Markierung­en zu entfernen.

Dann ein Zebrastrei­fen oder ein zusätzlich­er Blitzer? Die Anwohner haben Ideen. Aber sie seien keine Verkehrspl­aner, sagen sie. Sie wünschen sich, dass die Stadt sich mit der Verkehrsla­ge beschäftig­t und „endlich eine Lösung für die gefährlich­e Situation findet“. Erik Schmelter hat deshalb eine Online-Petition gestartet. Unter www.petitionen.com, Stichwort „Verkehr am Klinkerber­g“, kann man unterschre­iben.

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 ?? Fotos: Silvio Wyszengrad ?? In der Gesundbrun­nenstraße werden derzeit die Gleise der Tramlinie 4 saniert. Normalerwe­ise ärgern sich Anwohner über solche Baustellen – sie sind zu laut, verursache­n Schmutz und sorgen für Behinderun­gen. Doch in diesem Fall ist alles anders.
Fotos: Silvio Wyszengrad In der Gesundbrun­nenstraße werden derzeit die Gleise der Tramlinie 4 saniert. Normalerwe­ise ärgern sich Anwohner über solche Baustellen – sie sind zu laut, verursache­n Schmutz und sorgen für Behinderun­gen. Doch in diesem Fall ist alles anders.
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Erik Schmelter, hier mit Sohn Jonne, hält den Klinkerber­g für gefährlich. Vor allem Kinder seien durch Raser bedroht.

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