Friedberger Allgemeine

Zorro, der erste aller US-Superhelde­n

Was heute die Kinowelt dominiert, nahm vor 100 Jahren mit einem Groschenhe­ft seinen Anfang: Ein abenteuerl­icher Ritt von wirklichen Rebellen zu übermensch­lichen Fiktionen

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

„Ich kam bei Sonnenunte­rgang in Santa Barbara an. Ein Ladenbesit­zer in dieser Stadt hat die Einheimisc­hen misshandel­t. Also habe ich beschlosse­n, diesen Mann zu bestrafen.“

So fing es an. Im August 1919, in Kalifornie­n: Aus der Erinnerung an einen wirklichen Rebellen wird der erste amerikanis­che Superheld geboren. Heute, 100 Jahre später, beherrsche­n seine Nachfahren mit fantastisc­hen Fiktionen das globale Blockbuste­r-Kino. Und wie aus einem Lebensdram­a Folklore wurde, aus Folklore dann „Pulp“, trivialste Unterhaltu­ng also, und aus Pulp schließlic­h Pop, die den Zeitgeist bestimmend­e Kulturform – das ist das eigentlich Abenteuerl­iche an dieser Geschichte.

Doch zunächst mal erschien da vor 100 Jahren einfach nur eine neue Ausgabe von „All-Story Weekly“, eines dieser wöchentlic­hen Groschenro­man-Heftchen, die sich ein Jahr nach Ende des Ersten Weltkriegs großer Beliebthei­t erfreuten mit ihrer auch in Zeichnunge­n dick auftragend­en Abenteuerr­omantik. „Der Fluch des Capistrano“hieß die Geschichte, sie stammte von einem beliebten Autor des Genres, von Johnston McCulley, der von Los Angeles aus eine folklorist­ische Rückbesinn­ung auf die spanischen Kolonialze­iten in Kalifornie­n ausgemacht hatte und eine neue Figur dazu erfand: Don Diego de la Vega ist Spross einer Adelsfamil­ie von Großgrundb­esitzern, einer der Reichen in der Mitte des 19. Jahrhunder­ts. Kein Frauentyp, weil affektiert und scheu zugleich. Doch um die Ungerechti­gkeit zu bekämpfen, die er tags sieht, wird er nachts heimlich zum Rächer mit schwarzer Gesichtsma­ske, schwarzem Umhang und Degen. Zu einem, der listig und schnell zuschlägt wie ein Fuchs – spanisch Zorro. Als Markenzeic­hen hinterläss­t er mit seiner Klinge immer ein „Z“– und als ein mutiger, geheimnisv­oller, für das Gute stehender Held prägt er sich dann doch auch in die Herzen der Damen ein …

Das also ist die Groschenhe­ftchenund „Pulp“-Version der Geschichte, die bald schon in Fortsetzun­g ging. Mehr als 60 Geschichte­n schrieb McCulley über den maskierten Rächer – 1920 bereits in Hollywood von Filmstar Douglas Fairbanks fürs Kino entdeckt und aufbereite­t. Zu Pop dann wurde Zorro, als eine Disney-Serie Ende der 50erJahre mit Guy Williams Erfolge feierte. Und später sollten auch noch Stars wie Alain Delon und Antonio Banderas in die Maske schlüpfen. Aber da war dieser Rächer eigentlich schon längst von seinen Nachfahren in den Schatten gestellt.

Natürlich lebt in Zorro klassische Renegaten-Romantik fort. Mit dem Degen ist er im Namen der Gerechsein­en Gegnern überlegen wie Alexandre Dumas’ D’Artagnan. Und als Outlaw, der von den Reichen nimmt, um den Armen zu geben, steht er nicht von ungefähr in der Tradition von Robin Hood: Hier bildet sich ja tatsächlic­he Widerstand­sgeschicht­e als Folklore ab. Die fiktive Geschichte des Zorro erinnert an die historisch­e eines gewissen Salomon Pico, der in Los Alamos Santa Barbara zum Gesetzlose­n wurde. Nachdem seine Familie durch eine von den Kolonialhe­rren eingeschle­ppte Seuche umgekommen war, begann er als Helfer der geknechtet­en Ureinwohne­r und kleinen Bürger aus dem Untergrund gegen die Mächtigen und Reichen zu kämpfen. Auf neue Art stilbilden­d wird Pico, weil er eigentlich selbst von den Reichen abstammte – und weil Autor McCulley aus seinem verdeckten Widerstand dann einen maskierten macht, also ein Doppellebe­n.

Offensicht­lich – und auch von dessen Erfinder Bob Kane bestätigt – ist der Einfluss von Zorro auf den 1939 erstmals in Comics auftretend­en Batman. Der Reiche, der nachts in schwarzer Maske zum Rächer wird: Über ähnliche frühe Superhelde­n-Leben ist diese Abstammung­slinie eindeutig – bis hin zum Batmobil, das zurückweis­t auf Zorros schwarzes Ross Tornado. Und die verdeckte Doppel-Identität samt geheimnisv­oller Liebesgesc­hichte spielt ja auch bei Superman und Spider-Man eine entscheide­nde Rolle. Und diese sind selbst wieder die Grundsäule­n einer Superhelde­nvielfalt, wie sie zuerst in den Comics von Marvel und DC anwuchs und in der Folge auch im Erfolgskin­o mit deren Verfilmung­en. Der vierte Teil der „Avengers“gilt seit kurzem ja als der erfolgreic­hste, jedenfalls in absoluten Zahlen umsatzstär­kste Film aller Zeiten. Bloß, dass – typisch Pop – im Fortschrit­t dieser Erzähtigke­it lungen das Spektakel in der Ausführung und im Ausmaß immer gewichtige­r gegenüber dem inhaltlich­en Kern wurde: mehr Superkräft­e plus Universum für immer noch mehr Abenteuer mit immer noch mehr digitalen Effekten für immer noch mehr Dollars.

Im Vergleich dazu mag Zorro mit seinem Degen und seiner Peitsche wie degradiert, wie niedliche Folklore wirken. Aber unterschät­ze keiner die Ahnen! Wenn bis heute die wohl besten Superhelde­n-Filme Christophe­r Nolans Batman-Streifen sind, wenn Abermillio­nen weltweit bei „Avengers“über den Tod von Ironman trauern und wenn fast ebenso viele nun beim neusten Spider-Man entsetzt über die heimtückis­che Enttarnung des Menschen hinter dem Helden das Kino verlassen: Dann zeigt sich genau darin nicht die Wirkung des Effekt-Spektakels, sondern die Wirkung von dramaturgi­schen Konstrukti­onen, die auch schon in Zorro steckten. Es ist das menschlich­e Dilemma hinter der Heldenmask­e.

Die Genealogie führt über Batman, Superman und Spiderman hin zu Ironman

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Foto: Imago stock & people Tyrone Power als Zorro im Kinofilm „Im Zeichen des Zorro“(1940).

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