Was in Augsburg anders läuft
Stadtentwicklung Im Stadtjägerviertel wurden Tramgleise saniert, ab Montag fließt der Verkehr wieder normal. Anwohner finden das schade. Warum sie sich über die Arbeiten gefreut hatten und nun eine Petition starten
Da muss man zweimal hinhören: „Wir sind glücklich über die Baustelle“, sagt Katrin Cermak, die am Klinkerberg wohnt, im Namen vieler Nachbarn. Seit die Gleise der Straßenbahnlinie 4 in der Gesundbrunnenstraße vor dem Curt-Frenzel-Stadion saniert werden, läuft der Verkehr am Klinkerberg in beide Fahrtrichtungen – bei 30 Stundenkilometern statt 50. Anwohner finden das großartig. Es sei leiser und sicherer. Sie fordern deshalb, das Verkehrskonzept am Klinkerberg zu überdenken. Denn schon lange wünschen sie sich, dass diese „Gefahrenstelle“entschärft wird – die laut Stadt keine ist. Das Baureferat macht dennoch eine Zusage, wenn auch mit Einschränkungen.
Dieter Specker wohnt seit 30 Jahren am Klinkerberg, hat auch seine Geschäftsräume hier, am unteren Ende des Bergs. Von seinem Schreibtisch aus blickt er in die Senkelbachstraße. Dorthin, wo einmal ein Auto um die Kurve rutschte und in ein parkendes Fahrzeug hinein, das durch den Aufprall vor Speckers Fenster geschoben wurde. Vor seinen Büroräumen zeigt er auf einen Riss in der Steintreppe, auf eingedelltes Blech unter seinem Fenster und Schrammen in der Hausfassade. Für den 59-Jährigen Beweise, dass hier zu schnell gefahren wird. Er erzählt von nächtlichen Rennen, von „ein bisschen Monte Carlo“am Klinkerberg, wo es „gut klingt“, wenn man zwischen den Häuserschluchten Gas gibt.
Erik Schmelter, Vater von zwei kleinen Kindern, fügt hinzu, die Straße sei von Nebenstraßen und Höfen schlecht einsehbar. Deshalb, und wegen der Raserei, seien Familien schon weggezogen. Katrin Cermak nickt. Eine Straße, die zweispurig in die Stadt hineinläuft, „verführt jeden, der ein aufgemotztes Auto hat, Gas zu geben.“Noch dazu, wo man unten an der roten Ampel nebeneinander auf grünes Licht warten könne. Oben am Berg, auf Höhe der Nibelungenstraße, legen sie sich dann in die Kurve, erzählen die Menschen hier – um kurz vor der Frölichstraße, wo sich ein Blitzer und die Polizeiinspektion befinden, wieder abzubremsen. Laut sei es und unfallträchtig.
Laut Stadt sind die einst hohen Unfallzahlen „mittlerweile kein Thema mehr“. Die Polizei hat Fakten: Verkehrsunfälle gab es 2016 insgesamt 21, im Jahr darauf 26, 2018 waren es 27 und heuer bis Juni 14. Laut Polizei ist der Klinkerberg damit kein Unfallschwerpunkt. Sie sieht auch kein Problem mit Rasern: Fünf Geschwindigkeitsunfälle habe es in den vergangenen dreieinhalb Jahren gegeben.
Wenn es bei 52 Wochen im Jahr durchschnittlich 25 Mal „scheppert“, mag der subjektive Eindruck ein anderer sein. Die Anwohner jedenfalls sagen: Wegen Überholmanövern auf der zweispurigen Bahn sei es gefährlich, die Straße zu kreuzen. Vor allem mit Kinderwagen und für Kinder und Jugendliche der angrenzenden Schulen. In der Nachbarschaft befindet sich unter anderem das Fugger-Gymnasium, das Stetten-Institut und die St.-Anna-Grundschule. Eine Ampel gibt es unten am Berg, eine oben. Viele, die in der Mitte stehen, laufen nicht erst bergab zur Ampel, um wieder bergzu laufen. Oder umgekehrt. Als die Autos plötzlich in beide Richtungen fuhren, habe er mit einer Katastrophe gerechnet, sagt Dieter Specker. Doch jetzt sei es ruhiger, entkrampfter und es werde nicht mehr überholt.
Pünktlich zum Start des Plärrers kommende Woche wird die Baustelle nun zurückgebaut. Seit 1. Juli hatten die Stadtwerke auf 625 Metern Länge die beiden Gleise der Tram erneuert. Sie hatten in diesem Bereich nach 27 Jahren teils erhebliche Schäden in der Gleisbefestigung. Ab Montag sind alle Umleitungen beseitigt, die Straßenbahnlinie 4 fährt wieder über die Trasse Staatstheater und Plärrer zwischen Königsplatz und Wertachbrücke. Und der Verkehr fließt wieder wie gewohnt. Die Anwohner würden die provisorische Verkehrsführung gerne beibehalten: zwei Fahrtrichtungen, Tempo 30. Aus dem Baureferat heißt es: „Der derzeitige Verkehrsablauf wird durch die Bauverwaltung sehr positiv gesehen und im Weiteren genauer betrachtet, um Informationen für eine eventuell künftige Führung des Klinkerbergs im Gegenverkehr zu erhalten.“Dafür seien aber größere Umbaumaßnahmen erforderlich. Außerdem herrsche in der Sommer- und Ferienzeit weniger Verkehr. Eine zusätzliche Ampel war in den 90er Jahren in einer damals geführten Dringlichkeitsliste enthalten, so die Stadt. Sie kam jedoch nicht, heißt es ohne nähere Angaben. Dafür gibt es heute einen Fahrradstreifen. Der wirke verkehrsberuhigend, sagt das Baureferat, das darauf hinweist, dass in Tempo-30-Zonen benutzungspflichtige Fahrradstreifen verboten sind. Heißt: Bei einer Geschwindigauf keitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer wären entsprechende Markierungen zu entfernen.
Dann ein Zebrastreifen oder ein zusätzlicher Blitzer? Die Anwohner haben Ideen. Aber sie seien keine Verkehrsplaner, sagen sie. Sie wünschen sich, dass die Stadt sich mit der Verkehrslage beschäftigt und „endlich eine Lösung für die gefährliche Situation findet“. Erik Schmelter hat deshalb eine Online-Petition gestartet. Unter www.petitionen.com, Stichwort „Verkehr am Klinkerberg“, kann man unterschreiben.