Friedberger Allgemeine

Die „Wilde Siedlung“wird nicht geräumt

Die Stadt hat die Aufforderu­ng, die Bauten zu entfernen, zurückgeno­mmen. Der Anwalt der Siedler erklärt, warum der Rechtsstre­it trotzdem weiter geht und was sich Bewohner wünschen

- VON EVA MARIA KNAB

Die Bewohner der „Wilden Siedlung“am Rande Lechhausen­s leben zwischen Hoffen und Bangen. Die Stadt hatte sie aufgeforde­rt, das kleine Hüttendorf mit selbst gebauten Häuschen bis zum Jahresende zu räumen. Das wäre das Ende des alternativ­en Wohnprojek­ts nach 15 Jahren gewesen. Nun ist zumindest die Räumung vom Tisch, wie Anwalt Sven Gröbmüller mitteilt. Wie es mit der Wilden Siedlung weitergeht, ist aber weiter ungewiss.

Auf dem abgelegene­n Privatgrun­dstück an der Derchinger Straße leben etwa zehn Siedler mit Zustimmung des Eigentümer­s in Bauwagen und Hütten. Das Problem: Die Stadt hatte das Grundstück nie zur Wohnbebauu­ng freigegebe­n. Rechtlich handelt es sich bei den Behausunge­n um Schwarzbau­ten. Um keinen Präzedenzf­all zu schaffen, beschloss der Bauausschu­ss des Stadtrats im vergangene­n November, dass das Areal, das auch nicht ans Abwasserne­tz angeschlos­sen ist, geräumt werden muss. Eine entspreche­nde Verfügung wurde verschickt. Doch inzwischen hat sich die Lage geändert.

Anwalt Sven Gröbmüller vertritt Bewohner der Wilden Siedlung. Sie haben gegen den Bescheid geklagt. Gröbmüller sagt, die Stadt habe ihre Aufforderu­ng, die Behelfsbau­ten bis Jahresende zu entfernen, inzwischen „freiwillig zurückgeno­mmen“. Aus seiner Sicht war die Basis dafür „rechtlich wackelig“.

Die Folge ist nach Angaben des Anwalts, dass die Bewohner das Gelände nicht räumen müssen. Gröbmüller sagt aber auch, der Rechtsstre­it um die Wilde Siedlung laufe noch. Deshalb sei auch noch nicht klar, wie es mit anderen Auflagen der Stadt weitergeht. Danach soll den Bewohnern beispielsw­eise untersagt werden, das Gelände weiterhin zu Wohnzwecke­n zu nutzen. Wann darüber eine Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts fallen könnte, dazu wagt der Anwalt keine Prognose.

Bei den Siedlern herrscht erst einmal Erleichter­ung, dass sie Zeit gewonnen haben. Jan Prochazka sagt, als die Aufforderu­ng zur Räumung von der Stadt gekommen sei, sei die Stimmung auf dem Tiefpunkt gewesen. Bislang sei zwar keiner weggezogen. „Ganz entspannt sind wir auch jetzt nicht, denn es geht weiter um unser Wohnrecht.“

In dem Hüttendorf leben Menschen, die vorwiegend zwischen 30 und 40 Jahre alt sind. Sie arbeiten als Handwerker, Angestellt­e oder studieren noch. Dass man in der Wilden Siedlung Freiheit und Gemeinsamk­eit gleichzeit­ig hat, ist für sie eine wichtige Motivation fürs Zusammenle­ben. Prochazka sagt, „es ist ein bisschen wie in einer großen Familie.“Anderersei­ts habe man die Möglichkei­t, auch mal länger auf Reisen zu gehen, ohne daheim Miete zahlen zu müssen.

Für ihr ungewöhnli­ches Wohnmodell nehmen die Siedler einiges in Kauf: Trinkwasse­r beschaffen sie im Supermarkt, als Toilette dient ein Dixi-Klo, Strom gibt es aus der gemeinsame­n Fotovoltai­k-Anlage. Man sei gezwungen, sich aufs Wesentlich­e zu beschränke­n, habe aber einen Lebensstan­dard, der über dem eines Großteils der Menschheit liege, erzählen Bewohner. In der Wilden Siedlung gibt es aber beispielsw­eise auch einen Fernseher, vor dem man sich zum „Tatort“-Schauen trifft und für den GEZ-Gebühren gezahlt werden – wie in ganz normalen Haushalten. Die Bewohner zahlten auch Grundsteue­r und Müllgebühr­en.

Die wichtigste Frage für die Siedler ist nun aber, wie es langfristi­g weitergehe­n soll. SPD und Grüne hatten den Antrag gestellt, dass die Stadt versuchen solle, alternativ­e Flächen bereitzust­ellen. Auch die anderen Fraktionen hatten Sympathien für das Projekt erkennen lassen. Allerdings ist die Suche zwischenze­itlich im Sand verlaufen. Für die städtische Liegenscha­ftsverwalt­ung ist die Sache erledigt. Das Büro von Bürgermeis­terin Eva Weber teilt auf Anfrage mit, „dass kein anderes Gelände gesucht wird, da es sich um eine illegale Siedlung handelt“.

Gröbmüller hofft noch immer, dass eine außergeric­htliche Einigung möglich ist. Seinen Mandanten gehe es nicht darum, gegen die Stadt zu prozessier­en. „Ich habe sie als friedliche und freundlich­e Menaber schen kennengele­rnt.“Den Siedlern sei es aber wichtig, dass sie ihr Leben so führen können, wie sie wollen. Der Anwalt sagt, man wolle im Herbst noch einmal versuchen, mit der Stadt ins Gespräch zu kommen, um eine Lösung zu finden. Schließlic­h sei es nach Schilderun­gen von Bewohnern so gewesen, dass unter dem früheren Paul Wengert (SPD) Mitglieder der damaligen Stadtregie­rung das Wohnmodell der Wilden Siedlung unterstütz­t hätten.

Auch Eva Leipprand (Grüne) sei damals als Kulturrefe­rentin einbezogen gewesen. Leipprand sagt heute, sie finde alternativ­e Wohnprojek­te vom Grundsatz her gut. Man müsse aber auch die Rechtslage im Blick haben. Sie könne sich nicht mehr an die Ereignisse von damals erinnern und sich nicht vorstellen, dass sie Zusagen an die Siedler gegeben habe, da sie außerhalb ihrer Zuständigk­eit gelegen hätten. Ihres Wissens gebe es dazu auch keine schriftlic­hen Unterlagen.

Wird es im Streit um die Wilde Siedlung noch eine Einigung geben? Diese Frage bleibt spannend. Das städtische Baureferat teilt auf Anfrage mit, im Bauordnung­samt sei man zu einem Gespräch mit den Bewohnern bereit. Und Grünen-Fraktionsc­hefin Martina Wild erklärt, „unser Ansinnen ist es nach wie vor, der Planwagens­iedlung in der Derchinger Straße eine alternativ­e Fläche zur Verfügung zu stellen“. Dies hätten die Grünen gemeinsam mit der SPD beantragt. Besonderen Wohnformen solle in einer vielfältig­en Stadt wie Augsburg Raum gegeben werden.

Die Siedler wünschen sich, endlich eine Perspektiv­e für ihre Zukunft zu bekommen. Jan Prochazka sagt, „für mich ist es ganz wichtig, dass ich hier weiter bleiben kann. Eine normale Wohnung wäre für mich die Hölle.“Er könne nicht verstehen, dass in anderen europäisch­en Ländern alternativ­e Wohnformen möglich sind – etwa in Minihäuser­n auf Rädern – den „Tiny Houses“. Hierzuland­e benötige man sogar für eine Jurte eine Baugenehmi­gung.

 ??  ??
 ?? Foto: Wyszengrad ?? Die Wilde Siedlung in Lechhausen ist ein alternativ­es Wohnprojek­t. Die Siedler leben dort mit Zustimmung des Eigentümer­s, die Stadt hatte das Gelände aber nie zur Wohnbebauu­ng freigegebe­n. Seit einiger Zeit läuft ein Rechtsstre­it, Ausgang offen. Nun müssen die Bewohner das Areal nicht so schnell räumen, wie gedacht.
Foto: Wyszengrad Die Wilde Siedlung in Lechhausen ist ein alternativ­es Wohnprojek­t. Die Siedler leben dort mit Zustimmung des Eigentümer­s, die Stadt hatte das Gelände aber nie zur Wohnbebauu­ng freigegebe­n. Seit einiger Zeit läuft ein Rechtsstre­it, Ausgang offen. Nun müssen die Bewohner das Areal nicht so schnell räumen, wie gedacht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany