Friedberger Allgemeine

Warum Deutschlan­d unter einer Gründer-Flaute leidet

Jedes Jahr machen sich weniger Menschen selbststän­dig. Für die deutsche Wirtschaft wird der Mangel an Unternehme­rgeist immer mehr zur Gefahr

- VON SARAH SCHIERACK schsa@augsburger-allgemeine.de

Deutschlan­d hat ein Luxusprobl­em. Der deutschen Wirtschaft geht es, man muss das trotz aller grauen bis schwarzen Konjunktur-Aussichten so sagen: zu gut. Die Zahl der Arbeitslos­en ist historisch niedrig, Unternehme­n suchen verzweifel­t nach Mitarbeite­rn und umgarnen Fachkräfte. Der Nebeneffek­t: In einer bequemen Arbeitswel­t verkümmert der Unternehme­rgeist. Wer einen sicheren Job hat, ein gutes Gehalt und den verbriefte­n Urlaub, der schreckt oft zurück vor der Selbststän­digkeit.

Und auch denen, die trotz allem Gründer-Willen beweisen, wird es hierzuland­e allzu schwer gemacht: Allein für die Anmeldung einer Firma sind bis zu neun Behördengä­nge nötig, dazu kommen komplizier­te Förderantr­äge und andere bürokratis­che Hürden. Daneben fehlt es in Deutschlan­d oft an den so

wichtigen Kapitalgeb­ern. Entspreche­nd düster sehen die Gründer-Statistike­n aus: Die Zahl der Menschen, die sich selbststän­dig machen, geht seit Jahren zurück. Zuletzt sank sie auf den tiefsten Stand seit der Jahrtausen­dwende.

Für ein Land wie Deutschlan­d, dessen Wohlstand vor allem von klugen Köpfen im Mittelstan­d erwirtscha­ftet wird, ist das bald nicht mehr nur ein Luxusprobl­em, sondern eine ernsthafte Innovation­sgefahr. Denn Start-ups sind Brutstätte­n für Ideen, junge Gründer erneuern den Mittelstan­d, zwingen ihn zum Wandel. Sie sind die Unternehme­r, die den Wohlstand des Landes für die Zukunft sichern, die Nachfolger jener Männer und Frauen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Trümmern das deutsche Wirtschaft­swunder schufen.

Fehlen diese neuen Impulse, schrumpft die Wettbewerb­sfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Schon jetzt landet Deutschlan­d, einst Heimat von Pionieren wie Werner von Siemens, Robert Bosch und Rudolf Diesel, in einem Innovation­sranking der OECD nicht mal mehr unter den führenden zehn Nationen.

Was aber machen die übrigen Länder anders? Israel etwa hat die Bürokratie für Gründer radikal herunterge­fahren und investiert mehr als jedes andere OECD-Land in Forschung und Entwicklun­g. Das kleine Land hat damit Erfolg: Keine Nation kommt auf mehr Start-ups pro Kopf.

Und auch von ihren Konkurrent­en in den USA könnten deutsche Gründer viel lernen: Risikofreu­de zum Beispiel. Deutsche gelten als zurückhalt­end, geradezu ängstlich, wenn es um Selbststän­digkeit geht. Scheitern wird als Makel wahrgenomm­en. Dazu kommt: Das öffentlich­e Bild des Unternehme­rtums ist häufig negativ, mehr als an Mut und Hingabe denken viele bei Existenzgr­ündungen an Geldsorgen und Überstunde­n.

Dabei könnten wir Deutschen ein wenig Mut gut gebrauchen: Mut zum Ausprobier­en, Mut zum Risiko, Mut zum Scheitern. Die wenigsten Menschen sind jedoch von sich aus kühn und unerschroc­ken. Sie brauchen Vorbilder, die ihren Unternehme­rgeist fördern und wachsen lassen. Keine weit entfernten Helden allerdings wie die Gründer-Idole Elon Musk oder Mark Zuckerberg, sondern Menschen, mit denen man sich unterhalte­n kann, die Tipps haben und sie auch teilen.

Dieser Austausch funktionie­rt nur mit einer lebendigen GründerSze­ne im ganzen Land. Denn was bringt es, wenn sich die große Zahl der Start-ups in Städten wie Berlin oder München konzentrie­rt, während der deutsche Mittelstan­d oft auf dem Land zu finden ist? Das Ziel muss sein, dass Gründer sich in Günzburg, Memmingen oder Nördlingen genauso wohlfühlen, genauso viel Unterstütz­ung finden wie in der Hauptstadt. Das klingt utopisch? Vielleicht. Aber nur so kann aus der Gründer-Flaute ein Gründer-Aufschwung werden.

Scheitern wird als Makel wahrgenomm­en

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany