Wie Brecht gegen andere Dichter anschrieb
Schon früh wollte der Lyriker „einen ganzen Zyklus Leben“schreiben. In der „Hauspostille“machte er den Widerspruch zu anderen fruchtbar, wie Karoline Sprenger in ihrer so tiefenscharfen wie lesbaren Habilitation zeigt
Ludwig Ganghofer kennt fast jeder, aber wer hat schon von Karl Lieblich gehört? Und davon, dass der junge Brecht dessen Gedichtzyklus „Trautelse“1914 in einer Augsburger Tageszeitung rezensiert hat? BB war scheinbar voll des Lobes über diese gefühlig in Liebe und Natur schwelgenden Verse. Doch in den Zuspruch träufelte er sein Gift.
Der frühe Bertolt Brecht pflegte solche Doppeldeutigkeiten. Und nicht immer lässt sich eine klare Linie zwischen Beifall und Hohn ziehen. Lieblich, 1895 in Stuttgart geboren, wollte jedenfalls in reiferen Jahren von seiner frühen „Trautelse“nichts mehr wissen. Er ließ die Restauflage einstampfen, dies mit einer Gründlichkeit, dass sich weltweit ein einziges Exemplar erhalten hat – in der Bibliothek von Los Angeles.
Man ahnt, wie viel Recherche und Geduld es brauchte, bis Karoline Sprenger diesen Zyklus zu Gesicht bekam. Dank der Mitarbeiter der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg war es schließlich gelungen, eine „Trautelse“-Fotokopie aus den Staaten zu erhalten .
Dies mag schlaglichtartig die Mühe und Beharrlichkeit erhellen, mit der Karoline Sprenger in ihrer (2018 von der Uni Bamberg angenommenen) Habilitationsschrift das schwierige Thema „Bertolt Brechts Hauspostille als Kontrafaktur lyrischer Zyklen des frühen 20. Jahrhunderts“aufarbeitete. Die wissenschaftlich längst ausgewiesene Autorin (und Frau des Augsburger Brecht-Forschers Jürgen Hillesheim) wartet mit einer Fülle neuer Akzente und Bezüge zum frühen Brecht der Jahre 1914 bis 1920 auf. Sie erweitert den Kreis seiner literarischen Gewährsmänner, füllt Leerstellen der Forschung auf, bringt Korrekturen an.
BB schrieb konsequent gegen andere Dichter an und schärfte so sein ästhetisches Profil. Ideengeber und Anreger wusste er sorgsam zu verbergen. Wie sehr sein Werk in der Methode des Widerspruchs gründet, legt Karoline Sprenger auf nahezu jeder Seite ihrer nach Tiefenschärfe und Lesbarkeit beispielhaften Analyse dar.
Brecht war gerade 15, als er gleichsam mit geschwellter Brust notierte: „Ich gedenke einen ganzen Zyklus Leben zu schreiben.“So viel Ehrgeiz lenkte in der Folge seine Aufmerksamkeit auf größere und kleinere Dichter – zumal BB von 1919 bis 1926 mit seinem „Taschenpostillen“bzw. „Hauspostillen“-Projekt befasst war. Karoline Sprenger schreitet Brechts Etappen der Auseinandersetzung mit literarischen Zyklen ab, beginnend mit dem erwähnten Karl Lieblich. Ihm folgen der berühmte Ludwig Ganghofer mit seiner zur demagogischen Kriegswaffe geschmiedeten „Eisernen Zither“, sodann Stefan George („Der Siebente Ring“), Gottfried Benn („Morgue“) und Rainer Maria Rilke („Das Stunden-Buch“).
Die genannten Autoren gewinnen in der (Einzel-)Analyse der Gedichte ebenso neue Perspektiven, wie sich überraschende Bezüge zu Brecht auftun. Nur zwei kleine Beispiele: In Benns Sezier-Zyklus eruiert die Autorin deutliche sexuelle Anklänge. Und Brechts viel zitiertes Gedicht „Gegen Verführung“sieht sie nicht allein gegen Religion, sondern auch gegen gesellschaftliche Mächte gerichtet.
Dabei kommt allenthalben ein großer Philosoph ins Spiel: Friedrich Nietzsche. Dessen Erkenntnis von der „ewigen Wiederkunft des Gleichen“zeigt nicht nur Wirkung in der Kreisbewegung des dichterischen Zyklus, sondern wird von Karoline Sprenger auch als philosophische Quelle der „Hauspostille“beglaubigt. Die Autorin weist nach, wie BB die (von George auf ästhetizistische Höhen geführte) strenge symmetrische Zyklus-Struktur aufbricht, Widersprüche und Sprünge arrangiert, Gattungsgrenzen negiert, kurz: den lyrischen Zyklus „neu definiert“. Die um den „armen B. B.“(„Ich, Bertolt Brecht, bin aus den schwarzen Wäldern…“) zentrierte „Hauspostille“strahlt, wie belegt wird, vielfach auf Brechts frühe Dramen ab („Baal“!).
BB änderte, bearbeitete, stellte um, integrierte Neues. Das macht die Überlieferungs- und Editionsgeschichte kompliziert. Der „Hauspostille“aber, damit schließt Karoline Sprenger, geriet die vom Dichter kurz vor seinem Tod in Gang gesetzte, von Elisabeth Hauptmann vollzogene „Ausgabe letzter Hand“zum Nachteil: Ihr „revolutionärer“zyklischer Charakter ging verloren. Umso gebotener ist der Griff zur Ausgabe von 1927!
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Karoline Sprenger: Bertolt Brechts „Hauspostille“als Kontrafaktur lyrischer Zyklen des frühen 20. Jahrhunderts. Verlag Königshausen & Neumann, 360 Seiten, 44,90 ¤.