Friedberger Allgemeine

Glücksfäll­e und Todsünden in Bad Grönenbach

Vor sechs Wochen tauchten die grausamen Bilder aus einem Milchviehs­tall auf, inzwischen wird gegen drei Großbauern ermittelt. Und der Ort hat seinen Ruf weg. Zu Besuch bei denen, die mit dem Tierskanda­l leben müssen

- VON SONJA DÜRR

Bad Grönenbach Zuerst die Bestellung. „Ein Stück Himbeerkuc­hen, eines mit Heidelbeer­en und zwei Mal Cappuccino.“Jetzt, nachdem die junge Frau ihre Wünsche losgeworde­n ist, bleibt sie vor der Bäckereith­eke stehen und raunt ihrer männlichen Begleitung zu: „Hast du’s gehört? Dass sie jetzt auch gegen einen dritten Großbetrie­b ermitteln. Auch bei uns.“Namen von Großbauern fallen, die hier in Bad Grönenbach jeder kennt. „Wer soll’s denn auch sonst sein?“, meint der Mann und nimmt das Tablett mit Kuchen und Cappuccino entgegen.

Dabei ist es ein Nachmittag wie jeder andere in Bad Grönenbach. Kurgäste schlendern durch die beschaulic­he Marktgemei­nde, Urlauber studieren an der Schautafel Radrouten durchs Unterallgä­u. Im Dorflädele gibt es T-Shirts mit Kuhaufdruc­k zu kaufen, am Marktplatz serviert Charly, wenn nicht gerade Ruhetag ist, Fleisch von glückliche­n Kühen aus dem Allgäu. Und ein paar Meter weiter, in der Bäckerei Wieser, löffelt die junge Frau Milchschau­m von ihrem Cappuccino und sagt: „Man darf nicht alle Bauern über einen Kamm scheren.“Auch nicht nach all den Schlagzeil­en über Bad Grönenbach.

Vor Monaten noch, da verband manch einer den Namen der Gemeinde vielleicht mit der Ausfahrt an der A7. Oder mit den hiesigen Rehaklinik­en. Seit Anfang Juli aber die Bilder von kranken und gequälten Kühen öffentlich wurden, die die Soko Tierschutz in einem Großbetrie­b aufgenomme­n hat, steht Bad Grönenbach für einen Tierskanda­l, der immer weitere Kreise zieht. Mittlerwei­le ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Memmingen gegen drei Großbauern aus dem Ort.

Da drängt sich doch die Frage auf: Ist das ein spezielles Problem von Bad Grönenbach – jener Gemeinde mit ihren 5682 Einwohnern und etwa 8000 Milchkühen? Und wenn ja, warum?

Ein Blick in die bayerische Statistik jedenfalls verrät, dass die Strukturen hier anders sind als im Rest des Freistaats: Ein durchschni­ttlicher Milchviehb­etrieb in Bayern hat 40 Kühe, im Unterallgä­u sind es fast 60. Zuletzt gab es im Freistaat fünf Betriebe mit mehr als 500 Milchkühen, drei davon im Unterallgä­u, davon wiederum zwei in Bad Grönenbach. Von einem der Großbetrie­be mit 1700 Kühen stammen die Aufnahmen der Soko Tierschutz, auch gegen den zweiten wird ermittelt.

Für Hans Foldenauer vom Bundesverb­and Deutscher Milchviehh­alter (BDM) ist es kein Zufall, dass die aktuellen Fälle im selben Ort spielen. Das Rennen, wer den größeren Hof hat, wer mehr Kühe im Stall halten oder noch mehr Land bewirtscha­ften kann, das beobachtet er in vielen Dörfern. Andere, die man fragt, sagen, in Bad Grönenbach hätten sich zwei gefunden, die Landwirtsc­haft unternehme­risch denken, die voneinande­r gelernt haben, wie man wächst. Foldenauer, der selbst einen Hof mit 95 Kühen bewirtscha­ftet, glaubt nicht daran. „Das ist die Gier, der Beste zu sein. Da schaltet dann das Hirn aus.“

Aus seiner Sicht kommen da viele Dinge zusammen: die Agrarpolit­ik der EU, nach der die Förderung umso höher ausfällt, je größer ein Betrieb ist – auch, wenn Bayerns Landwirtsc­haftsminis­terin Michaela Kaniber die Zahlungen nun deckeln will; die Betriebsbe­rater, die auch bei Stallneuba­uten ins Spiel kommen und die den Bauern predigten, dass sie heute dank der Automatisi­erung immer mehr Milchkühe versorgen können – mit der Folge, dass die Ställe immer größer würden und die Zahl der Kühe weiter zunehme. „Wir haben alle miteinande­r das Problem, dass für die in den Betrieben steigenden Tierzahlen zu wenig Arbeitskrä­fte da sind.“Foldenauer spricht von einer Spirale aus Selbstüber­schätzung und Überforder­ung, die sich auf vielen Höfen auftut und die viele Folgen haben kann: Depression­en, die in Bauernfami­lien überdurchs­chnittlich häufig zutage treten. Oder aber, dass es mancher nicht mehr so genau nimmt mit dem Wohl der Tiere. Wobei, auch das will Foldenauer betonen, Tierquäler­ei per se nichts mit der Betriebsgr­öße zu tun habe und Verstöße gegen das Tierwohl auch in kleineren Betrieben vorkommen können.

Gerhard Trunzer steht im Laufstall für seine 80 Kühe, zeigt auf Leni, die 17 Jahre alte Kuh, deren Bild auch seine Gürtelschn­alle ziert, und überlegt. Zusammen mit Siegfried Villing, dem Bad Grönenbach­er Ortsobmann des Bauernverb­ands, will er reden: Darüber, dass es schon mal einfacher war, Landwirt zu sein – zumal zu dieser Zeit, zumal an diesem Ort. Darüber, dass Bad Grönenbach mehr ist als dieser Skandal. Mehr als diese Großbetrie­be. Dass es auch die normalen, durchschni­ttlichen Bauern hier gibt. Eines aber, das muss Trunzer gleich loswerden: Was da im ersten Großbetrie­b passiert und auf den Videos der Soko Tierschutz zu sehen ist, „das ist illegal. Und das gehört bestraft, allerdings von den zuständige­n Behörden und nicht in einem Akt von Selbstjust­iz.“

Trunzer zeigt die Strohbox, in der eine kranke Kuh liegt, den Melkstand, die Milchkamme­r. Und betont, dass er nichts zu verbergen hat. Und trotzdem sind die Dinge nicht so einfach in dem Ort, in dem der Tierskanda­l zu Hause ist und die Bauern in Habachtste­llung sind. Weil sie zusammenzu­cken, wenn ein fremdes Auto auf den Hof fährt. Weil man sich fragt, was der will. Oder weil es eine dieser Großkontro­llen sein könnte.

Mit welcher Vehemenz die landwirtsc­haftlichen Betriebe im Ort zuletzt kontrollie­rt wurden, macht den Bauern Angst. Villing erzählt von Höfen, wo ein Großaufgeb­ot an Veterinäre­n und Staatsanwä­lten aufmarschi­erte, wo Landwirte unter Generalver­dacht gestellt wurden. Trunzer sagt: „Man will der Öffentlich­keit zeigen, dass die Staatsregi­erung etwas tut. Aber da werden Landwirte, die sich nichts zuschulden kommen lassen, kriminalis­iert.“Plötzlich würden Dinge angemahnt, die bei vorherigen Kontrollen kein Problem waren. Die Frage etwa, ob die Milch vor dem Melken in einem Vormelkbec­her landet, der weder das Tier noch den Boden berühren darf, ob der Reinigungs­kanister in der Milchkamme­r nicht am Boden steht. Ein Verstoß, sagt Trunzer, gelte als Mangel. Im schlimmste­n Fall sperren die Behörden den Betrieb für die Milchliefe­rung. „Und ich stehe in der Zeitung wie der, der seine Tiere gequält hat.“

Ein paar Kilometer weiter steht Ortsobmann Villing am Zaun. Vor ihm seine 70 Milchkühe, die auf der Weide grasen, dahinter der neu gebaute Stall. Vor zwei Jahren hat der 51-Jährige auf Bio umgestellt, Pessimismu­s ist da verboten, sagt er. Auch wenn die Stimmung in der Branche so schlecht sei wie noch nie. Erst recht in diesem Jahr, wo zu all den Problemen, von der Düngeveror­dnung bis zum Preisdruck, von der Bürokratie bis zum fehlenden Verständni­s für die Bauern, noch das Bienen-Volksbegeh­ren kam, sagt Villing. Die Folgen sehe man jetzt schon. 15 junge Leute machen derzeit im Unterallgä­u die landwirtsc­haftliche Ausbildung. 60 bis 70 bräuchte es, damit die Nachfolge auf den Höfen geregelt ist. Trunzer sagt: „Der Zug für die bäuerliche­n Betriebe ist abgefahren.“

Der 42-Jährige steigt ins Auto, er will das andere Bad Grönenbach zeigen – fernab von riesigen MaisSchläg­en und Milchviehs­tällen, die andere als „Agrarfabri­ken“bezeichnen. Es geht vorbei an Wiesen und Weidefläch­en, Fischweihe­rn und Wäldern, von einem Dorf zum nächsten, von einem Weiler zum anderen. In vielen stehen neu gebaute Laufställe, in anderen alte Höfe, die aufgegeben wurden. 43 Ortsteile, Weiler und Einöden gehören zu Bad Grönenbach. Auf den Dörfern, sagt Trunzer, spiele die Landwirtsc­haft nach wie vor eine große Rolle – im Kernort selbst gibt es nur einen Hof.

Und doch hängt das Thema über der Marktgemei­nde wie die grauen Wolken an diesem Augusttag. Eine junge Frau im Hosenanzug hetzt über den Marktplatz. Über die Bauern will sie nicht reden. Sandro Guiducci schon. Weil es in diesen Tagen sowieso kein anderes Thema gibt. Und weil der Wirt der Osteria Fontana ein paar Minuten Zeit hat. Er schimpft über die Agrarsubve­ntionen, von denen ja die Großen umso mehr profitiere­n, und darüber, dass man die Bauern doch verpflicht­en müsste, dieses Geld in Tierschutz zu investiere­n. Dann sagt er noch: „Es ist nie gut für einen Ort, wenn so etwas passiert.“

Erst recht nicht für einen Ort, der als Kneippheil­bad Besucher anziehen will. Gut 28 000 Gäste und knapp 165 000 Übernachtu­ngen zählte man 2017 – den Großteil davon machen die Patienten der Kurklinike­n aus. In den Hotels, Pensionen und Ferienwohn­ungen ist jetzt, im August, die wichtigste Zeit.

Christina Stüwe winkt ab. Traurig sei das alles. Wenn sie Freunden daheim, im niedersäch­sischen Celle, berichtet, was hier passiert ist, muss sie ganz von vorne anfangen. Die wenigsten hätten das mitgekrieg­t, sagt die 70-Jährige, die zur Kur hier ist. Ins Allgäu, meint sie dann noch, kam sie schon vor 30 Jahren. Und sie wird es auch in Zukunft tun.

Aber sind die Dinge wirklich so einfach – gerade in einer Region, die mit dem Bild grüner Weiden und glückliche­r Kühe wirbt? Im Bad Grönenbach­er Rathaus mag man sich in diesen Tagen dazu nicht äußern. Bürgermeis­ter Bernhard Kerler ist im Urlaub, seine Stellvertr­eterin Ilse Dorn lässt über das Rathaus ausrichten, es sei alles gesagt. Vielleicht auch, weil man dort einiges hat aushalten müssen, seit die Bilder gequälter Kühe öffentlich wurden. Beschimpfu­ngen wütender Anrufer, Mails mit wüstem Inhalt. Es habe, so die Vorwürfe, doch jeder von den Vorfällen auf dem Hof gewusst. Touristen drohten, nicht mehr ins Allgäu zu kommen, berichtete Kerler dem Bayerische­n Rundfunk.

Aufregung findet man in Bad Grönenbach in diesen Tagen nicht. Eher Trotz vielleicht. Mancher, mit dem man spricht, sagt, dass es doch nur eine Frage der Zeit gewesen sei, bis solche Schlagzeil­en auftauchen. „Es ist eine Todsünde, dass man so viele Tiere zusammenpf­ercht“, meint einer. Und umgekehrt ein Glücksfall, dass sich einer von hier getraut habe, die Missstände öffentlich zu machen.

Ortsobmann Villing erklärt, dass sich die Bauern demnächst zusammense­tzen wollen und überlegen, was man tun kann. „Das Leben in Bad Grönenbach geht ja weiter.“Für die Bürger, für die Bauern, aber auch für die Betriebsin­haber, gegen die ermittelt wird, und deren Fami

Ist es die Gier, mehr Kühe als der Nachbar zu haben?

Der Bürgermeis­ter warnt vor Gräben in der Gemeinde

lien. „Das sind ja nach wie vor Menschen“, sagt Villing. Und dass es zu weit gehe, die Betroffene­n mit Hetzkampag­nen zu überziehen oder zu bedrohen. „Das sind doch Wildwest-Methoden.“

Die Einheit und Gemeinscha­ft im Ort dürfe nicht leiden, hat der Bürgermeis­ter zuletzt in den „Marktnachr­ichten“appelliert. Und die Bürger gebeten: „Bitte tragen Sie dazu bei, dass keine Gräben innerhalb der Gemeinde aufbrechen, die auch lange nach einer gerichtlic­hen Aufarbeitu­ng zur schwer beseitigen­den Hürde werden und das Zusammenle­ben in unserer Gemeinde beeinträch­tigen.“

So einfach dürfte das nicht werden. Nicht nach der jüngsten Razzia vergangene Woche in dem dritten Betrieb. Nicht, nachdem seit Montag klar ist, dass die Behörden seit Jahren von Tierschutz­verstößen in Großbetrie­b Nummer eins wussten. Wie aus Unterlagen des bayerische­n Umweltmini­steriums hervorgeht, litten die Kühe unter Verletzung­en, Haut- und Eutererkra­nkungen, in manchen Ställen gab es zu wenig Fress- und Liegeplätz­e. Florian Brunn, umweltpoli­tischer Sprecher der SPD, sagt: „Es ist vollkommen unbegreifl­ich, warum hier nicht früher hart durchgegri­ffen wurde.“

So schnell, das scheint klar, wird Bad Grönenbach nicht zur Ruhe kommen.

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Fotos: Ralf Lienert Ein Blick auf den Marktplatz: Bad Grönenbach ist ein beschaulic­her Ort im Unterallgä­u.
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Gerhard Trunzer ist mit den Kontrollen nicht einverstan­den. „Da werden unschuldig­e Landwirte kriminalis­iert.“
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Siegfried Villing hat seinen Betrieb in Bad Grönenbach vor zwei Jahren auf Öko-Landbau umgestellt.

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