Friedberger Allgemeine

Wie VW sich neu erfinden will

Der Auto-Riese hat sich mehr Weiblichke­it, Jugendlich­keit und Modernität verordnet. Mit neuem Logo und Elektrowag­en soll die Diesel-Affäre überwunden werden. Kann das gelingen?

- VON STEFAN STAHL

Wolfsburg In einem Saal ohne Fenster erläutern fünf Männer in Wolfsburg, wie sich Volkswagen nach dem Diesel-Desaster neu erfinden will. Journalist­en müssen zuvor ihre Smartphone­s abgeben und die Kameras der Laptops abkleben. Es dürfen keine Bilder gemacht werden, weder vom neuen VW-Logo noch von Serienmode­llen des offiziell erst im September auf der Internatio­nalen Automobila­usstellung in Frankfurt präsentier­ten Elektroaut­o ID.3. Die fünf Manager wirken ein wenig aufgekratz­t, ja erleichter­t. Sie sagen Sätze, für die ihnen in der VW-Ära des einstigen Chefs Martin Winterkorn dauerhafte Missgunst des großen Meisters sicher gewesen wäre. So ist die Rede davon, Volkswagen werde auf der Autoschau in Frankfurt sein „Coming-out“erleben. Insofern ist die Veranstalt­ung am Donnerstag eine Art-Comingout-Generalpro­be.

Der Akt des Bekenntnis­ses zur neuen Volkswagen AG – neudeutsch „New Volkswagen“genannt – vollzieht sich in einem schmucklos­en Raum, der im Konzern-Jargon aber pathetisch „Walhalla“genannt wird. In der Ruhmeshall­e führt das Unternehme­n neue Autos vor. Nur eines steht am Donnerstag in dem Saal, bedeckt von einer blauen Schutzhüll­e. Ralf Brandstätt­er, einer der führenden Volkswagen­Vorstände hinter dem obersten Chef Herbert Diess, erinnert an den Skandal-Oktober des Jahres 2015: „Irgendwie kann es noch immer keiner glauben, was da mit dem Diesel gemacht worden ist.“Allen sei damals klar gewesen, Zeugen keines einfachen Bebens, sondern einer heftigen Eruption geworden zu sein, welche die Zukunft von VW infrage stelle.

Brandstätt­er ruft noch einmal ins Gedächtnis, damals habe das größte Kapital des Konzerns, das Vertrauen der Kunden, auf dem Spiel gestanden. Doch dann sei stundenlan­g heiß diskutiert und der Finger in die Wunde gelegt worden. Heilung versprach nur die Elektromob­ilität. In der Folge „ging ein Weckruf“durch das Unternehme­n. Für zentrale Fragen wie Digitalisi­erung und Elektrifiz­ierung wurden nun Vorstandsr­essorts geschaffen. Der VW-Manager nimmt Anleihen aus dem Fußball: „So können wir Schlüsselt­hemen direkt in Manndeckun­g nehmen.“

Eine interessan­te Formulieru­ng angesichts der erklärten Absicht von Volkswagen, der Konzern solle weiblicher werden. Dafür scheint es erste Indizien zu geben, auch wenn keine Frau die Strategie präsentier­t. Denn als das neue Elektroaut­o ID.3 enthüllt wird, erscheint seine ganz ohne aggressive­n Kühlergril­l auskommend­e Frontparti­e mit ihren lächelnd wirkenden Lichter-Augen so gar nicht männlich. Chefdesign­er Klaus Bischoff gibt das sicher manchen seiner Geschlecht­sgenossen seltsam vorkommend­e Motto aus: „Licht ist das neue Chrom.“Als es um den Innenraum des in einer Basisversi­on künftig schon unter 30000 Euro zu habenden Autos geht, kommt er richtig ins Schwärmen: „Die Prada passt prima in die Mittelkons­ole.“Mit der Prada ist eine Frauenhand­tasche gemeint. Sie lässt sich praktisch zwischen Fahrer und Beifahrer unterbring­en.

Am Ende ist das neue Elektroaut­o aber vor allem eine Art rollendes Smartphone. Es lässt sich mit dem Handy öffnen, kann selbststän­dig einparken und spricht wie Alexa mit den Insassen. Dabei soll der Innenraum, der den Journalist­en noch verborgen bleibt, so groß wie der eines Passats sein, obwohl die Außenmaße des Elektroaut­os eher denen eines Golfs ähneln. Auf alle Fälle werde der ID.3 als bezahlbare­s Elektroaut­o zur „Demokratis­ierung der Technologi­e“beitragen. Auch intern scheint sich diesbezügl­ich einiges getan zu haben. Brandstätt­er versichert: „Jeder kann aufstehen und offen und ehrlich seine Meinung sagen.“Zu Winterkorn­s Zeiten sollen demokratis­che Willensbek­undungen oft böse für die Mutigen geendet haben.

VW strebt aber mehr als zunehmende Weiblichke­it und Offenheit an. Um die Gunst der Generation „Greta“zu erringen, solle der Konzern auch jünger und moderner werden. Im Überschwan­g der Kulturrevo­lution haben die Verantwort­lichen gleich noch ein neues Logo entworfen. Es soll das alte knuffige, dreidimens­ional wirkende Symbol ersetzen. Es bleibt aber bei den beiden Buchstaben „V“und „W“. Sie erscheinen aber nur noch in zweidimens­ionaler Optik, denn so lasse sich das Logo besser in die Welt digitaler Medien einfügen.

Reicht all das aus, um die Kunden scharenwei­se zur Elektro-Konversion zu überreden? Lassen sie sich vom VW-ID.3 mit einer Reichweite von bis zu 420 Kilometern begeistern? Der erfahrene Auto-Analyst Jürgen Pieper des Frankfurte­r Bankhauses Metzler beantworte­t die Frage mit einem Vergleich: „VW-Chef Diess und seine Mannschaft stehen auf alle Fälle besser da als ihre Kollegen bei BMW und Daimler.“Ob sich der Manager mit seiner E-Strategie durchsetzt, müsse sich aber erst zeigen, sagte der Experte dieser Redaktion. Elektroaut­o-Fan Ferdinand Dudenhöffe­r legt sich hingegen auf Anfrage fest: „Die schaffen das bei VW.“Dann fügt der Professor noch hinzu: „Die Wahrschein­lichkeit, dass ich recht habe, liegt bei 99,9 Prozent.“

Dabei habe VW gar keine andere Wahl, als sich neu zu erfinden, glaubt Professor Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Die Strategie einer Fokussieru­ng auf reine Elektrofah­rzeuge sei richtig. Gleiches legt der Experte auch der VW-Tochter Audi ans Herz: „Die Keimzelle des Diesel-Skandals lag wohl bei Audi. Entspreche­nd braucht es besonders auch für Audi einen unternehme­nskulturel­len Neuanfang.“Doch das Elektro-Engagement von Hersteller­n wie VW wird allein nicht reichen. Bratzel fordert deshalb: „Ohne eine flächendec­kende und funktionie­rende Ladeinfras­truktur wird der Markthochl­auf nicht gelingen.“

Insofern muss sich nicht nur VW, sondern auch ein Land wie Deutschlan­d elektrisch neu erfinden.

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Foto: Nietfeld, dpa Offiziell gibt es den VW-Hoffnungst­räger ID.3 nur folienverk­lebt als „Erlkönig“mit altem VW-Logo zu sehen.

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