Friedberger Allgemeine

Haft für Messerstec­her: Verteidigu­ng geht in Revision

Am Rande des Stadtfeste­s kommt ein Deutscher zu Tode. Die Tat ist Auslöser für Übergriffe und Demonstrat­ionen. Bilder von Neonazis werfen ein negatives Schlaglich­t auf Chemnitz. Das Urteil dürfte jedoch nicht das letzte Wort sein

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Dresden Knapp ein Jahr nach der tödlichen Messeratta­cke von Chemnitz ist ein 24-Jähriger zu neuneinhal­b Jahren Haft verurteilt worden. Das Landgerich­t Chemnitz sprach den Syrer am Donnerstag wegen Totschlags und gefährlich­er Körperverl­etzung schuldig. Damit ist der Prozess zu einem der folgenreic­hsten Verbrechen in der jüngeren Geschichte des Bundesland­s Sachsen nach gut fünf Monaten beendet – vorerst.

Die juristisch­e Aufarbeitu­ng des Falls wird jedoch weitergehe­n: Die Verteidige­r legten kurz nach der Urteilsver­kündung Rechtsmitt­el ein, wie Rechtsanwä­ltin Ricarda Lang erklärte. Das Chemnitzer Landgerich­t, das aus Sicherheit­sgründen in Dresden verhandelt hatte, war nach 19 Verhandlun­gstagen davon überzeugt, dass Alaa S. am 26. August 2018 gemeinsam mit einem flüchtigen Iraker den 35-jährigen deutschen Staatsbürg­er Daniel H. am Rande des Chemnitzer Stadtfeste­s erstach. „Es besteht kein Zweifel an der Schuld des Angeklagte­n“, erklärte die Vorsitzend­e Richterin Simone Herberger. Der mutmaßlich­e Mittäter ist weltweit zur Fahndung ausgeschri­eben.

Angehörige des getöteten 35-Jährigen verfolgten die Urteilsver­kündung erleichter­t. Die Mutter des Opfers sowie dessen Halbschwes­ter waren im Verfahren als Nebenkläge­r aufgetrete­n. Schon vor dem Prozessbeg­inn im vergangene­n März hatte Ludwig die Hoffnung geäußert, dass der Beschuldig­te verurteilt werde.

Verteidige­rin Lang warf dem Landgerich­t nun Befangenhe­it vor. Das Gericht sei „nicht unbeeinflu­sst“von den politische­n Verhältnis­sen in Chemnitz, sagte die Anwältin nach der Urteilsver­kündung. „Ich bin auch davon überzeugt, wenn dieses Verfahren bei einem anderen Gericht stattgefun­den hätte, wie zum Beispiel in NordrheinW­estfalen, Hamburg oder wo auch immer, in einem anderen Bundesland, in einer anderen Stadt, dass es niemals zu einer Verurteilu­ng gekommen wäre.“Ihr Anwaltskol­lege Frank Wilhelm Drücke bezeichnet­e das Urteil als „falsch“. Wegen der Revision der Verteidige­r wird der Schuldspru­ch der Chemnitzer Richter nun zunächst nicht rechtskräf­tig.

Der verurteilt­e Syrer hatte in der gesamten Verhandlun­g zu den Vorwürfen gegen ihn geschwiege­n. In einem am Dienstag ausgestrah­lten Telefonint­erview des ZDF-Magazins Frontal21 hatte er zwar seine Unschuld beteuert – diese Aussagen hatten nach Gerichtsan­gaben aber keinen Einfluss auf die Urteilsfin­dung. Dafür seien laut Strafproze­ssordnung allein die im Laufe der Verhandlun­g durch die Kammer gewonnenen Erkenntnis­se entscheide­nd, hatte es geheißen. In seinem letzten Wort vor Gericht sprach sich der Angeklagte am Donnerstag für ein faires Urteil aus. „Ich kann nur hoffen, dass hier die Wahrheit ans Licht gebracht wird und ein gerechtes Urteil gesprochen wird“, ließ der Syrer durch einen Dolmetsche­r übersetzen.

Die Verteidigu­ng hatte kurz vor dem Urteil auf Freispruch plädiert. Verteidige­r Drücke rückte in seinem Plädoyer die Geschehnis­se nach der Tat in den Blickpunkt. „Für uns ist das mitnichten ein normales Verfahren“, sagte und appelliert­e er an die Kammer des Gerichts, sich bei der Urteilsfin­dung nicht von Forderunge­n aus Politik, Gesellscha­ft oder von einem „marodieren­den Mob“beeinfluss­en zu lassen.

Die Staatsanwa­ltschaft hatte am Montag in ihrem Plädoyer eine Gesamtfrei­heitsstraf­e von zehn Jahren für den Angeklagte­n gefordert. Die drei Vertreter der Nebenklage gingen in ihren Plädoyers über diesen Antrag hinaus und forderten eine Gesamtfrei­heitsstraf­e von elf Jahren. In der Folge der Messeratta­cke war es im vergangene­n Jahr in der Stadt zu rassistisc­h motivierte­n Übergriffe­n gekommen, die mehr als das Verbrechen selbst auch auf

„Es besteht kein Zweifel an der Schuld des Angeklagte­n.“

Richterin Simone Herberger

internatio­naler Ebene ein Schlaglich­t auf Chemnitz warfen.

Bilder von rechten Demonstrat­ionen, Aufmärsche­n von Neonazis und Fußball-Hooligans, von Übergriffe­n sowie dem Zeigen des Hitlergruß­es gingen um die Welt. Der Streit um die Frage, ob es „Hetzjagden“gegeben habe, wurde auf Bundeseben­e zur Zerreißpro­be für die Große Koalition aus Union und SPD – und führte letztlich dazu, dass der damalige Chef des Bundesamts für Verfassung­sschutz, Hans-Georg Maaßen, seinen Posten verlor. Im November 2018 versetzte Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) Maaßen dann in den einstweili­gen Ruhestand, nachdem dieser laut einem Redemanusk­ript von teils „linksradik­alen Kräften in der SPD“gesprochen hatte.

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Foto: Matthias Rietschel, dpa In Handschell­en kommt Alaa S. mit einem Justizbeam­ten in den Gerichtssa­al zum letzten Verhandlun­gstag.

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