Friedberger Allgemeine

„Wir warten auf Johnsons Ideen“

Der luxemburgi­sche Außenminis­ter Asselborn glaubt nicht mehr an einen Deal mit dem britischen Premier. Warum er dessen Politik für so gefährlich hält

- VON DETLEF DREWES UND JOACHIM BOMHARD

Brüssel Boris Johnson war auf Brexit-Werbetour in Berlin und Paris. „Wir schaffen das“, brüstete sich der britische Premier auf Deutsch im Kanzleramt neben einer sichtlich konsternie­rt schauenden Angela Merkel. Er glaubt noch immer an den Deal mit der EU zu seinen Gunsten vor dem Austritt Großbritan­niens am 31. Oktober. Wenn er da mal nicht die Rechnung ohne den Wirt gemacht hat. Jean Asselborn, Außenminis­ter von Luxemburg und zugleich der dienstälte­ste Außenamtsc­hef der EU, zeigt sich im Gespräch mit unserer Redaktion deutlich skeptische­r. „Wir Europäer haben alles getan, was möglich war. Wenn Johnson eine bessere Idee hat, soll er sie vorschlage­n. Darauf warten wir ja“, sagt Asselborn.

Ist es also möglich, binnen 30 Tagen einen besseren Deal auszuhande­ln, wie der fanatische Brexitbefü­rworter Johnson glaubt? Das zentrale Thema ist und bleibt der Backstop, also die Versicheru­ng, dass es zwischen Nordirland und Irland zu keiner harten Grenze kommt. Asselborn sagt dazu: „Großbritan­nien will keinen ,no Deal’, aber auch keinen Backstop. Die Europäisch­e Union will auch keinen Austritt ohne Deal, aber den Backstop.“Über zwei Jahre habe man hart verhandelt. Ein Drittel des Vertrages drehe sich um dieses Herzstück. Der 70 Jahre alte und äußerst EU-erfahrene Luxemburge­r ist skeptisch: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie man in drei Wochen eine Lösung finden soll, die man in zwei Jahren nicht geschafft hat.“Wenn das Kunststück dennoch gelingt, freue er sich. „Glauben kann ich daran nicht. Denn wenn es einfach wäre, hätten die Unterhändl­er den Weg ja gefunden.“Den Vorschlag, den Backstop zeitlich zu begrenzen, lehnt Asselborn ab. „Das wäre so ähnlich, als würden Sie eine Feuerversi­cherung für Ihr Haus abschließe­n, diese aber zeitlich befristen.“

Der Luxemburge­r kennt Johnson gut aus dessen Zeit als Außenminis­ter. Deshalb geht er davon aus, dass der neue britische Premier weiß, dass er im Falle eines Austritts ohne Abkommen ein hohes Risiko in Kauf nimmt. „Das kann ins Auge gehen, wie eine Studie der Regierung in London ja zeigt“, warnt Asselborn. „Es drohen Engpässe bei Lebensmitt­eln, bei Medikament­en und so weiter.“Das verdränge Johnson aber und stürze sich stattdesse­n auf den Backstop, „weil er in ihm das entscheide­nde Hindernis für die ersehnte Handelsfre­iheit mit den USA, Indien, China und anderen sieht.“Der Backstop, so argumentie­re der Premier dabei, sei kein britisches, sondern ein Problem der EU. Asselborn: „Und wenn es zu Unruhen kommt, so sagt Johnson, liege die Verantwort­ung dafür bei der EU. Das ist eine Denkweise, die im höchsten Maße riskant ist.“

Beide Seiten seien weiter aufeinande­r angewiesen und brauchten dafür, so Asselborn, Vereinbaru­ngen – über alle die Fragen, die Johnson jetzt ausblende: die Grenze zu Irland, die Rechte der EU-Bürger in Großbritan­nien und der Briten in der EU und die finanziell­en Verpflicht­ungen. „Wenn man die zukünftige­n Beziehunge­n nicht fair regelt, wäre das für Großbritan­nien eine Katastroph­e.“Nach einem Austritt ohne Deal würden die Gespräche noch schwierige­r, so Asselborn. „Der langfristi­ge Schaden für die Insel wäre immens. Das darf ein Premiermin­ister eigentlich nicht für sein Land wollen.“

Hinter den Reisen Johnsons am Mittwoch nach Berlin und Donnerstag nach Paris sieht der luxemburgi­sche Außenminis­ter den „Versuch, das eigene Publikum zu Hause zu beeindruck­en“. Er sei zwar jetzt Premiermin­ister, aber seine Position wackelig bei nur einer Stimme Mehrheit im Parlament. Deshalb wolle er Neuwahlen provoziere­n, möglicherw­eise kurz vor dem Stichtag für den Brexit am 31. Oktober. Johnson glaube, mit einem harten Bruch eine neue Mehrheit zu bekommen, die ihn stabilisie­rt.

Um dann in eine großartige Zukunft mit neuen Freihandel­sverträgen mit den USA zu gehen? Asselborn sagt, das werde nicht funktionie­ren, auch wenn sich da zwei Politiker treffen, die sich ähnlich sind: „Der amerikanis­che Präsident, der alles tut, um die internatio­nale Ordnung zu zerstören und Europa total zu schwächen, trifft auf einen britischen Premier, der alte Großmachtt­räume hegt.“Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron habe recht, wenn er sagt, dass ein Bündnis zwischen Washington und London niemals die entstanden­en Verluste durch das Ausscheide­n aus dem europäisch­en Binnenmark­t ausgleiche­n kann.

Johnson kehrte am Donnerstag auch aus Paris mit leeren Händen zurück nach London. Macron hat ihm klargemach­t, dass innerhalb eines Monats kein neues Austrittsa­bkommen gefunden werden könne.

Merkel und Macron geben nicht nach

 ?? Archivfoto: Inacio Rosa, dpa ?? Der Sozialdemo­krat Jean Asselborn ist seit 15 Jahren Außenminis­ter von Luxemburg. In dieser Funktion hatte er auch mit dem jetzigen britischen Premier Boris Johnson zu tun. Als überzeugte­r Europäer warnt Asselborn vor einem harten Brexit. Die Denkweise von Johnson hält er für im höchsten Maße riskant.
Archivfoto: Inacio Rosa, dpa Der Sozialdemo­krat Jean Asselborn ist seit 15 Jahren Außenminis­ter von Luxemburg. In dieser Funktion hatte er auch mit dem jetzigen britischen Premier Boris Johnson zu tun. Als überzeugte­r Europäer warnt Asselborn vor einem harten Brexit. Die Denkweise von Johnson hält er für im höchsten Maße riskant.

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