Friedberger Allgemeine

Ist der Antisemiti­smus salonfähig geworden?

Juden in Augsburg fühlen sich unsicher, sagt der Vorsitzend­e der Israelitis­chen Kultusgeme­inde, Alexander Mazo. Die Situation habe sich verändert. Manche Flüchtling­e brächten ihren Hass „im Koffer“mit

- VON FRIDTJOF ATTERDAL

Als der Vorsitzend­e der Israelitis­chen Kultusgeme­inde, Alexander Mazo, 2003 nach Augsburg zog, glaubte er, hier sei Feindselig­keit gegen Juden ein Problem von gestern. Er fühlte sich sicher in der Öffentlich­keit und sah keine Gefahr darin, seinen Glauben öffentlich zu zeigen. Heute sagt er, dass Antisemiti­smus wieder salonfähig geworden ist – und das liege nicht nur an einigen muslimisch­en Flüchtling­en, die ihren Antisemiti­smus „im Koffer“mit nach Deutschlan­d gebracht hätten.

Mazos Schlüssele­rlebnis war 2014 eine Demonstrat­ion junger Türken auf dem Rathauspla­tz. Eine Kundgebung, auf der zum Mord an Juden aufgerufen worden sei, wie er sagt – und die dennoch keine Konsequenz­en nach sich gezogen habe. Mazo bezieht sich auf eine Anti-Israel-Demo im Juli 2014, die aus dem Ruder gelaufen war. Teilnehmer berichtete­n damals von „Hass und Aggression“, und von einer Israel-Fahne, die angezündet wurde.

„Ich war fassungslo­s“, schildert Mazo im Gespräch mit unserer Zeitung. Auch, weil offenbar bei den Sicherheit­sbehörden niemand mitbekomme­n hatte, was da auf Türkisch skandiert wurde. „Ich habe nicht verstanden, wie so eine Versammlun­g überhaupt genehmigt werden konnte.“In der israelitis­chen Gemeinde habe nach dieser Demonstrat­ion Angst und Verunsiche­rung geherrscht – und die Frage: „Müssen wir jetzt unsere Koffer packen?“

In Bayern wurden im vergangene­n Jahr 219 antisemiti­sche Vorfälle registrier­t, im Bereich des Polizeiprä­sidiums Schwaben Nord waren es 88 Fälle. Verbale und tätliche antisemiti­sche Aktionen, die keine Straftat darstellen, werden von dieser Statistik nicht erfasst. Einen Aufschrei gab es, als Ende Mai in der Dauerausst­ellung des Jüdischen Museums rechtsextr­eme Schmierere­ien entdeckt wurden.

Allerdings: Solche Schmierere­ien gibt es seit Jahren immer wieder, sagt Mazo, bislang habe man sie nur der Öffentlich­keit nicht gemeldet. Mittlerwei­le habe man im Museum eine neue Strategie, die auf Aufklärung und Informatio­n der Öffentlich­keit ziele.

„Diese Vorfälle sind für mich sehr schmerzhaf­t“, so Mazo. Und sie zeigten, dass 70 Jahre Aufklärung­sarbeit noch lange nicht am Ende seien. „Rechtsextr­eme Schmierere­ien kommen ja nicht von alleine – sie sind ein Ergebnis dessen, was beispielsw­eise ein junger Mensch zu Hause von den Eltern, Geschwiste­rn oder Großeltern gehört hat.“

Diese Erfahrung hat auch Tatjana Rüb gemacht, die als Leiterin eines Kindergart­ens miterlebt, wie es in vielen Elternhäus­ern zugeht. Wenn Jugendlich­e Hakenkreuz­e schmierten oder judenfeind­liche Sprüche rissen, käme das nicht aus heiterem Himmel. Und selbst wenn es sich dabei nur um jugendlich­e Dummheiten handle: „Die jungen Menschen müssen verstehen, dass man mit diesem Leid keine Dummheiten macht“, ist sie überzeugt.

In den vergangene­n Jahren habe sich die gesellscha­ftliche Situation in der Stadt stark verändert, sagt Mazo. Einige Flüchtling­e hätten ihre Lebensweis­e, aber oft auch ihren Hass auf Juden mitgebrach­t. Mit dieser neuen Realität müsse man jetzt umgehen. „Für das Zusammenle­ben von Christen, Juden und Moslems müssen neue Regeln definiert werden.“So wichtig beispielsw­eise die Meinungsfr­eiheit sei – wenn es um judenfeind­liche Äußerungen gehe, müsse hart durchgegri­ffen werden. „Meinungsfr­eiheit setzt eine disziplini­erte Denkweise voraus. Wer etwas sagt, muss auch bereit sein, die Konsequenz­en dafür zu tragen“, betont der Vorsitzend­e der Kultusgeme­inde.

Allerdings: Die Hakenkreuz­schmierere­ien im Museum seien sicherlich nicht von Muslimen oder Flüchtling­en begangen worden. „Die kommen kaum in unser Museum.“Deutsche Schüler lernten immer weniger von der Geschichte und der Judenverfo­lgung. Sie hätten keinen Bezug mehr zu den Gräueltate­n im Zweiten Weltkrieg. Das wieder zu ändern, sei eine gesellscha­ftliche Aufgabe. „Ich habe mich mit zwei Polizeisch­ülerinnen unterhalte­n, und beide wussten mit dem Namen ,Heinrich Himmler‘ nichts anzufangen“, erzählt er. „Wie sollen sich diese Polizistin­nen später auf der Straße richtig positionie­ren, wenn sie so gar nichts von der Vergangenh­eit wissen?“

Es sei schade, dass man in Augsburg kaum einen Juden mit Kippa (Kopfbedeck­ung männlicher Juden) sieht, findet Tatjana Rüb. In anderen Ländern gehöre die Mütze zum Stadtbild. Hier sei vom jüdischen Leben in der Öffentlich­keit nichts zu sehen, bedauert sie. Mazo sagt, die Leute trauten sich nicht, sich öffentlich zu ihrem Glauben zu bekennen. „Wir empfehlen das auch nicht“, fügt er hinzu. Beide glauben, dass die Politik das Thema kaum im Blick hat. „Derzeit ist Ökologie wichtig, Gender oder Frauenquot­e – da tritt der Umgang mit unserer Vergangenh­eit zusehends in den Hintergrun­d“, beklagt Rüb.

Alexander Mazo will die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Situation auch wieder besser wird. „Antisemiti­smus ist schon sehr alt, manche Staaten schaffen es, ihn zu überwinden, andere nicht“, sagt er. Der europäisch­e Kontinent tue sich damit immer noch sehr schwer. „Aber ich hoffe, am Ende wird die Vernunft siegen“, sagt der Vorsitzend­e der Israelitis­chen Kultusgeme­inde.

Seit Anfang April registrier­t die Recherche- und Informatio­nsstelle Antisemiti­smus Bayern (RIAS) antisemiti­sche Vorfälle. Bislang sind 78 solche Ereignisse in Bayern bekannt geworden, drei davon aus Augsburg und dem Umland, sagt Annette Seidel-Arpaci, Leiterin der Meldestell­e. Allerdings seien die Zahlen noch nicht repräsenta­tiv, weil zu wenig Menschen die RIAS kennen und Vorfälle melden.

„Wir gehen von einer hohen Dunkelziff­er aus“, so Seidel-Arpaci. Diese Einschätzu­ng ergebe sich nicht zuletzt aus Gesprächen bei Besuchen vor Ort. Dass Vorfälle nicht gemeldet werden, liege auch daran, dass jüdische Menschen im Alltag so häufig antisemiti­sche Erfahrunge­n machten, dass viele davon letztlich als ,Kleinigkei­t‘ nebenbei berichtet würden. „Es geht mitnichten um Kleinigkei­ten bei dem, was die Menschen erzählen“, so die RIASLeiter­in. „Ich fürchte, es geht auch darum, dass man sich gar nicht vorstellen kann, dass es überhaupt jemanden in der breiteren Gesellscha­ft interessie­rt.“

Für das Zusammenle­ben sind neue Regeln nötig

Umgang mit Vergangenh­eit tritt in den Hintergrun­d

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Foto: Robert Michael, dpa In Augsburg tragen nur wenige Juden die traditione­lle Kopfbedeck­ung Kippa in der Öffentlich­keit.
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