Das hörten Mann und Hesse
Literatur im Biergarten Dirk Heißerer spürt den musikalischen Vorlieben der beiden Literaturnobelpreisträger nach. Der eine war der Oper zugetan, der andere dem Modernen
Wenn in der Veranstaltungsreihe „Literatur im Biergarten“der Buchhandlung am Obstmarkt „Die Fülle des Wohllauts“in den nächtlichen Sommerhimmel steigt, dann hat sich der Biergarten „Drei Königinnen“in den „Zaubergarten“von Thomas Mann verwandelt. Ja, und in solch einem Fall heißt der eingeladene Referent erfahrungsgemäß Dirk Heißerer, seines Zeichens Literaturwissenschaftler.
Der aber kann kaum ohne Mann, hatte heuer jedoch noch Hermann Hesse dazu gepackt und erklärte im Garten „Grammophonmusik bei Thomas Mann und Hermann Hesse“. So kam es aufgrund mitgebrachter Schellackplatten zur „Fülle des Wohllauts“, jenem Kapitel aus Manns „Zauberberg“, in dem der lungenkranke, einen „Guerillakrieg gegen den Tod“führende Hans Castorp diesen „Wohllaut“dank eines im Sanatorium angeschafften Grammophons entdeckt.
Beginnend mit der auf einem originalen Gerät aus jener Zeit gespielten Jacques Offenbachs-Ouvertüre „Orpheus in der Unterwelt“und den darin aufblitzenden „glieder
Unter den Kastanienbäumen erklang Schuberts Kunstlied
werfenden Takten“, erklärte Heißerer anhand kleiner politischer Schlenkerer die Mann’sche Politikwahrnehmung zu Kriegsbeginn 1914. Diese habe sich in den sieben Jahren seines Schreibens am „Zauberberg“im sechsten und siebenten Kapitel geändert. Bis zum letzten Satz „,Ja, ja!‘ sagte Hans Castorp schwergemut und dankbar“war Thomas Mann wieder auf dem Boden der Tatsachen, und unter den Kastanienbäumen der „Drei Königinnen“erklang zu Herzen gehend vom Grammophon Schuberts Kunstlied vom „Lindenbaum“, das Richard Tauber so seelenschwer gesungen hatte.
Der literarische Spagat zwischen den Nobelpreisträgern Thomas Mann (1875 bis 1955) und Hermann Hesse (1877 bis 1962) ist nicht sehr groß. Beide verband das Schreiben und die Liebe zur Musik, später auch eine Freundschaft. Am ehesten lässt sich der Unterschied im Musikgeschmack festmachen. Mann war der Oper zugetan, Hesse fand früh den Zugang zur Moderne, weshalb nach dem „Lindenbaum“ein Duke Ellington-Foxtrott die Zuschauer zum Wippen mit den Füßen und Wiegen mit den Hüften anregte.
Es ist die Muse Hermine, die in Hermann Hesses großem Roman „Steppenwolf“(Heißerer hatte zuvor aus der „Nürnberger Reise“mit Augsburg-Bezug gelesen) des Autors seelenkrankes Alter Ego Harry Haller aus O-Ton Heißerer dem „Weltfest des Todes“holt. Hermine befindet, es sei erlaubt, Mozart und Foxtrott auf eine Stufe zu stellen, und Haller antwortet: „Mit den ‚Stufen mögen Sie recht haben“.
Was Thomas Mann mit seiner Musikvorliebe nicht vergönnt war, passierte Hesse, als die US-amerikanisch-kanadische Hard-Rock-Band sich den Namen „Steppenwolf“gab und mit Hits wie „Born To Be Wild“weltberühmt wurde.
Was aber unterscheidet die Schriftstellermogule Mann und Hesse? Heißerer erklärt: „Bei Hermann Hesse pocht das Herz, bei Thomas Mann der Partiturstift“, und bewies diese These sogleich mit seinem Korrekturstift, als er mit diesem beim Deklamieren die Taktvorgabe des Mann-Satzes „Wiegen der Hüften ohne zu ermüden“mitklopfte.
Dämmerung legte sich langsam über den Biergarten, als Heißerer noch einmal auf Thomas Mann zu sprechen kam und erzählte, wie dieser seine Kinder in „Unordnung und frühes Leid“charakterisiert habe, und dass im Dr. Faustus („Das muss man nicht lesen“) Lebenswahrheiten stünden. Dafür bringe er durch den Knecht Eliezer in „Joseph und seine Brüder“Hesses „Steppenwolf“unter. Entspricht die darauf zitierte Passage einer Mann-Verneigung vor Hesse? Vielleicht, und mit dieser Überlegung wurden die bestens unterhaltenen Besucher aus der „Fülle des Wohllauts“in Wort und Ton in die Augsburger Nacht entlassen.