Mehr als nur ein Betrug
Streeruwitz geht es um das große Ganze
Marlene Streeruwitz macht es ihren Lesern nicht leicht. Ihr neuer Roman „Flammenwand“wird durch einen Anhang ergänzt, der eine Chronik politischer Ereignisse in Österreich vom 19. März bis 9. Oktober 2018 enthält. Diese Chronik soll den Roman ergänzen, bringt aber die Leser immer wieder aus dem Konzept. Und das ist gerade in diesem Roman, der strikt dem Gedankenfluss der weiblichen Hauptfigur Adele folgt, fatal. Die 50-jährige Frau aus Wien, die in Stockholm merkt, dass ihr deutscher Liebhaber Gustav sie betrügt, hängt in der „Flammenwand“fest. Sie kommt nicht mehr heraus aus dem Grübeln über das Scheitern ihrer Beziehung, die in Berlin begonnen hatte. Und so erfahren die Leser in der für Streeruwitz typischen Stakkato-Sprache nicht nur, dass Gustavs vorgegebene Impotenz Adele zu einem passiven Opfer degradiert hat, sondern auch, dass sie von ihrem kriegsversehrten Vater missbraucht wurde und Gustavs Manipulationen an ihrem Körper wie eine Wiederholung dieses Missbrauchs empfand. Man muss sich einlesen in diese Ein-, Zwei-, Dreiwortsätze. Muss versuchen, dieser Adele in die dunklen Winkel ihrer Erinnerungen zu folgen, und darf dabei nicht den doppelten Boden aus den Augen verlieren: Streeruwitz geht es um nichts weniger als um das große Ganze – von der Migration über den Rechtspopulismus bis hin zu den Verheerungen durch den Krieg und die Zumutungen der Kirche.