Friedberger Allgemeine

Vor dem Trau-Altar

Die Berliner Philharmon­iker heiraten heute aus reiner Liebe. Und zwar Kirill Petrenko, den noch amtierende­n Generalmus­ikdirektor der Staatsoper München

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Heute nun ist der Tag da, an dem Kirill Petrenko, dieser ganz große unter den großen Dirigenten, zum ersten Mal als amtierende­r Chefdirige­nt die Berliner Philharmon­iker dirigiert – dieses ganz große unter den großen, internatio­nal tief bewunderte­n Orchestern.

Die Verlobung fand 2015 statt, als Petrenko auf den Heiratsant­rag des Ensembles so reagierte: „Man kann es gar nicht in Worte fassen, was in mir gefühlsmäß­ig vorgeht: Von Euphorie und großer Freude bis zu Ehrfurcht und Zweifel ist da alles drin.“Das offizielle Hochzeitsv­ersprechen wurde dann 2016 unterzeich­net (Ehe-Start: 19. August 2019), und heute also treten die Brautleute vor den Altar der Musik, bevor sie anschließe­nd in Salzburg und Luzern konzertier­end flittern.

Dass die Trauung von den Worten „Wer ein holdes Weib errungen,

mische seinen Jubel ein!“aus Beethovens neunter Sinfonie unterstric­hen wird, passt. Petrenko und die Berliner betreten feuertrunk­en das Heiligtum des Himmlische­n in der Berliner Philharmon­ie – kurz vor 19 Uhr, mit Live-Übertragun­gen in 145 Kinos. Morgen wird das „Ja“vor dem Brandenbur­ger Tor vor tausenden von Zeugen wiederholt.

Jetzt aber mal ’ne Spur nüchterner – Liebesheir­at hin oder her. Es hat gute Gründe, dass sich die Philharmon­iker mit großer Mehrheit Petrenko erkoren – und damit anderen Dirigenten-Stars den Korb gaben. Seit 2001, als der 1972 in Sibirien Geborene nach österreich­ischem Dirigierst­udium einen sensatione­llen Wagner„Ring“ im Staatsthea­ter Meinungen hinlegte, eilen ihm Ruf um Ruf voraus: Dieser Mann weiß, was und wie und warum er etwas tut; er kann seriös führen und gestalten, er holt unerhörte Details aus der Partitur; er hat Charisma – also hohe Sternstund­en-Trefferquo­ten.

Das kommt nicht von ungefähr. Die Koordinate­n lauten: musikalisc­hes Elternhaus, pianistisc­he Frühbegabu­ng, beste Lehrer, Fleiß, Fleiß, Fleiß. Wenn Petrenko an der Staatsoper München, wo er bis 2020 Generalmus­ikdirektor bleibt, eine Produktion einstudier­t, ist er präsent auch bei solchen Vorproben, in denen sich andere Dirigenten noch nicht blicken lassen. Er aber will dabei sein, lenken, motivieren. Dieser verantwort­ungsvolle, redliche, profession­elle Einsatz zahlt und zahlte sich aus – auch schon kurz vor dem Münchner Start 2013, als Petrenko den „Ring“auch in Bayreuth unumstritt­en sensatione­ll dirigierte.

Seitdem wird er mehr als geachtet, verehrt. Er wird geliebt. Wofür sicherlich auch seine Zurückhalt­ung verantwort­lich ist: Wenn Petrenko sich zum Applaus stellt und wieder einmal Jubelstürm­e über ihn hereinbrec­hen, dann lächelt er nur verschmitz­t und tritt gleich wieder zurück – den Applaus auf Orchester und Solisten lenkend. Immer hat man den Eindruck, es sei ihm peinlich, dieses Gewese um seine Person. Nun erhält er neuerlich die Chance, sich daran – und auch an CD-Produktion­en – zu gewöhnen, nun in Berlin als erst siebter Chefdirige­nt der 137 Jahre alten Berliner Philharmon­iker. Rüdiger Heinze

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Foto: dpa

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