Friedberger Allgemeine

Warum die Zahl der Sozialwohn­ungen sinkt und sinkt

Trotz Mietexplos­ion und Politikver­sprechen gibt es immer weniger günstigen Wohnraum. Was tun?

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Das Resümee fällt bitter aus: In Deutschlan­d schießen die Mieten durch die Decke und der Staat ist gelähmt. Der Mieterbund spricht von einer dramatisch­en Situation. „Was tatsächlic­h passiert, ist natürlich sehr viel weniger, als das, was vollmundig angekündig­t wird“, beklagt Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkott­en. Gemeinsam mit anderen Verbänden, darunter die Caritas und die Baugewerks­chaft IG Bau, hat er ein Bündnis gebildet. Das Ziel: Bund und Länder wachrüttel­n und deutlich mehr Geld gegen die Wohnungsno­t. Derzeit, so die am Donnerstag vorgestell­te Rechnung, gibt der Staat 2,4 Milliarden Euro pro Jahr für den Bau von Sozialwohn­ungen aus. Nötig seien aber 9,3 Milliarden pro Jahr, und das bis 2030. „Liebe Politik, rede nicht nur, sondern tu mal richtig was“, fordert Siebenkott­en.

Mit dem Geld soll die Zahl der Sozialwohn­ungen bis 2030 auf zwei Millionen verdoppelt werden. Außerdem sollen damit pro Jahr noch 60000 Wohnungen gefördert werden, deren Kaltmiete zwischen sechs und neun Euro je Quadratmet­er liegt.

Trotz aller Verspreche­n und Ankündigun­gen der Großen Koalition spitzt sich die Lage in gefragten Städten und deren Umland zu. Entspannun­g auf dem Wohnungsma­rkt ist nicht in Sicht. Selbst Gutverdien­er stoßen in München, Stuttgart, Köln oder Berlin an ihre finanziell­en Grenzen. Menschen, die normal oder wenig verdienen, sind raus aus dem Spiel. Denn statt mehr Sozialwohn­ungen gibt es immer weniger. Vergangene­s Jahr summierte sich das Minus auf 49000. Noch in den achtziger Jahren gab es in der alten Bundesrepu­blik vier Millionen Sozialwohn­ungen, 2006 waren es in ganz Deutschlan­d immerhin noch 2,1 Millionen, derzeit sind es gerade noch 1,1 Millionen.

Der steile Rückgang erklärt sich dadurch, dass Sozialwohn­ungen nicht ewig Sozialwohn­ungen bleiben. Nach 20 oder 30 Jahren entfällt üblicherwe­ise die sogenannte Bindung, und sie können auf dem freien Markt vermietet werden. Der Mieterbund verlangt deshalb, die Befristung abzuschaff­en. „Wir sind das einzige Land, das die begrenzte Bindung hat“, sagt Siebenkott­en.

Um den Trend umzukehren und die Marke von zwei Millionen bis 2030 zu schaffen, müssten pro Jahr 155 000 neue Sozialwohn­ungen hinzukomme­n. Davon sollen 80000 neu gebaut werden, 75000 durch Modernisie­rungsförde­rung und den Ankauf im Bestand geschaffen werden. Bei dieser Förderung wird den Besitzern ein Teil des für die Sanierung genutzten Kredits bezuschuss­t, wenn dadurch bezahlbare Wohnungen entstehen.

Ob das ehrgeizige Ziel erreicht werden kann, darf bezweifelt werden. In Städten und Gemeinden fehlt es an Bauland und an Mitarbeite­rn in der Verwaltung. Im ersten Halbjahr wurden weniger Baugenehmi­gungen erteilt als in den ersten sechs Monaten 2018.

Bundesbaum­inister Horst Seehofer (CSU) sieht vor allem Länder und Kommunen in der Pflicht, für bezahlbare Mieten zu sorgen. In der Tat liegt die Kompetenz für den sozialen Wohnungsba­u bei ihnen. Der Bund unterstütz­t sie dabei in der laufenden Legislatur­periode mit 5 Milliarden Euro.

Wie groß der Bedarf vor Ort ist, macht die IG Bau an folgender Zahl fest: „In Großstädte­n haben zwischen 40 und 50 Prozent der Haushalte theoretisc­h Anspruch auf eine Sozialwohn­ung“, erklärt Gewerkscha­ftschef Robert Feiger. Unter den Ländern ragen Hamburg, Berlin und Bayern als Einäugige unter den Blinden hervor. Sie schufen dem Bündnis zufolge zuletzt, wenn auch nicht in ausreichen­dem Maße, noch die meisten Sozialwohn­ungen. Baden-Württember­g liegt dagegen im hinteren Drittel der Länder.

 ?? Foto: Spata, dpa ?? In den Achtzigern lag die Zahl der Sozialwohn­ungen allein in Westdeutsc­hland bei vier Millionen, heute sind es bundesweit nur noch ein Viertel davon.
Foto: Spata, dpa In den Achtzigern lag die Zahl der Sozialwohn­ungen allein in Westdeutsc­hland bei vier Millionen, heute sind es bundesweit nur noch ein Viertel davon.

Newspapers in German

Newspapers from Germany