Friedberger Allgemeine

Die Akte Ursula Herrmann bleibt geschlosse­n

Welche neuen Indizien der Bruder des entführten Mädchens vom Ammersee entdeckt hat und warum die Staatsanwa­ltschaft dennoch nicht neu ermittelt

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg Es ist einer der spektakulä­rsten Kriminalfä­lle Deutschlan­ds: die Entführung und der Tod von Ursula Herrmann. Am 15. September 1981 wurde die Zehnjährig­e auf ihrem Heimweg nach Eching am Ammersee entführt und in eine eigens angefertig­te Holzkiste gesperrt. Die Kiste wurde im Waldboden vergraben. Ursula erstickte darin.

Und obwohl fast 29 Jahre später der bärtige Hüne Werner Mazurek, 69, für die Tat zu lebenslang­er Haft verurteilt worden ist, blieben Zweifel, ob er es tatsächlic­h war. Besonders ausgeprägt sind diese Zweifel bei Ursulas Bruder Michael Herrmann. Er hat sogar einen Zivilproze­ss angestreng­t, um eine Wiederaufn­ahme des Verfahrens zu erreichen. Und er hat eigene Recherchen angestellt, die Erstaunlic­hes zutage gefördert haben. Doch so wie es aussieht, wird Michael Herrmann weiter mit seinen Zweifeln leben müssen.

Für die Augsburger Staatsanwa­ltschaft reichen die Hinweise, die Herrmann eingereich­t hat, nicht aus, um neue Ermittlung­en anzustelle­n oder gar das Strafverfa­hren wieder aufzunehme­n. Es bleibt auch dabei, dass die Tat nicht als Mord gilt, sondern als erpresseri­scher Menschenra­ub mit Todesfolge. Die Tat wäre heute also verjährt.

Ursulas Bruder hat diese Mitteilung hart getroffen, er braucht noch etwas Zeit, die Nachricht zu verarbeite­n. Er und sein Landsberge­r Anwalt Joachim Feller haben für Mittwoch eine Erklärung angekündig­t.

Als Nebenkläge­r im Strafproze­ss hatte Michael Herrmann, 56, Einsicht in rund 25000 Seiten Akten. Die hat er in den vergangene­n Jahren gründlich durchforst­et. Aus seiner Sicht fand er Ungereimth­eiten, abenteuerl­iche Verhörmeth­oden der Polizei und unsaubere Ermittlung­en. Die Hauptindiz­ien aus dem Strafproze­ss überzeugte­n Herrmann nicht: ein Tonbandger­ät Grundig TK 248, das bei Mazurek gefunden worden war und mit dem die Erpressera­nrufe bei den Eltern angefertig­t worden sein sollen. Und die Aussage eines Alkoholike­rs, er habe in Mazureks Auftrag ein Loch im Wald gegraben.

Also recherchie­rte Ursulas Bruder weiter, auf der Suche nach einer plausiblen These für andere Täter. Und er wurde fündig. Erst im März machte Herrmann öffentlich, dass die Täter aus seiner Sicht Jugendlich­e aus dem ehemaligen Landerzieh­ungsheim Schondorf kamen, einem privaten Internat am Ammersee. Dort waren auch Kinder einflussre­icher Eltern untergebra­cht. Und dort hat die Polizei laut Herrmann kaum ermittelt, obwohl schon zu einem frühen Zeitpunkt eine wichtige Spur in diese Richtung geführt habe. Kurz nach Ursulas Entführung hatten die Ermittler am Tatort einen grünen Klingeldra­ht gefunden, diesen aber nicht mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht. Der Draht verschwand. Heute wird vermutet, dass der Draht Teil eines Alarmsyste­ms der Entführer gewesen sein könnte. Erst im Januar 1983 tauchte der Draht wieder auf – im Zimmer zweier Schüler des Landheims. Die Kripo gab sich mit der Erklärung der Schüler zufrieden, sie hätten den Draht im Wald gefunden. Zu Unrecht, wie Herrmann findet.

In seinen Augen weisen weitere Spuren auf junge Leute als Täter hin: Die Tat sei wie ein Abenteuer aus einem Comic oder Romanen geplant. Und dann ist da noch der Erpresserb­rief, den Herrmann von einer Expertin aus Großbritan­nien untersuche­n lässt. Die Forscherin entdeckt auf der Rückseite des Briefes die Durchdruck­spur eines sogenannte­n Wahrschein­lichkeitsb­aums – eine Skizze aus der Stochastik und damit klassische­r Lehrstoff in Mathematik in der gymnasiale­n Oberstufe.

Doch all diese Indizien reichen der Staatsanwa­ltschaft nicht aus. Die Akten im Fall Ursula Herrmann bleiben geschlosse­n. Dieses Mal wahrschein­lich für immer.

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Foto: Polizei Ursula Herrmann wurde 1981 entführt und erstickte in einer Kiste.

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